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# taz.de -- SPD und Grüne in Thüringen: In Ramelows Schatten
> Ob Rot-Rot-Grün in Thüringen weiterregiert, hängt vor aIlem von SPD und
> Grünen ab. Die SPD wirkt farblos. Dabei ist ihre Bilanz gar nicht mal
> schlecht.
Bild: Ob da was steht, was Astrid Rothe-Beinlich von den Grünen und Mathias He…
Erfurt/Jena taz | Auf dem Schreibtisch von Matthias Heys Büro im Erfurter
Landtag stehen zwei kleine weiße Büsten: Lenin und Che Guevara. Beides
Geschenke, Lenin von der Linkspartei, Che von den Grünen. Mindestens
genauso wichtig ist ein Mannschaftsfoto von Wacker Gotha 03, einem
siebtklassigen Fussballverein. Hey, Chef der SPD-Landtagsfraktion, ist bei
Wacker seit Langem Vorstand. Ohne Heimatverbundenheit geht in Thüringen
wenig.
Hey, Weste und Jeans, ist ein freundlicher, ironischer Mann – und der
einzige Sozialdemokrat, der bei der letzten Landtagswahl sein Mandat direkt
gewann. 38 Prozent wählten ihn in Gotha – mehr als doppelt so viel wie dort
die SPD. Die letzten fünf Jahre sieht er milde positiv. „Linkspartei und
Grüne haben vor allem am Anfang vom Regierungsknowhow der SPD profitiert“,
sagt er. Und es sei gelungen, Rot-Rot-Grün zu entdämonisieren.
Doch der SPD scheint als einziger Partei Rot-Rot-Grün nicht so gut zu
bekommen. In Umfragen liegt die SPD besorgniserregend unter 10 Prozent, vor
fünf Jahren bekam sie noch 12,4. Dabei ist die Bilanz nicht übel. Die SPD
bekam, obwohl nur halb so stark wie die Linkspartei, drei
Schlüsselressorts: Finanzen, Wirtschaft und das Innenministerium.
Auch die Zahlen können nicht verantwortlich sein für die SPD-Baisse. So
wurden unter SPD-Finanzministerin Heike Taubert eine Milliarde Euro
Schulden getilgt – und trotzdem wurde in Thüringen so viel Geld ausgegeben
wie nie zuvor. Auf dem Haben-Konto von SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang
Tiefensee steht auch das Vergabegesetz: Nur Firmen, die mehr als 11 Euro
Stundenlohn zahlen, bekommen Aufträge vom Land. Es gibt mehr neue Start-ups
als in anderen Bundesländern, die Arbeitslosenquote liegt knapp über 5
Prozent. Bei der Verfassungsschutzreform inszenierte sich die SPD als
pragmatische Mitte-Partei, die dafür sorgte, dass Grüne und Linkspartei
keinen linksliberalen Unfug anstellen.
Warum also geht es der SPD so mies, Herr Hey?
Das sei eben das „Schicksal von kleineren Parteien, die auf dem
öffentlichen Wahrnehmungsradar nicht vorkommen“, sagt er, insofern
schicksalhaft. Zudem sei die Groko 2018 ein Fehler gewesen. Die Bürger
würden die Merkel-Scholz-Regierung „als Einheitsbrei wahrnehmen“. Man leide
unter dem Bundestrend.
Aber das ist nicht die ganze Wahrheit, es gibt auch Erfurter Gründe. Die
SPD schaut ziemlich ernüchtert auf Rot-Rot-Grün. Ein linker SPD-Mann will
das Wort Projekt nicht mehr in den Mund nehmen, es sei eine ganz normale
Koalition. „Es war nicht die große Harmonie, aber besser als Schwarz-Rot“,
sagt Hey.
Vor fünf Jahren noch hatten SPD-Leute hinter vorgehaltener Hand kühne
Zukunftsvisionen entworfen. Die Linkspartei sei überaltert und müde,
Ramelow ein Mann des Übergangs. In fünf Jahren werde man, als treibende
Kraft der Regierung, den Laden übernehmen. Jetzt ist das Morgen, das man
gestern noch sah, grau.
