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# taz.de -- Bildung und Wagner: Bayreuther Sonderschule
> Wer das deutsche Bildungssystem verstehen will, muss die Festspiele
> besuchen. Das Abstammungsprinzip, an Schulen verbrämt, herrscht dort
> unverblümt.
Bild: Die Geburt der Familientragödie aus dem Geist der Musik: die Wagners
Vielleicht hätte Vernor Muñoz lieber nach Bayreuth fahren sollen. Der
UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung war anlässlich des
Weltlehrerkongresses in dieser Woche wieder einmal nach Deutschland
aufgebrochen. Trotz intensiver Recherchen hat er noch immer nicht so recht
verstanden, warum das hiesige Bildungssystem seine Zöglinge noch immer nach
Abstammung statt nach Begabung sortiert. Aufs Gymnasium kommen hierzulande
fast ausschließlich die Kinder von Akademikern, während die Haupt- oder gar
Sonderschulen überwiegend mit dem Nachwuchs aus bildungsfernen Schichten
bestückt werden. Das erstaunlichste daran ist: Obwohl diese Statistiken
allgemein bekannt sind, empfindet sie in der breiteren Öffentlichkeit kaum
jemand als wirklichen Skandal.
Warum das so ist, das könnte Muñoz am besten bei den Festspielen im
Fränkischen erfahren. Das Abstammungsprinzip, das an Deutschlands Schulen
in eher verbrämter Form regiert, wird dort noch immer ganz unverblümt
propagiert. Dass Richard Wagners Erbe nur dann in den richtigen Händen sei,
wenn in eben jenen Händen auch Wagnersches Blut fließe - diese kuriose
Vorstellung wird weithin akzeptiert. Nicht nur, was verständlich wäre, von
der Wagner-Familie selbst. Sondern auch von den öffentlichen
Zuschussgebern, die Steuergelder eines demokratischen Staatswesens in ein
derart vordemokratisches System pumpen.
Es geht zwar nur um einen vergleichsweise geringen Betrag von rund 4,5
Millionen Euro jährlich, ungefähr ein Zehntel dessen, was ein
großstädtisches Opernhaus für seinen allerdings ganzjährigen Betrieb
benötigt. Aber dieses Opernhaus wird eben auch von einem Chef geleitet, der
von gewählten Politikern idealerweise aus dem Kreis der Fähigsten
ausgewählt wird - und nicht aus einem beschränkten Familienkreis nach dem
Prinzip der geringsten Unfähigkeit. Eben dieser Chef wird für den
überschaubaren Zeitraum von einigen Jahren inthronisiert - und amtiert
nicht auf Lebenszeit. Für dieses Opernhaus kann jeder Steuerzahler nach
einem halbwegs transparenten Verfahren eine Eintrittskarte erwerben, auch
wenn er dafür in Einzelfällen stundenlang anstehen muss - und braucht nicht
jahrelang auf ein undurchsichtiges Zuteilungsverfahren zu warten, das
mutmaßlich zuallererst die eigenen Klientel bedient.
Am Beispiel Bayreuth könnte Vernor Muñoz aber nicht nur demonstrieren, wie
ungerecht das deutsche Beharren auf dem Abstammungsprinzip ist. Der
Juraprofessor aus Costa Rica könnte auch zeigen, dass ein solches System
nur mittelmäßige Ergebnisse hervorbringt. Angesichts des landauf, landab
herrschenden Wagner-Booms bringt mittlerweile fast jedes Stadttheater
innovativere Aufführungen hervor als der Bayreuther Festspielbetrieb.
Es ist geradezu Mitleid erregend anzusehen, wie die brave 29-jährige
Tochter des Festspielintendanten nun plötzlich mit Gewalt die Revoluzzerin
spielen muss, um den Machterhalt des Familienclans zu sichern - und wie
sich der pseudokritische Regisseur Christoph Schlingensief schon im vierten
Jahr für diesen Zweck einspannen lässt. Nicht nur, dass er den
Festspielbetrieb durch seine "Parsifal"-Inszenierung mit dem reichlich
vordergründigen Anschein der Innovationsbereitschaft versah, nein, in
diesem Jahr gab er der Erbin auch noch öffentlich Tipps, mit welchem Gel
man sich die Haare ganz trefflich auf Krawall bürsten könne.
Man muss dem Hausherrn Wolfgang Wagner und seiner Tochter allerdings fast
schon dankbar sein für die abstoßende Offenheit, mit der sie die Herrschaft
des Blutsprinzips zelebrieren. Aufschlussreicher dürfte für Vernor Muñoz
die Strategie der Kontrahentin Nike Wagner sein. Publikumswirksam beteuert
sie, dem "Corpus Bayreuth" müsse endlich "Fremdblut in seine Adern gepumpt"
werden - und gibt dann im selben Interview zu verstehen, dass sie sich
einer Berufung an die Festspielspitze selbstverständlich nicht verschließen
würde. Das ist die subtile Art von Klassenherrschaft, die das
linksakademische Milieu hierzulande goutiert.
Immerhin: Mehr als achtzig Jahre nach der erstmaligen Einführung der
Demokratie ist es im Jahr 2000 endlich gelungen, im deutschen
Staatsangehörigkeitsrecht das Abstammungsprinzip abzuschaffen. Sollte das
eines Tages auch bei den Richard-Wagner-Festspielen gelingen, dann könnte
Vernor Muñoz nach New York melden: Es gibt Hoffnung, dass Talent und
Begabung eines Tages auch im deutschen Schulsystem über die familiäre
Herkunft siegen werden.
26 Jul 2007
## AUTOREN
Ralph Bollmann
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