# taz.de -- Ernten und Erntedankfest: Das verfault ja sonst! | |
> Das muss man schon wissen zum Erntedankfest: Kürbisse sehen im Garten | |
> schön aus, aber einer reicht für die ganze Familie. | |
Bild: Eine Zucchini, ja, aber dann so richtig in der Mehrzahl… | |
Am Sonntag ist Erntedankfest, und die Events dazu findet man beispielsweise | |
auf [1][www.berliner-woche.de]. Vor diesen Feiern für die ganze Familie | |
kommt aber erst mal die Ernte. | |
Wir hatten zum Beispiel mal einen Acker an eine Wohngemeinschaft im | |
Nachbardorf verpachtet, die darauf Zucchini anbauten. Uns ermahnten sie, | |
nicht zu viel davon zu essen, denn sie wollten die ganze Ernte verkaufen. | |
Aber plötzlich waren Tausende von Zucchini reif und sie hatten sich um | |
nichts gekümmert. Flehentlich baten sie, die Zucchini an unsere Tiere zu | |
verfüttern, aber die mochten nach drei Tagen keine mehr. Schließlich | |
landete die ganze Ernte auf dem Misthaufen, der daraufhin umkippte und nur | |
noch eine stinkende Lache war. | |
Wir hatten auch sechs Schafe, als wir die das erste Mal geschoren hatten, | |
besaßen wir bereits genug Wolle zum Selberverarbeiten bis an unser | |
Lebensende. | |
## Rucola in Masse | |
Umgekehrt gab es vor einigen Jahren eine Invasion von Nacktschnecken, die | |
den Gartenbesitzern die Ernte erheblich schmälerten. Die Trockenheit in | |
diesem Jahr wirkte sich unterschiedlich aus: Die einen ernteten dank | |
fleißigem Gießen Badewannen voll mit Rucola, bei anderen gab es so gut wie | |
kein Beerenobst, bei einer Freundin so viele Pflaumen, dass ein dicker Ast | |
abbrach, bevor sie ihn abstützen konnte. | |
Bauern, die nennenswerte Mengen an Weizen anbauten und genug Platz in ihrer | |
Scheune hatten, brachten ihre Ernte nicht gleich zur Mühle, sondern | |
lagerten sie einige Wochen zwischen – bis der Weizenpreis sich „wieder | |
erholt“ hatte. Das war so vor dem Internetzeitalter. | |
Heute ist das Geschäft auch mit dem Weizen globalisiert: Schon Monate vor | |
der Ernte müssen die Anbauer Kontrakte auf der Getreidebörse „aushandeln“. | |
Dennoch müssen sie noch immer entscheiden, wann der beste Zeitpunkt für den | |
Verkauf ihrer Ernte ist. „Wir beobachten die Getreidebörse genau“, sagte | |
mir eine Bäuerin, „doch wenn der Preis nach unserem Verkauf noch steigt, | |
darf man sich nicht darüber ärgern. Dann ist das eben so.“ Ein bisschen so | |
wie mit dem Wetter. | |
## Zig Zubereitungsarten | |
In Italien habe ich erlebt, wie sich alle auf die ersten Tomaten freuten, | |
aber dann wurden es immer mehr – und so mussten sie auf verschiedene Weise | |
haltbar gemacht werden. Schließlich konnte keiner mehr Tomaten sehen, | |
geschweige denn essen. Ähnlich war es mit den Esskastanien. Das ist eine | |
richtige Kultur, mit besonderen Lagerplätzen in den Scheunen. Es gibt zig | |
Zubereitungsarten, aber irgendwann ekelt man sich schon vor dem Geruch von | |
Esskastanien. | |
Zwar werden immer noch mehr als genug geerntet, aber die letzten großen | |
Bäume, die von den einstigen Esskastanienhainen übrig geblieben sind, | |
werden heute in der Toskana als Naturdenkmäler geschützt. | |
Das Haltbarmachen der Früchte nach der Ernte ist aufwendig: Tagelang wird | |
entkernt, eingekocht, aus Pflaumen im Backofen Mus gemacht und vor allem | |
getauscht: Äpfel gegen Birnen, Salat gegen Beeren und so weiter. Danach, | |
wenn alle alles im Überfluss haben, wird es im Verwandtenkreis verschenkt | |
und schließlich selbst wildfremden Leuten geradezu aufgedrängt – mit | |
Bemerkungen wie „Das verfault ja sonst. Wär doch schade drum“. Kürbisse | |
sehen im Garten schön aus, aber einer reicht für die ganze Familie. | |
Die Pachtobstbäume an den Alleen trugen heuer wegen der Trockenheit nur | |
wenig, aber selbst die [2][wenigen Äpfel] oder Birnen wollte keiner haben. | |
Auf [3][mundraub.org] findet man Karten, wo überall in Mitteleuropa welches | |
„herrenlose Obst“ geerntet werden kann. Derzeit sind dort 55.730 „Fundort… | |
verzeichnet. Bei der Ernte soll man möglichst die Bäume gleich pflegen. | |
Der Erntedank gilt also erst einmal den Anbauern selbst: Gott sei dank sind | |
sie mal wieder alles losgeworden – und haben auch genug Vorräte für sich | |
angelegt. Als nächstes dürfen sie dem Allmächtigen oder wenigstens dem | |
Wettergott, der Chicagoer Weizenbörse und hilfreichen Nachbarn danken. Wenn | |
alle Bücklinge getan sind, darf man getrost ein Fest feiern – und ein | |
bisschen fachsimpeln. | |
5 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berliner-woche.de/tag/erntedankfest | |
[2] /Apfelernte-in-Brandenburg/!5624491 | |
[3] https://mundraub.org/ | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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