Die SPD hat unterschätzt, welche Rolle der Ministerpräsident spielt. Sie
konnte nicht ahnen, wie merkelartig sich Ramelow als überparteilicher
Präsident in Szene setzen würde. Auf den Wahlplakaten mit seinem Konterfei
fehlt sogar das Logo der Linkspartei. „Ramelow ist noch mehr Sozialdemokrat
geworden, als er es vorher schon war“, stöhnt ein SPD-Spitzenmann in
Erfurt. Er habe eine enorme „Sogkraft“. Dabei hat Ramelow der SPD „genug
politischen Raum gelassen“, sagt Fraktionschef Hey. Bei SPD und Grünen weiß
niemand wirklich Schlechtes über Ramelow zu berichten. Und irgendwie macht
dies das Problem noch vertrackter, die Abgrenzung schwierig. Vor allem für
die SPD. Die Sozialdemokraten in Thüringen haben es schwer, weil ein
Sozialdemokrat einfach zu populär ist. Eine ganz spezielle Tragik.
Was nun? Die SPD setzt weiter auf Mitte. Man habe bei der Schulreform die
Abschaffung der Förderschulen verhindert – eine in der Tat kluge
Entscheidung. In NRW brach Rot-Grün auch die überambitionierte und
unterfinanzierte Inklusionspolitik das Genick. In Thüringen gelingt es der
CDU kaum, bildungspolitische Entscheidungen und deren Ergebnisse,
klassisches Thema bei Landtagswahlen, zu skandalisieren – beispielsweise
den hohen Unterrichtsausfall. Denn dass es zu wenige junge LehrerInnen
gibt, geht auch auf das Konto der CDU, die in Erfurt 24 Jahre lang
regierte.
Die SPD will sich beim Klimaschutz als Stimme mittlerer Vernunft
inszenieren. „Wir müssen Maß und Mitte halten zwischen den Grünen und
Klimawandelleugnern“, so Hey. Doch bei der Klimapolitik die Mitte zwischen
Grünen – also Vernunft – und AfD – also Irrsinn – zu markieren, ist ni…
nur moralisch fragwürdig. Die Mitte ist in den polarisierten Wahlen der
letzten Zeit generell ein unsicherer Ort geworden.
Ob die SPD die Wahl in einer Woche übersteht, das wird auch in Gotha
entschieden. Wenn Hey seinen Wahlkreis spektakulär wiedergewinnt, wäre das
zumindest ein Symbol dafür, dass die SPD überhaupt noch gewinnen kann.
„Leider denken viele, dass ich sowieso gewinne. Dabei mobilisiert die AfD
enorm“, sagt er.
Nun hofft die SPD auf taktische WählerInnen. Die Linkspartei sei mit fast
30 Prozent an der Grenze ihres Potenzials. Ob Ramelow Ministerpräsident
bleibt, werde von den Kleineren abhängen. „Wer Rot-Rot-Grün will, muss SPD
wählen“, sagt Hey.
## Grüne sind der Schlüssel
„Wer Rot-Rot-Grün will, muss Grüne wählen“, sagt Astrid Rothe-Beinlich. …
ist Parlamentarische Geschäftsführerin der kleinen Grünen-Fraktion, war
1989 in der Bürgerbewegung aktiv. Sie sitzt in ihrem kleinen, fast beengten
Büro. An der Wand hängt ein Bild von Edward Snowden. Sie gehört zum linken
Flügel der Grünen. Doch als 2014 Rot-Rot-Grün an die Macht kam, hegte sie
leise Befürchtungen, ob es mit der Linksfraktion funktionieren würde. Es
gab zwei IMs in deren Fraktion – die Linkspartei, so Rothe-Beinlich, sei ja
„nicht nur Ramelow“. Bei der SPD, die auch aus der Bürgerbewegung entstand,
machte sie sich vor fünf Jahren wenig Sorgen. Jetzt sieht das etwas anders
aus.
Mit der Linkspartei laufe es „sehr professionell“, mit der SPD sei es
„teilweise recht anstrengend“. Manche Sozialdemokraten, so Rothe-Beinlich,
würde auf die Grünen herabschauen und sie insgeheim noch immer für einen
abgespaltenen Teil der Volkspartei SPD halten. „Die SPD kommt schwer damit
klar, dass wir nicht mehr die kleine Partei sind, die mit der
Fünfprozenthürde kämpft.“ Seit Grüne und SPD in Umfragen in etwa gleichauf
liegen, so Rothe-Beinlich, suche die SPD nach Alleinstellungsmerkmalen.
