# taz.de -- Aktivistin über Seenotrettung: „Das Treffen war ein Fehlschlag“ | |
> Lisa Groß von der NGO Alarm Phone findet das ergebnislose Treffen der | |
> EU-Innenminister „tragisch“. Eigentlich brauche es legale Wege nach | |
> Europa. | |
Bild: Migrant*innen verlassen ein Fährschiff aus Lesbos in Piräus | |
Frau Groß, Dienstagabend haben die EU-Innenminister über Seenotrettung | |
diskutiert – ohne konkrete Ergebnisse. Überrascht Sie das? | |
Lisa Groß: Leider nicht. Wir reden seit Jahren darüber, dass das ganze | |
europäische Asylsystem nicht funktioniert und es unsolidarisch ist. Dass | |
sich das jetzt plötzlich um 180 Grad dreht, war nicht zu erwarten. Auch | |
wenn die Diskussionen noch weitergehen – das [1][Treffen in Luxemburg] war | |
[2][aus unserer Sicht] ein Fehlschlag. | |
Die EU-Innenminister haben sich auf keinen Verteilmechanismus geeinigt, sie | |
haben keinen Schritt getan, um das Massensterben auf See zu beenden oder | |
die Gängelung von NGOs. Und das, obwohl es wahrlich nicht um eine große | |
Anzahl an Menschen geht – dass da keine Lösung möglich ist, ist wirklich | |
tragisch. | |
Ungefähr so hat es auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer gesagt. | |
Wir begrüßen [3][Seehofers Vorstoß], weil der bedeuten würde, dass | |
Gerettete viel schneller an Land kommen und nicht zwei oder drei Wochen vor | |
den Küsten Europas ausharren müssten. Es hieße auch, dass Schiffe wie die | |
Sea-Watch und Sea-Eye schneller wieder in ihr Einsatzgebiet zurückkehren | |
können, wo sie dringend gebraucht werden. Aber für uns vom Alarm Phone sähe | |
eine gute Lösung natürlich ganz anders aus. | |
Wie denn? | |
Zunächst mal geht es gerade ja nur um die Menschen im zentralen Mittelmeer. | |
Wir müssen aber auch über die 45.000 Menschen sprechen, die dieses Jahr in | |
Griechenland angekommen sind und die durch den EU-Türkei-Deal auf den | |
Inseln festsitzen – das sind geradezu Gefängnis-Inseln. In [4][Moria auf | |
Lesbos sind momentan 13.000 Menschen], obwohl das Lager nur für 3.000 | |
ausgelegt ist. Die EU kooperiert außerdem immer noch mit der sogenannten | |
libyschen Küstenwache. Daran will auch Seehofer nichts ändern. | |
Sie kennen die Lage im Mittelmeer sehr gut: Seit fünf Jahren nimmt das | |
Alarm Phone Notrufe von dort entgegen. Warum? | |
Der Anlass für unsere Gründung war das [5][Bootsunglück vor Malta und | |
Lampedusa am 11. Oktober 2013]. Damals waren mehr als 450 Menschen in | |
Seenot geraten. Die italienischen und maltesischen Behörden waren | |
informiert, sie haben aber die Zuständigkeit so lange hin und her | |
geschoben, bis es zu spät war. Das Boot sank und mehr als 260 Menschen | |
starben. | |
Wir bieten Menschen eine Alternative, die sie in Seenot anrufen können. | |
Aber so deprimierend wie zur Zeit fand ich die Lage im Mittelmeer schon | |
lange nicht mehr. Als wir im Oktober 2014 angefangen haben, gab es zum | |
Beispiel noch viel mehr europäische Militärschiffe, die gerettet haben. | |
Wie viele Menschen rufen an? | |
In den vergangenen fünf Jahren waren das etwa 2.900 Notrufe. Davon kamen | |
300 aus dem zentralen Mittelmeer, über das ja derzeit diskutiert wird. 800 | |
kamen aus dem westlichen Mittelmeer, und 1.800 aus der Ägäis. Wir | |
verbreiten die Nummer über das Internet und vor Ort. Viele, die die Reise | |
geschafft haben, geben sie außerdem weiter. | |
