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# taz.de -- Winzerin über Bio-Weinbau: „Man füllt das Horn mit Kuhmist“
> Bettina Bürklin-von Guradze ist Chefin eines Weinguts in der Pfalz. Ein
> Gespräch über ökologische Verantwortung, Folgen des Klimawandels und
> schön trockenen Humus.
Bild: Bettina Bürklin-von Guradze im Garten ihres Weinguts
Herbst in der Pfalz – bei 24 Grad. Es ist Freitagnachmittag auf dem Weingut
Dr. Bürklin-Wolf in Wachenheim, und der Weinausschank öffnet. Die ersten
Besucher kommen, wählen an der Theke ein Glas Wein aus dem großen
Rieslingsortiment und setzen sich hinaus in den Englischen Garten, wie der
große Außenbereich mit Spielplatz, Terrasse und viel grünem Rasen heißt.
Bettina Bürklin-von Guradze betritt den Raum; sie kommt gerade von einem
Mitarbeitergespräch. Nun soll es um sie gehen, die Chefin eines der
traditionsreichsten Weingüter in der Pfalz.
taz am wochenende: Frau Bürklin-von Guradze, es gibt auch in der
Weinbranche nach wie vor nicht viele Frauen an der Spitze. Wie war das bei
Ihnen, wollten Sie das Weingut Ihres Vaters von Anfang an übernehmen?
Bettina Bürklin-von Guradze: In meiner Generation sind Frauen in leitender
Funktion tatsächlich noch außergewöhnlich, aber wenn ich mir die Jüngeren
ansehe, da muss ich sagen: Es passiert einiges. Es gibt viele patente junge
Frauen, die man sich absolut in leitenden Funktionen vorstellen kann und
die es zum Teil ja schon sind. Ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob ich
Winzerin werden möchte. Mein Vater starb, als ich 19 war. Das Weingut
sollte ich erst mit 30 Jahren erben, so sah es sein Testament vor. Ich
hatte also eine Übergangsfrist, in der ich mir Gedanken machen konnte.
Zuerst habe ich am Genfer See Französisch studiert und eine Banklehre
gemacht.
Und dann?
Ich stand vor der Wahl, BWL zu studieren oder Weinbau. Voraussetzung für
Weinbau war ein einjähriges Praktikum, das wollte ich auf alle Fälle
mitnehmen. Ich habe es auf Schloss Vollrads gemacht und fand es so
spannend, dass ich mich für Weinbau entschieden habe. 1990 bin ich mit
meinem 30. Geburtstag in unserem Weingut eingestiegen. Das ist jetzt fast
30 Jahre her. Unglaublich.
Haben Sie es je zu spüren bekommen, dass Sie eine Frau in einer
Männerdomäne sind?
Eigentlich nicht. Vielleicht lag das daran, dass ich eine sehr weinbezogene
Ausbildung gemacht habe. So hat es mich zumindest keiner spüren lassen. Und
ich habe es anfangs gemeinsam mit meinem Mann geleitet, insofern gab es
durchaus einen männlichen Part auf dem Gut. Mittlerweile leben wir
getrennt. Aber wenn es nicht gerade um harte körperliche Arbeit geht, macht
es doch überhaupt keinen Unterschied, wer ein Weingut leitet.
Machen Sie bei körperlichen Arbeiten mit, bei der Weinlese zum Beispiel?
Als Kind habe ich das immer gemacht, wegen des Taschengeldes. Davon habe
ich mir mein Mofa geleistet. Während meiner Praktika hat mir die Arbeit mit
den Händen sehr großen Spaß gemacht, aber nach dem Studium bin ich schnell
in die Bereiche Marketing und Vertrieb eingestiegen, wo leider weniger
manuelle Kraft erforderlich ist. Das war damals auch dringend notwendig.
Wieso?
Wir sind zu einem unglücklichen Zeitpunkt eingestiegen. Mit dem neuen
deutschen Weingesetz 1971 begann der Niedergang des deutschen Weinbaus. Es
ermöglichte, auch auf für Weinbau nur bedingt geeigneten Ackerflächen Wein
anzubauen. Diese Flächen hat man zudem mit Rebsorten bepflanzt, die eher
Quantität als Qualität liefern sollten. Man dachte, man könnte mit Menge
reich werden und hat den Qualitätspfad verlassen.