Anja Siegesmund, grüne Umweltministerin und Spitzenkandidatin, sitzt in
einem Café in Jena, studentisch und hip. Die Universitätsstadt Jena ist ein
grünes Biotop. Siegesmund kann sogar das Direktmandat gewinnen – 2014 wäre
das noch unvorstellbar gewesen. Sie lobt die Linkspartei als „absolut
verlässlichen Partner“. Siegesmund war 2014 eine Verfechterin von
Schwarz-Grün und gab mit CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring gemeinsame
Interviews. Sie hat sich längst mit der Linkskoalition angefreundet. Auf
die SPD schaut sie kühler als auf die Linke. „Der härteste Gegner beim
Thüringer Klimaschutzgesetz war SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang
Tiefensee.“
## Grüne Erfolge
Die Erfolgsliste der Grünen ist ziemlich lang – jedenfalls für eine
5,7-Prozent-Partei. Keine Abschiebungen nach Afghanistan, das
Klimaschutzgesetz, das grüne Band – eine Naturschutzzone entlang der
früheren innerdeutschen Grenze –, die Förderung freier Schulen, die
kontinuierliche Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Der wichtigste Erfolg,
sagt Siegesmund, „steht gar nicht im Koalitionsvertrag“. 2014 gab es
Anti-Rot-Rot-Grün-Demonstrationen, die von einer Koalition aus früheren
Bürgerrechtlern, CDU, AfD und sogar einzelnen Sozialdemokraten getragen
wurde. Dabei waren auch Leute, die Siegesmund jeden Sonntag in ihrer
Kirchengemeinde in Jena traf. „Wir haben es geschafft, diese Befürchtungen
völlig zu zerstreuen“, sagt sie. Deshalb wirkt auch der Versuch der CDU,
sich als bürgerliche Mitte gegen die Radikalen Höcke und Ramelow zu
inszenieren, recht hilflos. Die „Rot gleich Braun“-Variante scheitert an
Ramelows Landesvater-Image.
Die Grünen haben es im ländlich geprägten Thüringen schon immer schwer
gehabt. Rund tausend grüne Parteimitglieder gibt es – fast zwei Drittel
davon in Erfurt, Jena und Weimar. „Jenseits der Städte wird es
zugegebenermaßen dünn“, so Astrid Rothe-Beinlich. Auch deshalb dämpft sie
hochfliegende Hoffnungen „Wir kämpfen um die Zweistelligkeit, aber mehr als
10 Prozent scheinen mir unrealistisch.“
Ob es für Rot-Rot-Grün reicht, entscheidet sich bald. Am Sonntag enden die
Herbstferien. In Brandenburg und Sachsen gewannen im letzten Moment die
Parteien der Ministerpräsidenten SPD und CDU. Die Wahlbeteiligung stieg,
die Kleineren gingen beim Showdown gegen die AfD unter. Werden die Grünen
bei der Polarisierung zwischen Ministerpräsident und Rechtsextremen,
zwischen Ramelow und Höcke, zerrieben? Rothe-Beinlich glaubt nicht, dass
den Grünen in Erfurt das Schicksal der Linkspartei in Brandenburg droht.
Der Klimaschutz zahle sich vor allem für die Grünen aus. Die Höcke-Partei
greife vor allem die grüne Frauenriege im Landtag grob an. „Wir werden als
Gegenpol zur AfD wahrgenommen, weil wir ohne Wenn und Aber Haltung zeigen.“
Sicher ist nur, dass es knapp wird. Und schwierig, wenn es für Rot-Rot-Grün
nicht reicht. AfD und CDU sowie CDU und Linkspartei sind inkompatibel.
Womöglich droht eine geschäftsführende Regierung, vielleicht gibt es
Neuwahlen. SPD und Grüne hoffen derweil, dass die ThüringerInnen einfach
keine Lust auf Unübersichtlichkeit haben.
21 Oct 2019
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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