# taz.de -- Tory-Parteitag in Manchester: Alles super! | |
> Auf dem Parteitag der Konservativen loben die Delegierten Boris Johnson. | |
> Sie wollen Neuwahlen, um sie zu gewinnen – mit Brexit und Sozialausgaben. | |
Bild: Unter dem Parteitagsslogan stehen Delegierte Schlange an der Einlasskontr… | |
Manchester taz | Eine riesige Sicherheitsabsperrung, mitten in der | |
Großstadt. Wer hier reinwill, muss sich nicht nur ausweisen können, sondern | |
durch drei Sicherheitskontrollen gehen und alles durchleuchten lassen. | |
Hochbewaffnete Polizeibeamte und auf Sprengstoff gedrillte Spürhunde stehen | |
im Hintergrund bereit. Sogar das Hotel am Konferenzzentrum ist in die | |
Sicherheitszone eingeschlossen. Was wird hier geschützt? | |
Die Zone ist nicht etwa der Innenbereich Kabuls, sondern hier tagen seit | |
dem Wochenende in Manchester die britischen Konservativen. In förmlicher | |
Kleidung, bei Männern meist uniform dunkelblaue Anzüge, bewegen sich | |
Parteimitglieder durch die Hallen und an die Seminarräume mit einem | |
Riesenaufgebot von Vorträgen und Präsentationen, nicht nur von konservativ | |
angehauchten Vereinigungen und Denkfabriken, sondern auch von | |
Sozialverbänden und aus der Geschäftswelt. Anders als bei den Parteitagen | |
von [1][Labour] oder den [2][Liberaldemokraten] gibt es bei den | |
Konservativen auch einen Aussteller für Maßanzüge und Edelhemden. | |
Die Stimmung ist freundlich-professionell. Den Delegierten gefällt es. Mark | |
Penelly, 35, aus Woking in Südengland, erzählt, dass dieser Parteitag zum | |
ersten Mal Einheitssinn aufweise und dass dies wohl auch etwas mit der | |
Person Boris Johnson zu tun habe. Lizzy, 26, aus Bedfordshire, sagt, der | |
Parteitag mache sie hoffnungsvoll, da klargemacht werde, dass die | |
Konservativen für mehr als nur Brexit stehen. „Wir sind uns hier alle | |
einig“, resümiert ein älterer Delegierter aus der Gegend von Manchester: | |
Endlich sei die Partei so, wie es sein müsse. | |
Aussteller wie Airbus oder Bombardier, ja selbst der Sprecher des | |
italienischen Verbands der Konservativen, äußern sich zum Thema EU | |
diplomatisch und neutral. Der stellvertretende Vorsitzende des Verbandes | |
der britischen Landwirte (NFU), Guy Smith, artikuliert sich deutlicher, | |
spricht über die [3][Verletzlichkeit des Agrarsektors] und seine | |
spezifischen Forderungen im Falle eines nichtgeregelten Brexits. Er habe | |
darüber auf dem Parteitag bereits mit dem Brexitminister und dem | |
Agrarminister gesprochen, erklärt er. | |
## No walk in the park | |
Wenn es irgendwo in Großbritannien Hinweise darauf geben sollte, ob das | |
Land auf einen ungeregelten Brexit vorbereitet ist, müsste es hier sein, wo | |
alle versammelt sind, die dazu etwas zu sagen haben. Die Antwort scheint | |
jedoch einstudiert zu sein. „No Deal ist kein Spaziergang im Park“, heißt | |
es etwa von Verkehrsminister George Freeman. | |
Freeman befürwortet das „bewusste Risiko“ der No-Deal-Strategie Boris | |
Johnsons, um das ewige Hin und Her um den Brexit zu brechen. Alles hänge | |
nun vom „guten Wille“ der EU ab. „Auch die EU-Politker werden gegenüber | |
ihren Menschen Konsequenzen wie medizinische Engpässe, fehlende | |
Nahrungsmittel oder wirtschaftliche Verzögerungen vermeiden wollen.“ Dies | |
sei ihnen bestimmt wichtiger als eine politisch puristische Haltung zur | |
Integrität des Binnenmarkts und der Zollunion. | |
Handelsministerin Liz Truss malt in einer Veranstaltung ein Bild eines | |
„globalen Großbritanniens“, das die Beschränkungen der EU-Mitgliedschaft | |
überwindet. Man steuere Handelsverträge mit Australien, Neuseeland, den USA | |
und Kanada an. Sie erwähnt Schweinefleischexporte nach China und | |
Lammexporte in die USA. „Großbritannien wird in einem Regime niedriger | |
Steuern und Freihandel Handelsfreiheit aufblühen“, sagt sie zuversichtlich. | |
Unter ihren Zuhörern ist die aus der Karibik stammende Rechtsanwältin | |
Rachel Okello, aus Sutton Coldfield in der Nähe von Birmingham – sie gibt | |