So, wie Sie das sagen, klingt es nach Irrweg.
Die Rechnung ist ja auch nicht aufgegangen. Der Glykolskandal Mitte der
80er Jahre gab dem Image des deutschen Weins dann den Rest. Wir kamen 1990
in die Pfalz zurück, hatten ein wunderschönes Weingut mit 120 Hektar
Rebfläche, 1,2 Millionen Litern Wein, einer Menge unterschiedlicher
Rebsorten und einem wunderschön klingenden Namen – aber niemand wollte
deutschen Wein trinken.
Trotzdem haben Sie den Betrieb übernommen?
Na ja, das war uns alles nicht so klar, muss man ehrlich sagen. Es war von
großem Vorteil, dass mein Mann nicht aus der Weinbranche kam und einen
freieren Blick auf die Weinwelt hatte. Er wunderte sich sehr, dass überall
auf der Welt Weinberge klassifiziert sind und es Spitzenlagen gibt, nur
hier nicht. Unsere Mitarbeiterin in der Vinothek hat den Kunden auf die
Frage nach dem besten Wein immer gesagt: „Die sind alle gleich gut.“
Sozialistisches Prinzip. Aber gut, damals dachte man, mit Technik und
Chemie könne man den Weinbau revolutionieren. So war auch mein Vater durch
sein großes Engagement in der Weinbaupolitik an diesen Entscheidungen
beteiligt.
Werfen Sie ihm das vor?
Nein, zu dieser Zeit haben alle gedacht, dass man etwas Fortschrittliches
anstoße. Aber die Natur funktioniert nicht so. Durch den Einsatz der Chemie
und das dauernde Steigern von Erträgen in Monokulturen hat man das
Qualitätsstreben vollkommen aus dem Fokus verloren. Rudolf Steiner hat
bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinem landwirtschaftlichen Kurs
vorhergesagt, dass die Industrielle Revolution die Landwirtschaft
kaputtmachen werde. Genauso ist es gekommen. Vielleicht hat es diesen
Untergang aber auch geben müssen, um neu in einer trotzdem technisch
modernen Welt zu erstehen.
Das klingt ein wenig pathetisch. Wie schafft man so einen Neubeginn?
Unser Grundziel war es, die Qualität der Weine deutlich zu steigern. Daher
haben wir die Produktionsmenge auf 400.000 Liter und die Rebfläche auf 85
Hektar reduziert. Eine Klassifikation der Weinbergslagen lag auf der Hand.
Unser Vorbild war Burgund, weil dort die klimatischen Bedingungen und die
geologischen Verhältnisse sehr ähnlich sind. Ein Geologieprofessor der
Universität Mannheim hat für uns Bodenprofile erstellt. Alte Lagenkarten
aus der Zeit der königlich-bayerischen Regierung Mitte des 19.
Jahrhunderts halfen dabei.
Waren die Bayern damals solche Weinliebhaber?
In diesem Fall hatte das steuerliche Gründe. Sämtliche Weinbergslagen
wurden in einem Steuersystem erfasst und mit Punkten bewertet. Die
traditionellen und hochwertigsten Lagen, die bereits aus der Römerzeit
stammen, wurden am höchsten bewertet und besteuert. Auf dieser Basis ließ
sich eine Klassifikation in burgundischer Vierstufigkeit bestens
durchführen. Letztendlich erfinden wir die Welt ja nicht neu, wir kehren
eher zu dem zurück, was mal war. Wenn man sich Weinkarten aus dem frühen
20. Jahrhundert ansieht, waren deutsche Weine vom Rhein die
höchstbewerteten Weine der Welt.
Sie haben nicht nur Spitzenlagen, sondern auch die Biodynamie nach Rudolf
Steiner entdeckt, den Sie ja schon erwähnt haben. Sind Sie Anthroposophin?
Nein, ich bin nicht anthroposophisch aufgewachsen, bin aber, was die
Landwirtschaft betrifft, von dieser Philosophie fasziniert und überzeugt.
Haben Sie keine Angst, in der esoterischen Klischeeschublade zu landen?
Kurz nach der Umstellung im Jahr 2005 hatte ich wirklich Bedenken. Es
meldeten sich sofort Biorestaurants, Biohändler, Biojournale, die mit
unseren Erfahrungen arbeiten wollten. Das war für mich entschieden zu früh,
weil wir noch auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen konnten. Natur braucht
Zeit.
