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# taz.de -- Sonderschulen: Die Dümmermacher
> Sonderschulen fördern behinderte Kinder nicht, sondern hemmt ihre
> Entwicklung, wie neue Studien zeigen. Die Bundesregierung schweigt dazu.
Bild: Das Fehlen leistungsstärkerer Klassenkameraden wirft Sonderschüler star…
Vernor Muñoz war höflich wie immer. Der Sonderberichterstatter der UN für
das Recht auf Bildung sagte, Deutschland sei ein "faszinierendes Land".
Niemand brauche sich für das hiesige Schulsystem zu schämen. "Man muss nur
klarstellen, was für die Verwirklichung des Rechts auf Bildung noch zu tun
ist", sagte er bei einer Diskussion im Berliner Wissenschaftszentrum für
Sozialforschung.
Mit dem Klarstellen hat die Bundesregierung freilich ihre Probleme. Auf dem
Schreibtisch von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) stapeln sich
Anfragen, das Recht auf Bildung in Deutschland vollständig zu
verwirklichen. Aber sie verzögert, wie sie nur kann. Sie lässt die
Vereinten Nationen auf die Antwort zu dem Bericht von Muñoz warten, den er
nach einem Besuch im vorigen Jahr verfasst hat.
Sie verschleppt auch die Anfrage der Linksfraktion. Allerdings konnte sie
das nur bis heute Nacht machen, dann muss sie sagen, wie sie die Rechte
behinderter Kinder wahren will. Denn das verlangt die Geschäftsordnung des
Bundestages. Der Abgeordnete Ilja Seifert (Die Linke) vermutet, dass es der
Regierung peinlich sei, die miserable Situation behinderter Kinder in den
Förderschulen zu offenbaren.
Für die über 400.000 betroffenen Schülerinnen und Schüler ist das nicht
peinlich, sondern ein Skandal. Viele von ihnen würden gerne auf normale
Schulen gehen, aber die lokalen Schulbehörden nötigen sie oft dazu,
Sonderschulen zu besuchen. Die Regierung behauptet, dort gebe es
"vielfältige pädagogische Angebote".
Die Fachwelt sieht das ganz anders. Die Kinder auf Förderschulen werden
nicht schlauer, sondern dümmer. Teilweise schrumpft sogar ihr
Intelligenzquotient. Das zeigen neuere Studien. Die Befunde, die der
Integrationspädagoge Hans Wocken kürzlich vorgelegt hat, verschlagen einem
den Atem. Die Förderschule selbst ist demnach hauptverantwortlich für das
traurige Abschneiden ihrer Schüler. Je länger der Aufenthalt in der
Förderschule, umso schlechter werden die Leistungen. Experten glauben, dass
dies am Fehlen leistungsstärkerer Mitschüler und der oft kümmerlichen
Pädagogik in diesen Schulen liegt. "Kognitive Friedhofsruhe" herrsche dort,
sagt Wocken.
Martina Buchschuster hat als Anwältin ein behindertes Kind vor dem
Verfassungsgericht vertreten. Sie ist davon überzeugt, dass die Zustände in
Sonderschulen das Recht auf Bildung Behinderter verletzen. "Im Schulrecht
befinden wir uns im 19. Jahrhundert", sagte sie der taz. Kinder würden
gegen den Willen der Eltern in nachweislich schlechte Schulen gesteckt. Und
sie würden zuvor auf erniedrigende Weise begutachtet - nur damit die
Schulbehörden amtlich feststellen können, dass ein Kind in die Sonderschule
muss. "Schon das ist eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Kindes".
In Strafprozessen seien psychologische Tests nur in Ausnahmen möglich,
"aber im Schulrecht ist es üblich, Gutachten einzuholen, in denen die
angeblich 'extrem niedrige Intelligenz' von Kindern ausgebreitet wird."
Die Anwältin vertritt die Rechte eines Kindes mit Downsyndrom, das die
Schulverwaltung in die Sonderschule zwangsverschicken wollte. Es ist nur
vorläufig gelungen, dem Jungen einen Platz an einer normalen Schule zu
sichern. Buchschuster wüsste, wie das Problem zu lösen sei. Die Regierung
müsste die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ernst
nehmen, die sie selbst unterzeichnet hat. Kein Kind darf "aufgrund seiner
Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden", heißt es
dort. Wenn der Bundestag diese Konvention ratifizieren würde, sagt die
Anwältin, wären die Sonderschulen nicht mehr haltbar. Aber auch diese
Konvention wartet auf das Ende der kognitiven Friedhofsruhe in der
Regierung - und mit ihr rund 430.000 Sonderschüler.
26 Jul 2007
## AUTOREN
Christian Füller
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