| # taz.de -- Sozialdemokratisierung der Linkspartei: Sozis, vereint euch wieder! | |
| > In Thüringen mag auf dem Label der Sieger:innen „Linkspartei“ stehen – | |
| > gewonnen hat Sozialdemokratie pur. Zeit für eine Wiederannäherung. | |
| Bild: Wirklich eine Partei der Büroleiter? | |
| Wir als Publikum schauen zu, manche gar mit gewissen Anteilen an | |
| Schadenfreude, wie die Union sich allmählich zu zerlegen beginnt – weil ihr | |
| Chef in Thüringen, Mike Mohring, an das Naheliegende laut zu denken wagte: | |
| [1][Gespräche mit der Linkspartei.] | |
| Mohrings Wunsch zu erfüllen könnte so einfach sein, denn die Linkspartei | |
| ist ja nur noch mit historischem Blick eine in der SED-Nachfolge. Blickt | |
| man also einfach auf das Faktische, nicht auf das für die Union (und nicht | |
| nur für sie) Fürchterliche: Die Linkspartei, sagen Letztere, sei Mauerbau, | |
| Schießbefehl, die Erb:innenschar der Margot und Erich Honeckers und Erich | |
| Mielkes sowieso. | |
| Die Fakten zur Kenntnis genommen, also die kommunale Praxis in Thüringen | |
| mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident, und nötigenfalls auch das | |
| Programmatische, dann handelt es sich bei der Gräuelpropaganda wider die | |
| Linkspartei um verzweifelte Augenwischerei. Thüringens Linkspartei mit der | |
| ultraklugen Susanne Hennig-Wellsow an der Spitze ist nichts als eine | |
| sozialdemokratische, mainstreamig-mittige Partei, wie es sie im besten | |
| Sinne in der alten Bundesrepublik einst auch mal gab – als SPD. | |
| Eine Partei ohne volxpädagogische Allüren, ohne eitlen Schein, das Große | |
| und Ganze verändern zu können, dafür eine Organisation der Kümmer:innen, | |
| der Pragmatiker:innen, der Fortschrittsgläubigen in jeder kleinen | |
| Verbesserung des Alltags, und sei es die Verdichtung der Taktzeiten im | |
| öffentlichen Nahverkehr, der Rentenberatung, der Inklusion über Plattformen | |
| für Rollstuhlfahrende an Tramhaltestellen. | |
| ## Die SPD, eine Partei der Büroleiter | |
| Eine Partei nicht der Hipster, sondern eine, die besorgt ist um die | |
| konkrete Besserung der Lebenschancen von jenen, die es nicht so dicke im | |
| Portemonnaie haben; und eine, die auf eine kluge Wirtschaftspolitik, auf | |
| Kommunikation mit Unternehmen und Betrieben nicht verzichtet, also den | |
| Kapitalismus schlechthin bejaht – und ihn zu formen versucht. | |
| Dass die real existierende SPD es nicht schafft, dieses Image auszufüllen, | |
| dass sie gar, mit einem Wort des Politikwissenschaftlers Franz Walter | |
| gesagt, vor allem eine Partei der Büroleiter sei, [2][wurde in Thüringen | |
| ebenfalls offenkundig]: Wolfgang Tiefensee, nun wirklich kein Unsympath, | |
| holte nur etwas mehr als acht Prozent. Die SPD ist ein Schiff, das gerade | |
| sehr schön und unnötig vor sich hin sinkt. | |
| Die Sozialdemokratie, die sich auch so nennt, hat aktuell und auf absehbare | |
| Zeit einen politischen Appeal an Attraktivität wie eine ehemalige | |
| Textillinie, die vollkommen aus der Mode geraten ist, weil sie weder gut | |
| aussieht noch in Zukunft wieder up to date wird: nur noch museumsfähig. | |
| Die Rechten freut dies natürlich, die Konservativen der Union haben | |
| Mitleid, vielleicht auch, weil ihr ähnliche Überflüssigkeit droht – | |
| zerrieben nämlich zwischen Rechten auf der einen und den immer schon | |
| linksbürgerlichen Grünen auf der anderen Seite. | |
| ## Verzagt und hochmütig zugleich | |
| Es mag ja eine Binsenweisheit sein, aber sie sei betont: Es braucht eine | |
| große linke Partei, und zwar nicht für ihre Mitglieder, die ihre linke | |
| Identität pflegen wollen, sondern als Organisation, die in den politischen | |
| Praxen Rechten, Konservativen und Liberalen (wie auch Grünen) | |
| Repräsentationsmacht entgegensetzen kann. Mit anderen Worten: SPD und | |