Wie kamen Sie auf den biodynamischen Weinbau?
Wir hatten schon länger annähernd ökologisch gewirtschaftet, haben
Pheromone in den Weinbergen ausgehängt und uns am Programm „umweltschonend
kontrollierter Weinbau“ beteiligt. Auf die Biodynamie sind wir durch Zufall
gestoßen. Bei Freunden in New York entdeckten wir im Regal das Buch
„Beseelter Wein“ von Nicolas Joly, dem anthroposophischen Winzer von der
Loire. Das gab den Anstoß. 2001 haben wir es auf zunächst 8 Hektar
ausprobiert. Das war so erfolgreich, dass wir uns 2005 zutrauten, den
gesamten Anbau umzustellen.
Was daran hat Sie überzeugt?
Das ist ein ganzheitliches Denken, das die Natur und den Kosmos einbezieht,
daher der Begriff „biodynamisch“. Man nutzt verschiedene Präparate wie zum
Beispiel Hornmist, der in Kuhhörnern erzeugt wird, Fladenpräparate und Tees
als Informationsträger für die Pflanzen und verzichtet vollkommen auf
chemische Produkte. Diese Philosophie hat uns alle sehr beflügelt. Man
schaut die Pflanze mit anderen Augen an und geht sehr individuell auf sie
ein.
Was hat es mit den Kuhhörnern auf sich?
Sie liefern uns ein Hornmistpräparat, das auf den Boden aufgebracht wird.
Es soll das Bodenleben anregen und stärken. Man füllt das Horn mit Kuhmist
und vergräbt es ein halbes Jahr im Erdreich, um es dann, getränkt mit
Informationen des Kosmos, wieder herauszuholen. So erhält man einen
wunderschön trockenen Humus, der in Wasser aufgerührt und auf das Erdreich
aufgebracht wird.
Daran muss man aber schon glauben, oder?
Ich habe am Anfang auch ein wenig mit den Augen gerollt. Aber es ist in
sich einfach logisch. Es geht darum, die Pflanze zu stärken, nicht darum,
Gift gegen etwas auszubringen. Ich frage mich mittlerweile immer, warum das
nicht jeder so macht. Unsere Vorfahren haben auch auf diese Weise
kompostiert und gedüngt, sie haben es nur nicht „biodynamischen Anbau“
genannt. Das ist mit viel Aufwand verbunden, mit viel Aufmerksamkeit für
die Pflanzen, man beobachtet ständig, in welcher Verfassung sie sind. Aber
es ist sehr schön, weil man der Natur ein ganzes Stück näher rückt. Nicht
jedem unserer Kunden schien dies von Anfang an plausibel, und mancher
schüttelt noch heute den Kopf zum Thema Kuhhorn. Das ist aber nicht
schlimm, denn letztendlich zählt die hohe Qualität im Glas.
Den Mitarbeitern fordert das auch einiges ab. Ist es denn schwer, dafür
Leute zu finden?
Ich muss sagen, die Mitarbeiter haben unsere Philosophie schätzen gelernt
und tragen sie mit voller Überzeugung mit. Wir arbeiten zusätzlich über das
Jahr hinweg mit 80 Saisonkräften aus Polen. Seit den 70er Jahren haben wir
dorthin gute Kontakte. 45 kommen im Herbst zur Lese, die anderen über das
Jahr verteilt zu Rebholz- oder Laubarbeiten. Wir sehen die Biodynamie als
unser Werkzeug, um Spitzenqualitäten zu erzeugen. Zudem finde ich es mit
vier Kindern im Hintergrund ein sehr schönes Gefühl, den Nachkommen eine
gesunde Umwelt zu hinterlassen. Angesichts des Klimawandels ist dies
insgesamt eine Herausforderung.
Es heißt immer, der Weinbau in Deutschland profitiere vom Klimawandel?
Einige Jahre haben wir tatsächlich von den höheren Temperaturen profitiert.
Wie sehr sich der Weinbau verändert hat, sieht man schon an dem
Erntezeitpunkt: Der ist nicht mehr Anfang Oktober, sondern schon Ende
August. Aber nun kommt die Trockenheit dazu, schon im zweiten Jahr in
Folge. Unsere biologischen Reben stecken die sehr gut weg, sie wurzeln viel
tiefer als die konventionellen und können in die etwas feuchteren Schichten
vordringen. Aber wenn die Ressource Wasser dauerhaft knapp wird, kommt auf
die nächste Generation eine große Aufgabe zu.
