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# taz.de -- Separates Lernen sozial Benachteiligter: Am Rande der Legalität
> Am Wochenende fand in Köln der Kongress "Ein Schule für alle" statt:
> Pädagogen, Eltern und Forscher fordern die Abschaffung von Sonderschulen.
Bild: 90 Prozent der behinderten Kinder gehen auf Sonderschulen.
KÖLN taz Als Heinz Forcher seinen Sohn zum zweiten Mal in die Sonderschule
brachte, wusste er nicht mehr ein noch aus. 100 Kilometer war er gefahren,
weit weg von zu Hause. Sein Jüngster, ein schwerst mehrfach Behinderter
schrie, er wollte nicht bleiben. "Er hörte nicht mehr auf zu weinen". Heinz
Forcher ist danach sofort zur Bezirksregierung gefahren, um sich zu
erkundigen, wie sein Sohn in eine Schule vor Ort gehen könnte. "Aber die
Behörden haben mich erst mal sechs Wochen im Kreis herum geschickt."
Heinz Forcher ist ein Bulle von Kerl. Ein Macher, ein Hotelmanager, der im
Kampf um das Schulrecht des Sohnes sein Vermögen verloren hat. Jetzt steht
er vor Hunderten von Menschen in der Kölner Universität und sagt. "Es gibt
nur eine Kraft, die das verändern kann, es ist die Kraft der Eltern."
Menschen wie Forcher sind es, die sich am Wochenende in Köln zum Kongress
"Eine Schule für alle" eingefunden haben. Es sind ganz verschiedene Leute,
Sonderpädagogen, Schulleiter, Forscher und eben Eltern von Kindern mit
Beeinträchtigungen. Sie eint eine starke Behauptung: "Sonderschulen sind
eine Menschenrechtsverletzung". Wenn dieser Satz im Auditorium Maximum der
Uni fällt, dann brechen sie in einen befreiten Jubel aus. Manchen laufen
auch die Tränen herunter. Denn ihre Kinder, die das Down-Syndrom haben, die
geistig behindert sind, taubstumm oder blind, sie gehen zu 90 Prozent in
Sonderschulen. Und die allermeisten von ihnen wollen da nicht bleiben.
Drei Mädchen machen einen Generalprobe für ihre Südafrikapräsentation. "In
Südafrika im Süden von Afrika ist es sehr heiss und es gibt wenig Wasser",
sagt eine. Macht eine Pause, guckt unsicher ihre Mitschülerinnen an.
"Klingt gut, ist aber jetzt ein bisschen blöd, dass du das auswendig
gelernt hast", sagt eine zu ihrer gehandikapten Freundin. "Das merkt die
Lehrerin!"
So sieht gemeinsames Lernen von behinderten und - wie sie in Köln gerne
sagen - "so genannten nicht behinderten Kindern" aus. An der
Fläming-Grundschule in Berlin wird Integration schon fast 30 Jahre
praktiziert. Eine Modellschule, deren Kinder klassenweise weiter auf die
Sophie-Scholl-Oberschule gehen können. Es steht auch in beinahe allen
deutschen Schulgesetzen, dass die Integration behinderter Kinder in normale
Schulen Vorrang hat - nur in der Praxis sieht das oft ganz anders aus.
"Wir wissen nicht, ob wir kommendes Jahr wieder zwei Klassen mit
gemeinsamem Unterricht haben werden", sagt Johannes Krane-Erdmann. Er ist
Sonderpädagoge an der Ernst-Moritz-Arndt-Grundschule in Köln, die auf
Integration auch schwer behinderter Kinder spezialisiert ist. Aber die
Beschlüsse der Schulbürokratie sind schwer nachvollziehbar. Mal ist es die
Landesregierung, die mit den nötigen Stellen für die Förderkinder knausert,
mal sind es die Schulämter, mal sind es die Lehrerkollegien selbst, welche
die Aufnahme behinderter Kinder blockieren. "Ich weiss nicht, ob ich mein
Kind an eine Schule klagen soll, wo es nicht willkommen ist", berichtet
Claudia Schirocki, die Mutter eines Down-Kindes von ihrer Situation.
Dass die Eltern ihre Kinder nicht in die vorhandenen Sonderschulen stecken
wollen, ist kein Wunder. Hans Wocken, Integrationspädagoge aus Hamburg, hat
Sonderschulen für Lernbehinderte untersucht. "Ich wollte wissen, ob die
Förderschulen möglicherweise eine Provinz des Schulwesens sind, die nicht
ungerecht und ineffzient sind", sagt Wocken mit Blick auf die schlechten
Pisaergebnisse der deutschen Regelschule. Das Ergebnis: Sonderschulen
beherbergen überproportional viele Sorgenkinder - Jungen, Migrantenkinder,
sozial Schwache, Kinder Arbeitsloser. "Sonderschulen sind am Rande der
Verfassungslegalität", meint Wocken. In der Tat schreiben sowohl das
Grundgesetz als auch die meisten Verfassungen der Länder vor, dass nicht
die wirtschaftliche Lage für den Schulbesuch ausschlaggebend sein darf.
Bei vielen Teilnehmern herrscht daher große Ungeduld. "Ich unterstütze mit
meiner Arbeit das selektive System nicht mehr", empört sich eine
Sonderschulpädagogin aus Münster. Und eine Kollegin fordert, "die
Sonderschulen sofort und radikal abzuschaffen. Solange es Sonderschulen
gibt, wird man Kinder dorthin abschieben". Andere warnen davor, in die
pädagogisch schlecht vorbereiteten Regelschulen behinderte Kinder zu
schicken: "Wir müssen versuchen, den gemeinsamen Unterricht zu verbreiten",
rät der Kölner Sonderpädagoge Johannes Krane-Erdmann. "Nicht jede Schule
kann von heute auf morgen Schule für alle werden."
Der erste bundesweite Sonderschulkongress kreist um die Frage: Reform des
Schulwesens - oder Revolution. Ein Dilemma, das sich in Zahlen ausdrücken
lässt: Auch der gesetzlich verankerte Vorrang der Integration behinderter
Kinder hat keinen echten Fortschritt gebracht. Nur 15 Prozent der Kinder
mit Handicaps gehen in "normale" Schulen. 420.000 Schüler hingegen werden
in neun verschiedenen Sonderschultypen festgehalten - nicht selten gegen
den Willen der Eltern.
Der Mann, der eine Antwort gibt auf die Verzweiflung der Eltern ist Heinz
Forcher. Er hat das System bezwungen - in Österreich, genauer in der Region
Außerfern. Dort sind die Sonderschulen abgeschafft. Jedes Kind, ganz gleich
wie schwer es benachteiligt ist, kann in die wohnortnahe Schule gehen. Wie
hat Forcher das geschafft? "Alle Menschen haben das Recht auf Würde und die
respektvolle Achtung ihres Soseins. Das ist ein existenzielles
Bürgerrecht", sagt er, "das nicht verhandelbar ist. Da muss man
kompromisslos sein."
18 Nov 2007
## AUTOREN
Christian Füller
## TAGS
Inklusion
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zu schließen.
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