# taz.de -- Die Wahrheit: Ewige Katastrophen | |
> Der Blick ins Archiv führt zu einem Fundstück aus den achtziger Jahren: | |
> Der Kölner Dom steht unter Wasser. Die Klimakatastrophe ist da! | |
Bild: Ganz schön kalt: Mann beobachtet das Eis am Schweizer Aletschgletscher | |
Während ich auf dem Weg zum Einkaufszentrum in die Pedale trat, giggelte | |
ich nochmal zu dem Fundstück vorhin. Falls die Frau, die mich mit ihrem | |
Lastenfahrrad überholte, mein Prusten mitkriegte, wird sie mich für | |
bekloppt gehalten haben. | |
Aus irgendeinem Grund hatte ich im Archiv eine Spiegel-Ausgabe von August | |
1986 aufgerufen. Die Titel-Story hieß: „Die Klima-Katastrophe“, und die | |
Dachzeile: „Ozon-Loch, Pol-Schmelze, Treibhaus-Effekt: Forscher warnen“, | |
illustriert von einem Kölner Dom, der unter Wasser steht. | |
In dem komfortablen Archiv hatte ich ein bisschen weiter gestöbert. Kurz | |
vor der Wende, Mitte Juli 1989, erschien ein Spiegel mit dem Titel „Wer | |
rettet die Erde?“ und der Unterzeile „Weltgipfel: Wege aus der Öko-Krise�… | |
Anfangs des Artikels heißt es, es brauche „einen radikalen Energiesparkurs | |
der Industrienationen“. Hat das Greta Thunberg schon zitiert? | |
Schon klar, so neu war das Problem 1986 nicht. Bei uns Älteren ist die | |
Schrift des Club of Rome von 1972 im Gedächtnis eingegraben: „Die Grenzen | |
des Wachstums“. Die Grünen gründeten sich Anfang 1980 aus diversen | |
Bewegungen. Mir fiel jetzt eine der wenigen Phrasen ein, die ich aus dem | |
Latein-Unterricht mitgenommen habe: Sub specie aeternitatis, also unter dem | |
Gesichtspunkt der Ewigkeit ist ja noch alles drin, online und offline, da | |
sind vierzig, fünfzig Jahre ein Nix. | |
Als ich vor der ersten Kaufstation anhielt, schüttelte ich den Kopf zum | |
letzten Mal über wahlweise Klimakatastrophe, -krise oder -wandel, meine | |
Enkel mögen mir meinen Zynismus verzeihen. Nun trat ich in den | |
Drogeriemarkt dm ein, die Frau mit dem Lastenrad war längst drin, aber ohne | |
Lastenrad. Links vom Eingang geriet mir der dm-Slogan ins Blickfeld. Schon | |
klar, er ist uralt, seit 1992 im Einsatz, aber zuweilen lässt es einen | |
erneut schaudern: „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.“ | |
„Verkaspern kann ich mich alleine“, dachte ich und: „Das ist an Zynismus | |
nicht zu überbieten.“ Abgeschmackt daran ist, dass sie sich so | |
ironisch-philosophisch gerieren, indem sie auf Goethes „Faust“ anspielen. | |
Ich lese es so: Ich bin nur ein Mensch, wenn ich hier konsumiere. | |
Superclever. | |
Nach zwei weiteren Besorgungen – Edeka (Matjesbrötchen), Baumarkt | |
(Ballistol) – radelte ich zurück ins Kontor. Plötzlich flitzten ganz andere | |
Synapsen durch mein hauseigenes Gebälk, wahrscheinlich weil die Arbeit | |
subkutan längst rief. Von einer Seite rauschte der Titel von Billie Eilishs | |
Debütalbum heran, empfohlen von beiden Söhnen: „Wenn wir einschlafen, wohin | |
gehen wir?“ Aus einer anderen Richtung entsprang die vielleicht dazu | |
passende Überlegung, die sich neulich eingestellt hatte: „Was träumen von | |
Geburt an Blinde?“ | |
Daraus könnte womöglich ein funkelnder Text entstehen. Und wenn nichts | |
draus wird, wird es immerhin ein Essay. | |
2 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Dietrich zur Nedden | |
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