Auf Ihrem Weingut leben vier Generationen, Sie, Ihre Kinder, ein Enkelkind
und Ihre Mutter.
Ja, sie ist dieses Jahr hundert Jahre alt geworden. Der regelmäßige
Riesling-Genuss hat anscheinend gutgetan.
Was hat sie eigentlich dazu gesagt, als sie das Weingut auf Biodynamie
umgestellt haben?
Erstaunlicherweise hat sie das sehr wohlwollend begleitet. Nach dem Tod
meines Vaters hatte sie sich elf Jahre mit einem Geschäftsführer um das
Weingut gekümmert, sich dann aber zurückgezogen. Als es in unseren
Weinbergen immer begrünter wurde, hat sie schon angemerkt, dass man doch
das Unkraut wieder entfernen solle. Aber man muss ihr zugutehalten, dass
sie aus einer Zeit kam, wo kein Grashalm im Weinberg stehen durfte. Das
galt als Unkraut, nicht als Kraut mit einem Nutzen für das Ökosystem. Für
diese Generation war der ökologische Gedanke eine Riesenumstellung.
Dafür war in der Generation Ihrer Eltern eine ganz besondere Form der
Geselligkeit üblich: Politikerbesuche auf dem Weingut nämlich. Ihr Vater
hatte etwa Kanzler Ludwig Erhard und Bundespräsident Theodor Heuss zu
Gast, wie Fotos auf Ihrer Website zeigen.
Dazu muss man wissen, dass mein Urgroßonkel, Geheimrat Dr. Albert Bürklin,
von dem mein Vater das Weingut geerbt hat, Intendant am Hoftheater in
Karlsruhe und Vizepräsident des deutschen Reichstags unter Bismarck war. In
seinem Palais in Karlsruhe gingen Musiker, Politiker, Sänger von Rang und
Namen aus und ein. Auch Siegfried und Cosima Wagner. Dieses politische und
geschichtliche Interesse hat sich vererbt. Mein Vater liebte derartige
repräsentative Aufgaben sehr.
Wie ist das bei Ihnen, kommt Angela Merkel gelegentlich vorbei?
Die Zeiten haben sich geändert, insofern ist es nicht so, dass die
Kanzlerin hier ein und aus geht. Meine Aufgabe besteht heute eher darin,
für das Wohl und die Unterhaltung jedes einzelnen Kunden zu sorgen. Das
nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, ermöglicht uns aber, unsere Philosophie
den Weininteressierten nahezubringen.
Sie meinen die vielen Events, die man heute anbieten muss?
Wir leben in einer Überflussgesellschaft, die Menschen möchten ständig
unterhalten werden. Unser Weingut profitiert davon. Es bereitet uns auch
viel Freude und ermöglicht es vielen Menschen, in die Welt unseres Weinguts
hineinzuschnuppern, bedeutet aber auch einen Riesenaufwand. Der Alltag der
meisten Menschen ist sehr hektisch geworden, wir versuchen, etwas
Entschleunigung zu bieten.
Sie haben vor 25 Jahren begonnen, Weine zu lagern, reifen zu lassen und
erst Jahre später in den Verkauf zu geben. Wieso?
Für uns gehört das zur Qualitätsphilosophie. Seit 25 Jahren legen wir aus
jedem Jahrgang zahlreiche Flaschen pro Lage zurück und lassen sie in
unseren Kellern reifen. Ich habe zum Jubiläum im Sommer eine Probe mit
sieben Jahrgängen Reiterpfad angeboten, zurück bis 1994. Das war ein
unfassbares Geschmackserlebnis. Mittlerweile liegen in unseren Kellern
unzählige Flaschen gereifter trockener Spitzenrieslinge, die wir nach und
nach gezielt in den Markt geben.
Wieso nur nach und nach?
Wegen der Nachfrage. Die ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Es ist
ein regelrechter Hype um gereifte Rieslinge entstanden. Das Angebot ist
wesentlich kleiner. Wir versuchen dennoch jedes Jahr die Nachfrage zu
befriedigen. Schließlich wollen wir unseren Kunden eine Freude bereiten.
27 Oct 2019
## AUTOREN
Susanne Lang
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