Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Psychopathologisierung des Begehrens: Was heißt denn hier Fetisch?
> Die Faszination fürs Detail, Begehren des Uneigentlichen, Sexualität
> außerhalb der Norm: Was Monotheismus und klassische Psychoanalyse gemein
> haben.
Bild: Fetisch oder nicht?
Fetisch ist obsessive Begeisterung für ein Ding, ist Faszination, durch die
das Wesentliche aus dem Blick gerät. Das Wesentliche wäre in diesem Fall
die Partner*in, das Ding wären die hinreißenden Herrenstrapse mit
Pfauenfeder-Borte, für die mir gerade Werbung angezeigt wird (Klicken Sie
diese Kolumne noch ein paarmal, dann passiert Ihnen das auch). Aber woher
kommt eigentlich dieser Argwohn vor dem Fetisch, vor dem Artefakt, das uns
Kribbeln macht? Dazu beigetragen haben die frühen Psychoanalytiker, die
hier, wie üblich, eine Abweichung vom normalen Sexualverhalten sahen.
Aber erfunden haben sie es nicht. Fetisch ist ein kolonialistischer
Begriff. Neuzeitliche Ethnologen sprachen von facticius (das Künstliche,
Gemachte) über die Götzen in westafrikanischen, animistischen Religionen:
Schnitzfiguren, mit denen sich die Gläubigen ein Bild von Gott machten. So
jedenfalls nannten es die christlichen Völkerkundler – und konnten ihre
Verachtung kaum verbergen.
Sich ein Bild von Gott zu machen, ist im Monotheismus nicht nur verboten,
man ist auch stolz drauf, dass man’s unterlässt. Der frühe Soziologe
Auguste Comte definierte dann auch im 19. Jahrhundert den Monotheismus als
höchste Stufe menschlicher Entwicklung, den Fetischismus als niedrigste.
Wenn man einen Gegenstand braucht, um sich Gott zu nähern, fehlt einem das
abstrakte Denken, so die Idee.B
Später entsorgen die Ethnologen den Begriff wieder – dafür übernehmen ihn
die Psycholanalytiker. Die sehen nun im Fetisch nicht mehr die
uneigentliche Gottheit, sondern die uneigentliche Liebe. Und die finden sie
höchstverdächtig. „Die normale Liebe kann nur Synthese, Generalisation
sein“, schreibt Richard Krafft-Ebing 1886.
## Die katholische Kirche? Voller Fetische
Von Holzfigürchen in Westafrika ist da keine Rede mehr, aber die
christlich-koloniale Abwehrhaltung gegen die Liebe zum leblosen Objekt lebt
weiter, in der neuen Wissenschaft. Freud etwa ist sich sicher, dass der
Fetisch eine Ersatzbefriedigung ist, für etwas, das der Begehrende nicht
haben kann.
Noch immer ist der Fetisch im allgemeinen Sprachgebrauch – wie auch bei
Marx – das Falsche, dem man sich zuwendet, weil das Eigentliche zu komplex
ist, oder verboten. Denn auch Liebe und Sex sind im Westen bis zum heutigen
Tag etwas Christliches, in dem Sinne, dass nach dem Universellen, dem
Eigentlichen gesucht wird.
Nicht nur muss ich genau eine Person lieben, ich muss sie auch als Ganzes
lieben. Dasselbe gilt für das Begehren. Begehre nur mich und begehre mich
ganz. Nicht für meinen Hintern, für meine Lippen oder langen Wimpern und
auch nicht für die Kniestrümpfe, die ich trage. Die Idee, dass jemand
anhand eines Dings Zugang zu etwas Größerem sucht, ist zutiefst
unchristlich und uns deshalb zuwider. Schade, denn nicht einmal das
Christentum selbst hat das lange durchgehalten. Waren Sie mal in einer
katholischen Kirche? Alles voller Fetische.
4 Oct 2019
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Kolumne Kuscheln in Ketten
Psychoanalyse
Sexualität
Fetisch
Kolumne Kuscheln in Ketten
Kolumne Kuscheln in Ketten
Kolumne Kuscheln in Ketten
Kolumne Kuscheln in Ketten
Kolumne Kuscheln in Ketten
Kolumne Kuscheln in Ketten
Eier
Greta Thunberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
BDSM und Geschlechterrollen: Kinky Spiele auf alten Pfaden
Mann/Frau = oben/unten? Auch wer auf inszenierte Spiele steht, muss sich
mit ganz althergebrachten Zuschreibungen beschäftigen.
Sadomasochismus und Verantwortung: Das Paradox der Dominanz
Beim Sex gelingt das Machtspiel nur, wenn das Begehren ernst genommen wird
– und das Oben und Unten real. Das braucht die richtige innere Haltung.
Risiko Selbstfesselung: Den Schlüssel immer griffbereit
Es gibt schwer auflösbare Situationen, mit denen bei Selbstfesselung zu
rechnen ist. Im Zweifel helfen da, wie sonst auch, andere Menschen.
Reiz und Überreizung: Die Lust ist wichtiger als die Norm
Unser Kolumnist wird oft gefragt, ob das Spiel mit Schmerz und Gewalt nicht
abstumpfe. Das kann er nicht sagen, aber hier ein paar Empfehlungen.
Schläge und blaue Flecken: Keine bleibenden Schäden
Ein blauer Fleck wird mit der Zeit grün, dann gelb. Er ist Zeugnis des
schönen Gefühls, wenn sich zwei Menschen einvernehmlich Gewalt antun.
Weg vom Blümchensex: Kuscheln ist Power, aber …
Blümchensex funktioniert ohne Kneifen, Beißen und Kitzeln. Das ist okay. Es
ist auch okay, wenn es einen nach mehr sehnt als nur nach Zärtlichkeit.
Kolumne Eier: Nie mehr binär. Oder doch?
Dass man Männer mit „Eiern“ und Frauen mit anderen Körperteilen assoziier…
ist hart daneben. Warum tut diese Kolumne das trotzdem?
Kolumne Eier: Patriarchat smashen für die Umwelt
US-Forscherinnen untersuchen umweltfreundliches Verhalten und dessen
Genderkonformität. Das Ergebnis ist so überraschend wie trügerisch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.