# taz.de -- Boris Johnsons Parteitagsrede: Die Hoden des Kängurus | |
> Großbritanniens Premier bekennt sich vor seiner Partei zum Brexit am 31. | |
> Oktober. Und er stellt die Umrisse eines neuen Abkommens mit der EU vor. | |
Bild: Star-Inszenierung für Boris Johnson beim Parteitag der Konservativen | |
Berlin taz | „Wir kommen heraus aus der EU am 31. Oktober, egal was | |
passiert“: Mit keinem Satz erntete [1][Boris Johnson] am Mittwoch mittag | |
mehr Applaus als mit diesem klaren Bekenntnis zum pünktlichen Brexit. Der | |
britische Premierminister sprach zum Abschluss des Jahresparteitags der | |
regierenden Konservativen in Manchester. | |
Es war Johnsons erste Parteitagsrede als Premierminister, und sie fand | |
unter dem Parteitagsmotto „Get Brexit Done“ statt – ein Satz, den er selb… | |
immer wieder in seine Rede einflocht: Der Vollzug [2][des Brexits] werde | |
Großbritanniens Erneuerung möglich machen. Nach Johnson-Maßstäben, werteten | |
Johnson-Experten hinterher, war der 45-minütige Auftritt unspektakulär, | |
aber aufschlussreich. | |
Der Premier sprach am gleichen Tag, an dem seine Regierung förmlich ihre | |
detaillierten schriftlichen Vorschläge für eine Neufassung des | |
Brexit-Abkommens mit der EU nach Brüssel schicken wollte. Diese Vorschläge | |
sollen eine Alternative zum sogenannten Nordirland-Backstop darstellen, an | |
dem die Annahme des bestehenden Deals dreimal im britischen Parlament | |
gescheitert ist, weil er Großbritannien auf Dauer an die EU-Zollunion | |
bindet. | |
„Einen Kompromiss für beide Seiten“ nannte Johnson vor den | |
Parteitagsdelegierten den neuen britischen Vorschlag und umriss die | |
wichtigsten Punkte: keine Kontrollen „an oder in der Nähe der Grenze“ | |
zwischen dem britischen Nordirland und der zur EU gehörenden Republik | |
Irland; Einhaltung des Karfreitagsabkommens, das 1998 den Bürgerkrieg in | |
Nordirland beendete; Bewahrung der geltenden Regularien – also der Regeln | |
des EU-Binnenmarkts – für die Wirtschaft „auf beiden Seiten der Grenze“, | |
solange die nordirischen Institutionen das mittragen, und zugleich Austritt | |
aus der EU-Zollunion, was Großbritannien nach dem Brexit eine eigene | |
Außenhandelspolitik ermöglicht. | |
„Die Alternative ist: No Deal“, rief Johnson zu starkem Applaus. Man wolle | |
das nicht, aber „wir sind bereit“. | |
Das Brexit-Konzept war bereits am Vorabend an die Johnson nahestehende | |
Tageszeitung Daily Telegraph geleakt worden, die damit am Mittwoch unter | |
Schlagzeile „Brexit-Plan enthüllt: Premierminister krempelt die Ärmel hoch, | |
um Brüssel finales Angebot zu schicken“ titelte. Dem Zeitungsbericht | |
zufolge soll Nordirland bis 2025 im EU-Binnenmarkt bleiben und dann selbst | |
entscheiden, wie es weitergeht – damit gäbe es eine befristete | |
„regulatorische Grenze“ zwischen Nordirland und Großbritannien, was Theresa | |
May früher immer abgelehnt hatte. | |
Das gesamte Vereinigte Königreich – also Großbritannien und Nordirland – | |
werde aber bereits nach Ende der im Deal anvisierten Übergangsfrist, die | |
bis Ende 2021 läuft, die EU-Zollunion verlassen. Um die dann prinzipiell | |
nötigen Grenzkontrollen auf der irischen Insel zu vermeiden, solle die EU | |
Nordirland eine Ausnahmeregelung von seinem Zollregime erteilen und | |
Kontrollen durch technologische Maßnahmen ersetzen, die bis Ende 2021 zu | |
entwickeln sind. | |
Johnsons Formulierungen vor den Parteitagsdelegierten werden von | |
Kommentatoren allerdings als etwas unbestimmter gewertet – möglicherweise | |
in Reaktion auf erste, sehr ablehnende Stellungnahmen aus Brüssel und | |
Dublin zu den neu bekanntgewordenen Vorschlägen. Genaueres wird man erst | |
wissen, wenn der schriftliche Vorschlag veröffentlicht wird. | |