| Linkspartei, inzwischen fast ähnlich groß (oder klein, je nach Perspektive) | |
| mögen sich auf den vermutlich langwierigen Prozess der Wiedervereinigung | |
| begeben. | |
| In der – immer am Thüringer Beispiel diskutiert – Linkspartei gibt es so | |
| gut wie nichts, was nicht auch die SPD gut finden könnte, in der SPD findet | |
| sich nur wenig, was nicht auch die Linkspartei in sich integrieren könnte. | |
| Die eine Partei ist eher verzagt und hochmütig zugleich , die andere – | |
| siehe Mietendeckel in Berlin – mutiger und entschiedener, das Angemessene | |
| politisch realisieren zu wollen. | |
| In der SPD gibt es noch keine Prominenten, die dies zu denken vermögen – | |
| man ist offenbar noch nicht hinreichend marginalisiert. In der Linkspartei | |
| indes ist es ein Mann wie der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), René | |
| Wilke, der eben dies offen sagt: Beide Parteien widmen sich einem ähnlichen | |
| Spektrum, aber nur zusammen hätten sie die Schlagkraft, von den | |
| (öko-)liberalen und konservativen Oppositionen ernst genommen zu werden. | |
| Wilke errang vor einem Jahr einen Sieg im Rennen um den OB-Posten in einer | |
| Stadt, die fest in der Hand der Union war: mit einem populären Wahlkampf, | |
| der sich nicht wie Aktendeckel und Wiedervorlage anfühlte, sondern Klinken | |
| putzte und Talent zum städtischen Stolz betonte. | |
| ## Auf historisch scheinbegründete Klugscheißerei verzichten | |
| Wir wissen zwar aus den hinlänglich langweilenden Stichworten, mit denen | |
| sich Fundis beider Parteien jeweils annerven, dass das schwierig werden | |
| könnte: Mauerschießbefehl, Kriegskredite, Stasi – und dass Oskar Lafontaine | |
| für Sozialdemokrat:innen, die Ende der neunziger Jahre dabei waren, eine | |
| Persona non grata ist, ist ja auch keine News. | |
| Aber das sind nur Chiffren historischen Scheininteresses, die jeweils den | |
| entsprechenden Rechthaber:innen dienen. Bodo Ramelow macht es anders, dabei | |
| hat er 2009 die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition in Thüringen | |
| noch vergeigt, weil er, wie es heißt, die Sozialdemokraten an die Wand | |
| verhandelt habe. | |
| Für eine Wiedervereinigung wäre nützlich, auf historisch scheinbegründete | |
| Klugscheißerei zu verzichten. Und sich auf eine Partei zu verlegen, die um | |
| ihre kapitalismuskritischen Mitglieder weiß und sie für legitim | |
| stichwortfähig hält, aber diese nicht zu Rang kommen lässt. Eine Partei, | |
| die eher für eben das einsteht, was als demokratischer Sozialismus | |
| verstanden wird, so wie der Historiker Tony Judt es begriff: Anwältin der | |
| kleinen Leute und Verteidigerin der Republik, eine Mauer gegen die Rechten. | |
| Keine Weltumstülper, keine Revolutionäre, die gewännen nämlich nie. | |
| Vielmehr Kämpfer:innen für eine Welt, die nur in kleinen Etappen ein | |
| bisschen besser werden kann. | |
| 30 Oct 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5633599 | |
| [2] /SPD-Politiker-ueber-sein-Direktmandat/!5636457 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
| ## TAGS | |
| Die Linke | |
| SPD | |
| Sozialdemokratie | |
| Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gesetzesvorhaben gegen hohe Mieten: Ist der Deckel verfassungswidrig? | |
| Das Land Berlin will Wohnungsmieten auf fünf Jahre einfrieren. Experten des | |
| Bundesinnenministeriums meinen jetzt: Der Plan verstößt gegen das | |
| Grundgesetz. | |
| Die Wahl in Thüringen und der Bund: Das Ende der Träume von R2G | |
| Rot-Rot-Grün hat die Wahl in Thüringen eigentlich gewonnen. Aber bitter | |
| ist: Linke Koalitionen sind in Deutschland trotzdem kaum mehr möglich. | |
| Nach der Wahl in Thüringen: Ramelow ist die Mitte | |
| Die geschlagene Thüringer CDU drückt die Linkspartei rhetorisch an den Rand | |
| – das ist bizarr. Der Regierungschef ist ein Versöhner mit Machtoptionen. |