an, dass sie sich bald als Unterhauskandidatin bewerben will. Sie findet es | |
„interessant“, dass Truss Handel mit den karibischen oder afrikanischen | |
Commonwealthstaaten mit keinem Wort anspricht. | |
## 20.000 neue Polizeistellen werden versprochen | |
Aber solche Kritik bleibt marginal. „Get Brexit Done“ lautet der | |
Parteitagsslogan, der vor dem Konferenzzentrum und im großen Plenarsaal | |
hängt, neben der Parole „Investiert in das nationale Gesundheitsystem, | |
Polizei und Schule“. Für Letzteres kündigt Finanzminister Sajid Javid vor | |
den begeisterten Delegierten eine Finanzspritze von 50 Milliarden Pfund | |
(über 55 Milliarden Euro) an. Die bereits bekannte Ankündigung von 20.000 | |
zusätzlichen Polizisten – ein klarer Bruch mit Theresa Mays Kürzungen – | |
wird von Innenministerin Priti Patel wiederholt. | |
Worin es bei diesen Versprechen geht, zeigt sich in einer | |
Nebenveranstaltung zur Frage, inwiefern die wirtschaftlich Schwächsten bei | |
zukünftigen Wahlen den Ausschlag geben könnten. Alan Mak, Großbritanniens | |
erster Parlamentsabgeordneter mit chinesischen Wurzeln, seine Eltern | |
stammen aus China, erläutert, dass in den 100 am stärksten umkämpften | |
Wahlkreisen 1,4 Millionen Menschen in prekären Verhältnissen lebten, | |
während die Abgeordnete Nusiat Ghani darauf hinweist, dass das Bekenntnis | |
zum Brexit nicht ausreiche, um die Arbeiterklasse an die Konservativen zu | |
binden – es gehe auch um gute Schulen, bessere soziale Versorgung und | |
Verbrechensbekämpfung. | |
Die Konservativen bereiten sich in Manchester auf den nächsten Wahlkampf | |
vor. Mit Brexit und massiven staatlichen Investitionen soll in nord- und | |
mittelenglischen Industrieregionen die Dominanz Labours gebrochen werden, | |
sagt ein Parteimitglied aus Leicester der taz. Wenn das gelingt, könnten | |
die Tories im Unterhaus die Mehrheit zurückgewinnen, die sie derzeit nicht | |
haben. | |
Der Weg dahin ist aber noch weit. Auf einer Veranstaltung im Plenarsaal zum | |
Thema soziale Gerechtigkeit gesteht Kaneez Khan, Leiterin einer | |
freiwilligen Nachbarschaftsinitiative in einer sozial und ethnisch | |
gespaltenen Gegend in West Yorkshire, sie habe sich sehr schwergetan mit | |
der Entscheidung, zum konservativen Parteitag zu kommen. | |
Auf ihrer Facebookseite schreibt sie dazu, dass der Grund das Verhalten | |
Boris Johnson im Parlament gewesen sei und seine vor einigen Jahren in | |
einer Zeitungskolumne getätigte Beschreibung muslimischer Frauen – sie ist | |
selber hidschabtragende Muslima – als Menschen, die wie Briefkästen und | |
Bankräuber aussehen: „Ich entschied mich dennoch zu kommen, um Menschen von | |
unserem Dialog und unserer Botschaft zu erzählen.“ | |
## „Boris, Boris“-Rufe auf die Rednerbühne | |
Eine Nebenveranstaltung über Islamophobie wurde jedoch von den | |
Veranstaltern storniert, im Seminarraum saßen nur acht Personen, während | |
ein Zimmer weiter mehrere hundert Delegierte zum Empfang der nordirischen | |
DUP-Unionisten kamen, bei der auch Boris Johnson unter lauten „Boris, | |
Boris“-Rufen auf die Rednerbühne kam. Vereinzelte riefen „No Surrender – | |
keine Kapitulation“, jene von Johnson verteidigte Wortwahl, die vergangene | |
Woche von Parlamentariern als aufwiegelnd kritisiert wurde und die aus | |
protestantischen Bürgerkriegszeiten in [4][Nordirland] stammt. | |
Hier wird die britische Union hochgepriesen und Jeremy Corbyn | |
niedergemacht. DP-Fraktionsführer Nigel Dodds bezeichnet den Labour-Chef | |
als „dreckig“ und Labour in England als „Hindernis der Union“, DUP-Chef… | |
Arlene Foster fordert ein besseres Austrittsabkommen mit der EU und die | |
Wiedereinsetzung der nordirischen Regionallregierung. Boris Johnson | |
wiederholt diese Worte. Und auch die oft zu hörende Parole: „Ein No-Deal | |
wird kein Spaziergang im Park.“ | |
2 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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