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# taz.de -- Klimakrise und Moral: Wissenschaft als Maßstab?
> Wissenschaftliche Erkenntnisse klären auf, beim Klima zum Beispiel. Aber
> Schlussfolgerungen für richtiges Handeln muss die Politik ziehen.
Bild: Die Wissenschaft als solche kann nicht sagen, ob man die Welt auch verän…
Als Greta Thunberg zum UN-Klimagipfel [1][in einer Rennyacht über den
Atlantik aufbrach], prangten auf Mast und Segel neben ihrer Losung „Fridays
for Future“ auch die Worte „Unite behind the Science“. Also: Vereint euch
hinter der Wissenschaft! Doch was kann damit gemeint sein?
Für eine Klärung muss man sich vor Augen führen, was Wissenschaft kann.
Eine schlichte Antwort lautet: Sie kann von Haus aus Wissen schaffen. Und
zwar nicht irgendwelches Wissen, sondern präzises, überprüfbares und
überprüftes, zuverlässiges Wissen mit transparenter Herkunft. Doch kann
Wissenschaft mehr liefern als verlässliche Beschreibungen der vergangenen
und gegenwärtigen Welt sowie Voraussagen zur zukünftigen?
Bereits vor 100 Jahren hat Max Weber darauf verwiesen, dass Wissenschaft
die Gültigkeit von Normen nicht festlegen kann. Sie kann die Welt
beschreiben, wie sie war, ist und sein wird und wie man die Welt verändern
könnte – das macht sie höchst erfolgreich. Aber sie kann als Wissenschaft
nicht sagen, ob man die Welt auch verändern soll.
Dazu besitzt sie weder die moralische noch politische Autorität. Konkret
für den Klimawandel: Die Wissenschaft kann den Wandel des Klimas
vorhersagen und die Auswirkungen möglicher Gegenmaßnahmen prognostizieren.
Aber als Wissenschaft kann sie nicht sagen, dass man den Klimawandel
stoppen soll.
## Nur Wenn-dann-Aussagen
Es verbleiben ihr nur Wenn-dann-Aussagen. Wenn man den Temperaturanstieg
auf 2 Grad begrenzen will, weil man weiß, was jenseits dessen passieren
wird, und dies nicht eintreten soll, dann möge man bestimmte Interventionen
durchführen. Die Wissenschaft kann in diesem Sinne Empfehlungen geben, die
aber stets auf Voraussetzungen beruhen, deren Gültigkeit sie selbst nicht
festlegen kann. „Unite behind the science“ kann also streng genommen nur
zur Akzeptanz des wissenschaftlichen Wissens aufrufen.
Das wendet sich an die Leugner wissenschaftlicher Erkenntnisse. Zu denen
gehört nicht nur US-Präsident Donald Trump. Auch die AfD zweifelt
wissenschaftliche Erkenntnisse mit hanebüchenen Argumenten an („Die Sonne
ist schuld!“, „CO2 ist eine gute Gabe Gottes“).
Der Aufruf, sich hinter der Wissenschaft zu vereinen, hat aber genau
betrachtet keine direkten Auswirkungen auf die Frage, ob man den
Klimawandel bekämpfen soll, weil die Wissenschaft dazu als Wissenschaft nur
Wenn-dann-Aussagen machen kann. Nun muss man allerdings davon ausgehen,
dass die meisten Menschen derartige Differenzierungen gar nicht für
notwendig halten. Sie werden den Aufruf in dem Sinne verstehen, man möge
den Empfehlungen der Wissenschaft folgen.
Das ist auch vernünftig. Die Klarheit der Argumentation gebietet, darauf
hinzuweisen, dass die Verhinderung des Klimawandels eine politische
Entscheidung aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, aber eben keine
wissenschaftliche Entscheidung. Dies zu verkennen, würde eine
szientistische Neutralisierung politischer Verantwortung befördern.
## Die Wissenschaft ist kein Staatenlenker
Es wäre dann keine politische Entscheidung, was wir wollen, sondern eine
nüchterne, wissenschaftlich objektive, der man aus diesem Grunde nur folgen
kann. Dem ist aber nicht so. Ob die Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad oder
irgendwo dazwischen begrenzt werden soll, ist eine pragmatische politische
Entscheidung.
Der Slogan läuft überdies Gefahr, die Verantwortung von Institutionen zu
vernebeln. Die Wissenschaft ist kein Staatenlenker. Das sollte politische
Institutionen nicht davon abhalten, sich bei der Wissenschaft zu
informieren. Sie können ihre Verantwortung aber nicht auf die Wissenschaft
abwälzen.
Wenn es zu katastrophalen Auswirkungen kommt, können die politisch
verantwortlichen Institutionen eben nicht den schwarzen Peter an die
Wissenschaft weiterreichen. Sie könnten die Wissenschaft allenfalls für
schlechte wissenschaftliche Arbeit verantwortlich machen. Aber bislang
haben sich deren Prognosen zum Klimawandel leider bestätigt.
Nun könnte man gegen derart feinsinnige Unterscheidungen einwenden, die
Ziele der Klimapolitik seien so eindeutig, dass man sie gar nicht mehr
ausweisen muss. Man kann die Konsequenzen einer Erderwärmung von mehr als
1,5 oder 2 Grad einfach nicht wollen. Und weil dieses Ziel nicht ernsthaft
zur Debatte steht, möge man sich hinter der Wissenschaft vereinen, die die
Konsequenzen vor Augen führt. Doch das ändert nichts daran, dass die Höhe
der noch akzeptablen Erderwärmung nur politisch bestimmt werden kann.
## Selbst Nobelpreisträger haben nur eine Stimme
Dies schlägt sich auch in der Rolle eines Wissenschaftlers nieder. Wenn man
aufgrund seiner Arbeit besonders gut informiert ist, dann muss man dies
mitteilen. Genau diese Informationen braucht eine offene, demokratische
Gesellschaft. Doch wenn es darum geht, gegen den Klimawandel zu kämpfen,
verlässt man streng genommen die Rolle eines Wissenschaftlers und schlüpft
in die eines Bürgers. Und es steht informierten Bürgerinnen und Bürgern gut
an, Engagement einzubringen.
Doch deswegen erlangt man selbst als bestens informierter Experte in einer
Demokratie kein privilegiertes Wahlrecht und keinen politischen
Sonderstatus. Selbst Nobelpreisträger haben bei Wahlen exakt eine Stimme.
„Unite behind the science“ verweist auf die Rolle der Wissenschaft in
hochkomplexen Situationen und demokratischen Gesellschaften. Es ist ein
offenkundig notwendiger Aufruf, die besten Beschreibungen der Welt und
Prognosen, die wir haben, zu akzeptieren. Das Motto appelliert an ein
rationales Fundament in der Politik. Mehr nicht.
Die politischen Entscheidungen müssen folgen, und sie haben einen anderen
Charakter als wissenschaftliche Erkenntnisse. Damit sei einer Relativierung
der politischen Dringlichkeit keineswegs das Wort gesprochen. Es geht nur
um Klarheit der Argumente und politische Verantwortung, derer man sich
nicht entledigen kann.
1 Nov 2019
## LINKS
[1] /Thunbergs-Segelreise-in-die-USA/!5615733
## AUTOREN
Urban Wiesing
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Erderwärmung
Wissenschaft
Wir retten die Welt
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Welthungerindex
Schwerpunkt Rassismus
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