Was machen Sie, wenn ein Notruf eingeht? | |
Erst mal sammeln wir die wichtigsten Informationen: Wie ist die | |
GPS-Position des Bootes? Wie viele Leute sind an Bord? Wie sind sie | |
telefonisch zu erreichen? Ist es ein Schlauch- oder ein Holzboot? Leckt es | |
schon? Dann rufen wir die zuständige Küstenwache an – im besten Fall ist | |
das eine europäische. Und wir haken nach, bis wir sicher sind, dass die | |
Menschen gerettet sind. | |
Sie rufen auch die libysche Küstenwache an? | |
Ja, leider müssen wir auch das machen. Wenn das Boot in libyschem Gewässer | |
ist, haben wir keine andere Möglichkeit: Tod auf See oder zurück nach | |
Libyen. Aber oft geht dort überhaupt niemand ans Telefon, oder niemand, der | |
Englisch spricht. Wir rufen deswegen oft zusätzlich europäische | |
Küstenwachen an, weil die andere Druckmöglichkeiten haben als wir. | |
Sie haben gesagt, eine echte Lösung sähe für Sie ganz anders aus. Wie? | |
Eigentlich würden wir uns gerne überflüssig machen. Die einzige echte | |
Lösung gegen das Sterben im Mittelmeer sind sichere und legale | |
Einreisewege. Die Menschen müssen sich in ein Flugzeug setzen oder eine | |
Fähre besteigen können, um nach Europa zu kommen und Asyl zu beantragen. | |
Jeder Mensch hat das Recht auf Bewegungsfreiheit. Nur dann müssten sie sich | |
nicht mehr in klapprige Boote setzen, ohne zu wissen, ob sie jemals lebend | |
ankommen. So wäre übrigens auch das Geschäft der Schlepper von einem auf | |
den anderen Tag erledigt. | |
Dafür kämen dann aber vielleicht viel mehr Menschen. | |
Dass dann „alle kommen“ ist nicht nur eine falsche Annahme, sondern auch | |
eine unmenschliche. Wir kennen alle die Situation in Libyen. In offiziellen | |
Papieren des Auswärtigen Amts werden die [6][Lager dort als „KZ-ähnlich“ | |
beschrieben]. Da zu sagen, man wolle nicht, dass die Leute kommen, ist | |
schlicht menschenverachtend. | |
9 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Fluechtlingsverteilung-in-Europa/!5632361 | |
[2] https://twitter.com/alarm_phone/status/1181853659174440962?s=09 | |
[3] /Innenministertreffen-zur-Seenotrettung/!5629312 | |
[4] /Fluechtlinge-auf-Lesvos/!5630888 | |
[5] /Schiffsunglueck-vor-Lampedusa/!5057919 | |
[6] /Fluechtlinge-aus-Libyen-evakuiert/!5625429 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Seenotrettung | |
Libyen | |
Horst Seehofer | |
Europäische Union | |
Seenotrettung | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Seenotrettung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EU-Parlament stimmt gegen Seenotrettung: Rettungs-Resolution gescheitert | |
Rechte haben im EU-Parlament eine Resolution zur Seenotrettung im | |
Mittelmeer verhindert. Malta schickt weiter Geflüchtete zurück nach Libyen. | |
Flüchtlingsverteilung in Europa: EU-Ministertreffen ohne Ergebnis | |
Die EU-Staaten sind nach wie vor uneins in der Frage der | |
Flüchtlingsverteilung. Daran hat auch das Treffen in Luxemburg wenig | |
geändert. | |
Aufnahme von geretteten Flüchtlingen: Koalition der Willigen | |
Seehofers Notfallplan zeugt von Erkenntnisgewinn. Er hat verstanden, dass | |
die EU zwei Geschwindigkeiten bei der Aufnahme von Flüchtlingen braucht. | |
Innenministerkonferenz in Luxemburg: Aufnahme unter Vorbehalt | |
Die EU-Staaten ringen um Lösungen, um Geflüchtete in den Ländern | |
aufzunehmen. Nun soll ein neuer Verteilungsmechanismus helfen. |