# taz.de -- Pressefreiheit in Bolivien: Die Flucht in die Nische | |
> Die Regierung Boliviens setzt den unabhängigen Journalismus unter Druck. | |
> Amalia Pando hält mit ihrem Radioformat „Cabildeo“ dagegen. | |
Bild: Das Gesicht des Radioformats „Cabildeo“: Amalia Pando | |
La Paz taz | Am Metalltor hängt ein kleiner Zettel: „Cabildeo“ steht drauf, | |
und ein Pfeil weist auf die Klingel darunter. In einem Abstellraum, der auf | |
den kleinen Hinterhof führt, ist eines der einst populärsten Radioformate | |
Boliviens untergekommen. [1][„Cabildeo“] heißt es, und Amalia Pando ist das | |
Gesicht der Sendung, die über das Internet zu hören und oft auch zu sehen | |
ist. | |
Gerade hat die 66-jährige Journalistin das Mikrofon abgeschaltet und räumt | |
ihre Unterlagen in die Tasche. „Wären Sie früher gekommen, hätten wir Sie | |
gleich interviewt“, scherzt die Frau, die in Bolivien seit Jahrzehnten für | |
politische Analyse steht. Provokant, kritisch und oft salopp agiert die | |
Frau vor der Kamera und vor dem Mikrofon. | |
Doch derzeit ist es nur noch ein kleiner Kreis von Intellektuellen, | |
Politikern und Fans, der ihr folgt. „Wir sind nur noch übers Internet zu | |
sehen, zu hören und zu lesen, sind ein Nischenformat“, klagt Pando und | |
nennt auch gleich den Grund dafür: „Die Regierung hat die fast vollständige | |
Kontrolle über die Medien in Bolivien übernommen. Kritische Journalisten | |
haben in den großen Medien des Landes keine Chance mehr – flüchten sich in | |
Nischen, so wie wir“, meint sie. | |
Eine Einschätzung, die Franz Chávez von der [2][Nationalen | |
Pressevereinigung] (ANP) teilt. Sein Job ist es auf der Webseite der | |
Organisation Verstöße gegen die Pressefreiheit zu dokumentieren, und davon | |
gab rund um die Wahlen vom 20. Oktober reichlich. | |
## „Wer nicht spurt, erhält keine Anzeigen“ | |
Doch er sieht auch strukturelle Probleme, die die Existenz von Medien | |
bedrohen und in die Berichterstattung eingreifen: „Die Regierung nutzt ihre | |
Position als wichtigster Anzeigenkunde als Instrument, um die | |
Berichterstattung zu konditionieren“, so Chávez. „Wer nicht spurt, erhält | |
keine Anzeigen“, schildert er das Vorgehen der Regierung, die so auf die | |
Berichterstattung Einfluss nimmt. | |
Das ist auch bei Amalia Pando und den Sendern für die sie arbeitete nicht | |
anders gewesen – ob bei Erbol oder zuletzt bei [3][Radio Líder]. Erbol ist | |
ein großer Radiosender mit regionalem Netz, bei dem Pando rund zehn Jahre | |
arbeitete. „Zur Redaktion gehörten rund hundert Journalisten. Ich hatte ein | |
sehr erfolgreiches Format, bis die Regierung ihre Anzeigen strich – dadurch | |
kam der Sender in Schieflage“, erinnert sich Pando. | |
Doch damit nicht genug. „Danach setzte die Regierung die privaten | |
Anzeigengeber unter Druck und auch die internationalen | |
Nichtregierungsorganisationen, die Erbol unterstützte.“ Das war 2013. Die | |
dänische Organisation Ibis musste damals Bolivien [4][verlassen] – | |
Konspiration gegen die Regierung, lautete der Vorwurf der zuständigen | |
Ministerien. | |
Wenig später war der Sender nicht mehr in der Lage, die Gehälter für den | |
nächsten Monat zu zahlen. „Die Botschaft der Regierung war klar, auch wenn | |
sie nicht ausgesprochen wurde. Ich und viele andere mussten die Redaktion | |
verlassen“, erinnert sich Pando. | |
Damals entstand die Idee zu Cabildeo, was so viel bedeutet wie Kundgebung, | |
Diskussion, aber auch Taktieren. Kontroverse Interviews, politische Analyse | |
und investigative Recherche bilden die Basis des Formats, das von einem | |
kleinen Team produziert wird. „Erst waren wir sechs, jetzt sind wir vier“, | |
sagt sie mit bitterer Mine. | |
Geld ist knapp. Über Crowdfunding finanziert sich Cabildeo derzeit – | |
Werbeeinnahmen hat das Format kaum, und dafür gibt es einen Grund. „Wer bei | |
uns Anzeigen schaltet, muss mit dem Besuch der Steuerbehörden rechnen, und | |
das kann sehr unangenehm sein“, sagt Pando und weist damit auf eine weitere | |
