# taz.de -- Erfolgsmodell Primus-Schulen in NRW: Inklusion statt Ideologie | |
> Die Zukunft der fünf inklusiven Primus-Schulen ist gefährdet. Am Mittwoch | |
> ist Primus deshalb Thema im Schulausschuss des Landtags. | |
Bild: Lange wird gemeinsam gelernt in den Primusschulen, wie hier in Minden | |
Düsseldorf taz | Sie setzen auf die [1][Inklusion] von Schüler*innen mit | |
Handicap, unterrichten jahrgangsübergreifend – und verhindern mit einem | |
durchgehenden Angebot von Klasse 1 bis 10 die Trennung gerade einmal | |
zehnjähriger Kinder in potenzielle Abiturient*innen und gefühlte | |
Bildungsverlierer*innen: Nordrhein-Westfalens [2][Primus-Schulen] gelten | |
als Erfolgsmodell. | |
Trotzdem macht sich an den fünf Schulen des in Münster, Minden, Titz, | |
Schalksmühle und Viersen gestarteten Versuchs Unruhe breit. Eltern und | |
Lehrer*innen fürchten, dass die schwarz-gelbe Landesregierung von | |
CDU-Ministerpräsident Armin Laschet das ungeliebte Erbe der einstigen | |
grünen Schulministerin Sylvia Löhrmann ab 2023 leise auslaufen lassen | |
könnte. | |
Mit „Entsetzen und Unverständnis“ hätten die Eltern gehört, dass Primus | |
„nicht gesichert“ sei, schreibt etwa Stefan Schemann, | |
Schulpflegschaftsvorsitzender in Münster, in einem Brief an Löhrmanns | |
Nachfolgerin, FDP-Ministerin Yvonne Gebauer. Denn die will sich trotz | |
positiver Bewertung der von Professor*innen der Universitäten Münster und | |
Bremen gelieferten wissenschaftlichen Begleitforschung nicht zu dem | |
Schulversuch bekennen. Nordrhein-Westfalens Christdemokraten und Liberale | |
gelten traditionell als massive Unterstützer*innen des in Haupt- und | |
Realschulen sowie Gymnasien geteilten Schulsystems. | |
Zwar wären Berichte, nach denen das Aus der Primus-Schulen schon heute | |
beschlossene Sache sei, „Falschmeldungen“, heißt es auf taz-Anfrage aus dem | |
Düsseldorfer Schulministerium. Allerdings: „dem Landtag berichten“ wolle | |
Ministerin Gebauer erst „im Sommer 2021“. Damit ist mehr als unklar, ob das | |
Landesparlament noch in dieser Legislaturperiode über Primus entscheidet. | |
Erst im Mai 2022 stehen in NRW Neuwahlen an. | |
## Unsicherheit lässt Eltern zweifeln | |
Dabei lässt die unsichere Zukunft manche Eltern gerade aus dem | |
bildungsaffinen Milieu bereits heute zweifeln. Schließlich sollen sie ihr | |
Kind an einer Schule anmelden, bei der frühestens 2021, vielleicht aber | |
auch 2022 oder gar erst 2023 entschieden wird, ob sie nach dem Schuljahr | |
2023/24 überhaupt weiterbesteht. „Schon der Begriff ‚Schulversuch‘ klingt | |
doch gruselig“, sagt Mirjam Frömrich, Schulpflegschaftsvorsitzende in | |
Minden. Die 44-Jährige ist von Primus überzeugt: „Die Lehrer*innen machen | |
ganz tolle Arbeit“, findet sie: „Die versuchen, die Kinder auch in | |
leistungsschwächeren Phasen einzubinden – und fragen nicht: Wie werden wir | |
diesen Problemfall los“, sagt die Sozialarbeiterin. „Es ist total | |
unverständlich, dass die Politik nicht ‚Halleluja‘ ruft.“ | |
Mit „ganz viel Werbung“ versucht die Mindener Schulpflegschaft deshalb, | |
andere Eltern von Primus zu überzeugen: „Wir präsentieren die Schule beim | |
Drachenbootrennen, waren auch beim Weser-Fest“, sagt Frömrich. Von der | |
Düsseldorfer Landesregierung fühlt sie sich dagegen „im Stich gelassen“. | |
CDU und FDP könnten den Schulversuch einfach „durch Nichtstun beenden“, | |
warnt auch der Schulleiter der Primus-Schule in Münster, Reinhard Stähling. | |
In Minden hofft Stählings Kollegin Antje Mismahl weiter auf eine schnelle | |
Änderung des Schulgesetzes. Doch in einer erst Mitte Juli vorgelegten | |
Schulgesetz-Novelle wird Primus nicht einmal explizit erwähnt. Allerdings: | |
„Zur systematischen und kontinuierlichen Erprobung kann das Land | |
Versuchsschulen auch dauerhaft fortführen“, heißt es darin immerhin. | |
„Bei politischem Willen“ könne Primus also problemlos fortgesetzt werden, | |
sagt deshalb die schulpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, | |
Sigrid Beer. Doch FDP-Ministerin Gebauer setze „aus ideologischen Gründen“ | |
offenbar ganz gezielt auf Verunsicherung. „Damit sinken die Anmeldezahlen“ | |
– und das könne als Argument dienen, Primus als gescheitert darzustellen, | |
fürchtet Beer. Die Regierungskoalition müsse schleunigst klarmachen, dass | |
und wie es mit Primus weitergehe, fordert die Grüne ebenso wie | |
SPD-Landtagsfraktionsvize Eva-Marie Voigt-Küppers. An diesem Mittwoch ist | |
Primus deshalb Thema im Schulausschuss des Landtags. | |
„Völlig unverständlich“ sei, dass über die Zukunft der fünf Schulen | |
„überhaupt diskutiert“ werden müsse, sagt die NRW-Vorsitzende der | |
Erziehungsgewerkschaft GEW, Maike Finnern. Der Primus-Schulversuch sei | |
nicht nur wegen der wegfallenden Auslese nach der vierten Klasse, sondern | |
auch wegen der funktionierenden Inklusion vorbildhaft. An den | |
weiterführenden Schulen leide die von Gebauer angekündigte „Neuausrichtung�… | |
des gemeinsamen Lernens von Schüler*innen mit und ohne Handicap dagegen an | |
fehlenden Konzepten, fehlendem Personal, mangelnder Fortbildung und | |
Ausstattung. | |
Vor Ort machen sich deshalb auch christdemokratische Kommunalpolitiker für | |
Primus stark. Ein „absoluter Glücksgriff“ sei die Schule, sagt etwa Jürgen | |
Frantzen, CDU-Bürgermeister am Standort Titz, gelegen zwischen Köln und | |
Aachen. Ohne den Versuch gäbe es dort keine weiterführende Schule mehr – | |
für ein dreigliedriges System gibt es in dem 8.300 Einwohner*innen | |
zählenden Ort zu wenige Kinder. Allein ist der Rheinländer Frantzen nicht – | |
Unterstützung kommt auch aus Westfalen: „Münster“, sagt der dortige | |
CDU-Schuldezernent und Stadtdirektor Thomas Paal, „steht hinter dem | |
Schulversuch Primus-Schule.“ | |
2 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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