# taz.de -- Brexit und die Zukunft Großbritanniens: Eine englische Erfindung | |
> Der Brexit müsste eigentlich Eexit heißen. Denn Schotten, Waliser und | |
> Nordiren möchten mehrheitlich in der Europäischen Union bleiben. | |
Bild: Die Schotten machen sich auf und davon. Erstmal nicht ins All aber vermut… | |
Die Europäische Union und Irland wollen mit der britischen Regierung reden, | |
aber sie schätzen die Aussichten auf einen Deal als gering ein. [1][Der | |
britische Premierminister Boris Johnson] hat zum ersten Mal eine konkrete | |
Alternative zum irischen Backstop vorgelegt. Dieser Notfallplan sah vor, | |
dass Großbritannien in der Zollunion und Nordirland quasi im Binnenmarkt | |
bleiben sollte. Damit wäre eine harte Grenze in Irland vermieden worden. | |
Das britische Parlament sagte jedoch Nein. | |
Laut Johnsons Vorschlag soll Nordirland zwar im Binnenmarkt bleiben, aber | |
die Zollunion gemeinsam mit dem Rest des Vereinigten Königreichs verlassen. | |
Wie aber will man Zölle erheben, ohne eine Grenze zwischen Irland und | |
Nordirland zu errichten? Johnson behauptet, das ließe sich durch Anmeldung | |
von Waren vor dem Grenzübertritt, durch Untersuchungen auf den | |
Firmengeländen der Händler oder durch Technologie regeln. Würde das | |
funktionieren, dann hätte man es längst auf den Tisch gebracht. Doch die | |
Technologie, um eine virtuelle Grenze ohne physische Grenzkontrollen | |
sichern zu können, gibt es bisher nicht. | |
Darüber hinaus soll die Vereinbarung von der Zustimmung der nordirischen | |
Regionalregierung abhängen, die alle vier Jahre ihr Plazet geben müsste. | |
Doch erstens gibt es diese Regierung seit mehr als zweieinhalb Jahren | |
nicht, weil sich die Koalitionspartner, die für die Union mit | |
Großbritannien eintretende Democratic Unionist Party (DUP) und die für eine | |
irische Vereinigung eintretende Sinn Féin, zerstritten haben. Und zweitens | |
wäre das genau der befristete Backstop, den die Dubliner Regierung stets | |
abgelehnt hat. | |
Die EU reagierte diplomatisch, weil man sich nicht die Schuld an einem | |
Scheitern zuschieben lassen will. Denn darum geht es Johnson. Er weiß, dass | |
sein Vorschlag für die EU höchstens eine Basis für Gespräche, aber nicht | |
für einen Deal ist. Johnson steuert in Wirklichkeit auf einen harten | |
[2][Brexit] am 31. Oktober zu, auch wenn sich das Parlament für eine | |
erneute Verlängerung der Ausstiegsfrist entschieden hat. | |
Der Brexit ist eine englische Erfindung, korrekt müsste er Eexit heißen. | |
Schotten, Nordiren und Waliser haben mehrheitlich für den Verbleib in der | |
EU gestimmt. Zwar hat Wales mit 52 Prozent für den Brexit votiert, aber es | |
waren die englischen Rentner, die dafür gesorgt haben, wie eine | |
Untersuchung von Professor Danny Dorling von der Universität Oxford | |
festgestellt hat. Der Vorsprung für Brexit betrug lediglich 82.000 Stimmen. | |
In Wales leben rund 650.000 Engländer, mehr als ein Fünftel der | |
Bevölkerung, ein Viertel davon über 65. In den Gegenden, wo Walisisch | |
gesprochen wird und wo sich nur wenige Engländer angesiedelt haben, gab es | |
eine deutliche Mehrheit für den Verbleib in der EU. | |
Die Union spielt für Brexit-Befürworter, Tory-Wähler und | |
Tory-Parteimitglieder keine Rolle, auch wenn ihre Partei offiziell | |
Conservative and Unionist Party heißt. Laut Umfragen würden sie, ohne mit | |
der Wimper zu zucken, das Auseinanderfallen des Vereinigten Königreichs als | |
Preis für den Brexit in Kauf nehmen. Und genau das wird bei einem harten | |
Ausstieg wohl passieren. Die schottische Regionalregierung der Scottish | |
National Party (SNP) will schon nächstes Jahr ein neues | |
Unabhängigkeitsreferendum anberaumen, und die irische Vereinigung würde | |
dadurch beschleunigt. | |
Johnson hat sich vorigen Monat zum Minister für die Union ernannt. Solch | |
einen Posten gab es bisher nicht. Dass man ihn geschaffen habe, sei ein | |
sicheres Zeichen dafür, dass diese Union in Schwierigkeiten stecke, | |
schreibt der politische Kommentator Fintan O’Toole. Johnson hat 10 | |
Millionen Pfund zur Verfügung gestellt, um die Union zu stärken. Für die | |
Vorbereitungen auf einen harten Brexit will er 8,3 Milliarden Pfund | |
ausgeben. | |
„10 Millionen, um die Union zu erhalten, 8,3 Milliarden, um sie zu | |
zerstören“, stellt O’Toole fest. Deutlicher könne man seine Prioritäten | |
nicht setzen. | |
4 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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