Für die konservativen Aktivisten in Manchester war Johnsons klares | |
Bekenntnis zum Brexit am 31. Oktober genug. In einem Großteil seiner Rede | |
zeichnete der Premierminister eine Zukunftsvision Großbritanniens als | |
„offenes, nach außen gekehrtes, globales“ Land mit hohen Einkommen und | |
niedrigen Steuern, weltweit führend in grüner Technologie, liberal, | |
„glücklich und selbstbewusst“. | |
Für all das brauche man den Brexit, und nur so könne man Großbritannien | |
wieder zusammenführen. Johnson situierte sich klar auf dem linken Flügel | |
seiner Partei, kündigte massive staatliche Investitionen in Gesundheit und | |
Bildung, in Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur an. „Talent und | |
Genialität sind gleichermaßen über das ganze Land verteilt – aber Chancen | |
sind nicht gleichermaßen über das ganze Land verteilt!“, rief er in einer | |
Schlüsselpassage, die starken Beifall bekam. „Es ist die Pflicht der | |
Konservativen, Talente in jeder Ecke des Vereinigten Königreiches | |
freizusetzen.“ | |
Die schärfste Kritik reservierte Boris Johnson für Jeremy Corbyn, den er | |
als Führer einer als „sich gegenseitig bekämpfende antisemitische | |
Marxisten“ bezeichneten Labour-Opposition am liebsten in eine noch zu | |
entwickelnde Weltraumstation schicken wolle, sowie für das Parlament, das | |
sowohl den Brexit als auch Neuwahlen verhindere. | |
„Wenn das Parlament eine Reality-TV-Show wäre, hätte man uns alle längst | |
aus dem Dschungel geworfen. Aber immerhin hätten wir zusehen können, wie | |
der Speaker den Hoden eines Kängurus essen muss“, rief der Premier zu | |
anschwellendem Gelächter. „Und die traurige Wahrheit ist, dass die Wähler | |
bei ‚Dschungelcamp‘ mehr zu sagen haben als mit diesem Unterhaus.“ | |
2 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Boris-Johnson/!t5048360 | |
[2] /Schwerpunkt-Brexit/!t5313864 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Großbritannien | |
Schwerpunkt Brexit | |
Konservative | |
Tories | |
Boris Johnson | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Brexit | |
Boris Johnson | |
Großbritannien | |
Theresa May | |
Theresa May | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klage gegen Boris Johnson abgewiesen: Atempause für den Premier | |
Ein schottisches Gericht lehnt eine Verfügung gegen Johnson ab. Er sollte | |
zur Einhaltung des Gesetzes gegen einen No-Deal-Brexit gezwungen werden. | |
Verfahren in Schottland: Brexit-Knoten für Boris Johnson | |
Kann ein Brexit-Aufschub auch ohne Zutun des britischen Premierministers | |
Realität werden? Ein schottisches Gericht berät am Montag darüber. | |
Brexit und die Zukunft Großbritanniens: Eine englische Erfindung | |
Der Brexit müsste eigentlich Eexit heißen. Denn Schotten, Waliser und | |
Nordiren möchten mehrheitlich in der Europäischen Union bleiben. | |
Boris Johnsons widersprüchliches Image: Die zwei Gesichter des Premiers | |
Er ist konservativ wie chaotisch, konfrontativ und vernünftig. Beim | |
Tory-Parteitag zeigte sich Boris Johnson in seiner ganzen | |
Widersprüchlichkeit. | |
Tory-Parteitag in Manchester: Alles super! | |
Auf dem Parteitag der Konservativen loben die Delegierten Boris Johnson. | |
Sie wollen Neuwahlen, um sie zu gewinnen – mit Brexit und Sozialausgaben. | |
Parteitag der britischen Konservativen: Chefin punktet gegen Rebell | |
Der britischen Premierministerin Theresa May gelang ein souveräner | |
Parteitagsauftritt. Am Ende sind die Rollen fast vertauscht. | |
Theresa Mays Rede zum Parteitagsende: Mühevolle Pflichterfüllung | |
Glücklos und von Pannen begleitet: Theresa May bringt den Parteitag ihrer | |
regierenden Konservativen mehr schlecht als recht zuende. |