Masche der Regierung hin. | |
Die agiert mit allen Tricks, um regierungskritische Berichterstattung zu | |
unterbinden, so Franz Chávez. „Das führt zur Schere im Kopf oder dazu, dass | |
kritische Kollegen Redaktionen verlassen, Bücher schreiben oder sich eine | |
Nische suchen wie Raúl Peñaranda.“ Der ehemalige Chefredakteur von | |
[5][Pagina Siete], eine unabhängige Tageszeitung aus La Paz, hat nach | |
massiven persönlichen Angriffen 2013 das Handtuch geworfen und 2018 | |
angefangen, das Onlineportal Brújula Digital aufzubauen. | |
Der Onlineauftritt mit frischen Informationen gehört auch zum Format von | |
Cabildeo. Mehr als zwei Jahre war das Team um Amalia Pando bei Radio Líder | |
in El Alto zu Hause. Für Amalia Pando, die monatelang versucht hatte sich | |
erfolglos bei anderen Radiosendern für ein bis drei Stunden am Vormittag | |
einzumieten, war das ein Glücksfall und hatte etwas mit Politik zu tun. | |
## Die Opposition im Studio | |
Der oppositionelle Bürgermeister von La Paz, Félix Patzi, bot ihr den | |
Sendeplatz an. Der Sender, welcher der Stadtverwaltung von La Paz gehört, | |
war nicht sonderlich populär und die bekannte Radiofrau durchaus ein | |
Zugewinn. Zweieinhalb Jahre ging das gut, Cabildeo hatte eine neue Heimat | |
gefunden – bis Amalia Pando Ende September 2018 den | |
Präsidentschaftskandidaten Carlos Mesa zum Interview ins Studio bat. | |
Mesa und Pando kennen sich schon lange, haben 1990 zusammen das | |
Fernsehgesellschaft PAT aufgebaut, aus der später ein Fernsehsender wurde. | |
Wahlpropaganda warf Bürgermeister Patzi Pando vor, obwohl das Interview | |
durchaus kritisch und hintergründig war, und schmiss Cabildeo am 9. Oktober | |
aus dem Programm. | |
Seitdem ist Cabildeo nur noch online zu empfangen und hat an Relevanz | |
verloren. 148.000 Follower hat der Sender auf [6][Facebook]. „Live verfolgt | |
haben uns heute gerade 500 Hörer, weitere 3.000 sehen sich die Sendung auf | |
YouTube an und etwa 5.000 laden sich das Format auf unserer Homepage | |
herunter“, sagt Amalia Pando. Wie lange sie noch durchhalten kann mit | |
Cabildeo, weiß sie nicht. Vielleicht bis Dezember, wenn die Spender ihr die | |
Stange halten. | |
## Boliviens politische Krise ist eine Medienkrise | |
Ziel des Teams war es ohnehin erst einmal die Wahlen zu begleiten und zu | |
kommentieren. Auf die hatte Pando große Hoffnungen gesetzt, denn sollte ihr | |
alter Freund Carlos Mesa es in den zweiten Wahlgang schaffen, dann wäre die | |
Abwahl von Evo Morales realistisch gewesen, so Pando. Von Mesa erwartet | |
sie, dass er „über Nacht die Pressefreiheit wiederherstellen wird“. | |
Mesa ist Historiker, hat lange als Journalist und Fernsehmoderator | |
gearbeitet und tritt für die Comunidad Ciudadana, die Bürgergemeinschaft, | |
als Spitzenkandidat an. „Er ist in Bolivien das Gesicht des Wandels, steht | |
für einen moderaten bürgerlichen Politikentwurf – ohne Gängelung der | |
Medien“, meint Pando und ist damit nicht allein. | |
Doch mit der [7][fragwürdigen Entscheidung des Wahlgerichts] Anfang der | |
Woche, den amtierenden Präsidenten mit minimalem Vorsprung nach der | |
Auszählung von 95 Prozent der Stimmen im Amt zu bestätigen, könnte sich | |
diese Hoffnung in Luft auflösen. Die politische Krise, die sich in Bolivien | |
mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs durch Carlos Mesa und den zunehmenden | |
Protesten im Land abzeichnet, ist auch eine Medienkrise. | |
Die Reisekosten der Recherche wurde von Brot für die Welt gefördert. | |
26 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.cabildeodigital.com/ | |
[2] http://www.anp-bolivia.com/ | |
[3] https://www.radiolider.com/ | |
[4] https://www.gulf-times.com/story/375245/Bolivia-expels-Danish-NGO-IBIS-for-… | |
[5] https://www.paginasiete.bo/ | |
[6] https://www.facebook.com/CabildeoDigital/ | |
[7] /Praesidentschaftswahl-in-Bolivien/!5635712 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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