# taz.de -- Jahrestag des Mordes an Jamal Khashoggi: Gewolltes Vergessen | |
> Ein Jahr nach dem Mord an Jamal Khashoggi sind die Details des Todes des | |
> Journalisten weitestgehend bekannt. Nur schuldig will niemand sein. | |
Bild: Jamal Khashoggi beim Betreten des Konsulats in Istanbul am 2. Oktober 2018 | |
MBS hat gesprochen. Über den Fall Khashoggi. Kurz vor dem ersten Jahrestag | |
des abscheulichen Mordes an dem Journalisten hat sich der saudische | |
Kronprinz den – sagen wir einmal: kritischen – Fragen einer amerikanischen | |
Journalistin gestellt. Und die wollte von Mohammed bin Salman die volle | |
Wahrheit wissen. Auf CBS News fragte Starreporterin Norah O’Donnell den | |
Kronprinzen mit staatsmännischer Miene: „Haben Sie den Mord an Jamal | |
Khashoggi in Auftrag gegeben?“ | |
Nun raten Sie einmal, wie MBS reagierte! Richtig, er schüttelte den Kopf: | |
„Ohne Zweifel, nein.“ Als Breaking News konnte der Sender dann nur noch | |
verkaufen, dass MBS die „volle Verantwortung“ für die Tat übernimmt. Hei�… | |
Ohne Konsequenzen zu ziehen, erklärt sich MBS für politisch verantwortlich | |
und verleiht damit seiner Version der Geschichte Glaubwürdigkeit: dass er | |
persönlich nichts damit zu tun hatte und auch nichts wusste. Später darf | |
MBS dann noch erklären, dass Journalisten für sein Land keine Bedrohung | |
darstellen. Aha. | |
Interessanter ist die Frage: Warum spricht MBS? Dass es in demCBS-Interview | |
um den Khashoggi-Mord gehen würde, war mit Sicherheit vorher abgesprochen. | |
Will der Kronprinz einen Schlussstrich ziehen unter diese lästige | |
Angelegenheit? Die Chancen nämlich stehen bestens dafür, das Thema ein für | |
alle Mal für beendet zu erklären. Zu internationalen strafrechtlichen | |
Ermittlungen, wie sie die Türkei ins Spiel brachte und wie sie Reporter | |
ohne Grenzen fordert, ist es nicht gekommen. Stattdessen kann die Regierung | |
in Riad bequem darauf verweisen, dass ja in Saudi-Arabien ein Prozess gegen | |
einige Agenten laufe, die an dem Mord beteiligt gewesen sein sollen. | |
Also alles gut? Nicht ganz. Da wäre noch [1][der Abschlussbericht, den | |
Agnès Callamard, UN-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche | |
Hinrichtungen], im Juni vorgelegt hat. Das Team der Menschenrechtsexpertin | |
ging der Sache im Rahmen eines Mandats des UN-Menschenrechtsrats auf den | |
Grund. Die Nachforschungen waren keine strafrechtlichen Ermittlungen, sind | |
aber die bislang umfassendste Untersuchung dessen, was heute vor einem Jahr | |
in Istanbul vor sich ging. | |
In weiten Teilen bestätigt Callamard die Horrorgeschichte, die der | |
türkische Geheimdienst zuvor schon an die Medien durchgestochen hatte: | |
Khashoggi, einst ein Journalist mit gutem Draht zur Saudi-Elite und später | |
im US-Exil lebender Kolumnist der Washington Post, sucht am 2. Oktober 2018 | |
das saudische Konsulat in Istanbul auf, um Hochzeitsdokumente abzuholen. | |
Dort will man ihn zur Rückkehr bewegen, doch als er sich weigert, ermordet | |
ihn ein extra angereistes Killerkommando und zerstückelt die Leiche – was | |
erklärt, warum sie bis heute nicht gefunden worden ist. „Wenn wir | |
Plastiktüten nehmen und ihn in Stücke schneiden, wird es beendet sein“, | |
sagt ein Gerichtsmediziner in einer türkischen Audioaufnahme, die sich | |
Callamard anhören durfte. Nach der Tat werden die Spuren penibel beseitigt. | |
Bemerkenswert aber in dem Bericht sind nicht die unfassbar bestialischen | |
Details, sondern folgende Schlussfolgerung: „Die Sonderberichterstatterin | |
hat festgestellt, dass es glaubwürdige Beweise gibt, die weitere | |
Ermittlungen rechtfertigen zur individuellen Verantwortung hochrangiger | |
saudischer Offizieller, inklusive des Kronprinzen.“ Die Ermittlungen in | |
Saudi-Arabien hält Callamard nicht für ausreichend; sie blieben hinter | |
internationalen Standards zurück. | |
Seit dem Bericht sind mehrere Monate ins Land gegangen. Passiert ist: | |
nichts. Ein perfekter Zeitpunkt also für die Charmeoffensive des | |
Kronprinzen in den US-Medien, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Krise | |
am Golf. Die nämlich kommt MBS gerade recht. Zwar haben die Spannungen auch | |
den brutalen Krieg Saudi-Arabiens im Jemen wieder in die Schlagzeilen | |
gebracht. Doch spätestens seit dem Angriff auf saudische Ölanlagen im | |
September zeigt sich wieder einmal, dass internationale Konflikte nach dem | |
Feind-meines-Feindes-Schema funktionieren: Wenn der Iran böse ist, dann ist | |
dessen Erzrivale gut. Und dann? Ja, dann ist vielleicht auch nicht mehr so | |
wichtig, was genau damals in Istanbul passierte. | |
2 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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