# taz.de -- Reiz und Überreizung: Die Lust ist wichtiger als die Norm | |
> Unser Kolumnist wird oft gefragt, ob das Spiel mit Schmerz und Gewalt | |
> nicht abstumpfe. Das kann er nicht sagen, aber hier ein paar | |
> Empfehlungen. | |
Bild: „Ob Kinky oder Vanilla: Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass Sie die-… | |
Die meisten Menschen mit kinky Fantasien trauen sich nicht so richtig in | |
die Richtung, in die ihr Begehren sie weist. Gründe dafür sind sicher Scham | |
und Stigma – aber eine große Angst besteht auch darin, dass man über das | |
Begehren außerhalb der Norm die Kontrolle verlieren könnte. Das weiß ich, | |
weil eine der häufigsten Fragen, die ich aus der Richtung des eingetragenen | |
Vereins „Missionarsstellung unter der Bettdecke“ zu hören bekomme, die ist, | |
ob das Spiel mit Schmerz und Gewalt nicht abstumpfe. | |
Ob es sich beim Fesseln, Schlagen und Erniedrigen nicht eigentlich um eine | |
Suche nach dem immer krasseren Reiz handele, vergleichbar mit Extremsport – | |
also bloß eine weitere Methode, das Nervensystem so großem Stress | |
auszusetzen, dass es gar nicht anders kann, als mit einer Flut von | |
Glückshormonen zu reagieren. | |
Was natürlich bedeuten würde, dass bei besagtem Nervensystem irgendwann dem | |
Stressreiz gegenüber eine Gewöhnung stattfindet. Dann tritt die Peitsche an | |
die Stelle des Kochlöffels. Statt Kerzenwachs zu tröpfeln, schließen wir | |
uns an einen Stromkreis an, der immer höher gedreht wird. Auch reicht es | |
dann nicht mehr, schmutzige Worte in den Mund zu nehmen, [1][es müssen | |
mindestens schmutzige Socken sein.] | |
Ich würde gerne versprechen können, dass es nicht so kommt. Würde | |
Interessierten gerne die Angst davor nehmen, dass der einmalige Besuch | |
eines Swingerclubs im nächstgelegenen Oberzentrum dazu führen könnte, dass | |
sie irgendwann Sex nur noch genießen, wenn sie enorme Schmerzen empfinden | |
oder zufügen. Ich wäre mir gerne sicher, dass all das dosierbar ist. | |
## Keine Kinky-Forschung | |
Ich habe dazu sogar einen Psychologen befragt, aber die empirische | |
Forschung des kinky Begehrens ist so unterentwickelt, es gibt einfach keine | |
Studien – nicht einmal umstrittene. Was es gibt, sind Beobachtungen aus der | |
Therapie. Aber die basieren eben nur auf Menschen, die wegen psychischer | |
Probleme in Behandlung sind, und nicht der Gesamtheit der glücklichen, | |
unglücklichen, frustrierten und zufriedenen Freund*innen der härteren | |
Gangart. | |
Ich kann Ihnen also nicht garantieren, dass Sie, rein sexuell gesprochen, | |
die- oder derselbe bleiben, wenn Sie sich auf das einlassen, was ich hier | |
mit so großer Freude anpreise. [2][Ich weiß, dass ich nicht derselbe bin], | |
der ich war vor dem Tag, als ich das erste Mal einen Gürtel für etwas | |
anderes benutzt habe als zum Hosehochhalten. Was die Reizabstumpfung | |
angeht, rate ich einfach dazu, Sex nicht wie einen Sport zu betreiben und | |
ihn nicht wie eine Droge zu konsumieren. Das ist, glaube ich, eine gute | |
Idee, egal ob man kinky oder vanilla ist. | |
Was allerdings die Angst davor angeht, dem „normalen“ Sex abhandenzukommen | |
– und ich argwöhne, dass die eine auch immer in der anderen Befürchtung | |
mitschwingt –, dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ihre Lust – und die Lust | |
derer, die Sie lieben – ist einfach wichtiger als die Norm. | |
1 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Wirklichkeit-des-Sadomaso/!5620890 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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