| # taz.de -- Gewalt der Militärs in Myanmar: Ein Volk unter Terrorverdacht | |
| > Im früheren Birma wiederholt sich ein Verbrechen. Nach den Angriffen auf | |
| > die Rohingya sind nun buddhistische Rakhine Ziel staatlicher Gewalt. | |
| Bild: Munitionsreste, von den Dörflern als Beweise der Militärgewalt gesammelt | |
| Mrauk Oo taz | Metallteile prasseln auf den Holztisch unter dem offenen | |
| Bambusverschlag, als die Plastiktüte darüber ausgeschüttet wird. Es sind | |
| Munitionsreste, die da herausfallen, aufbewahrt für den Fall, dass | |
| vielleicht doch einmal Journalisten oder Vertreter der Vereinten Nationen | |
| in der Flüchtlingssiedlung am Rande von Mrauk Oo vorbeikommen. Früher | |
| konnten die Bewohner die Außenwelt über Facebook darauf aufmerksam machen, | |
| was bei ihnen, im Westen Myanmars, passiert. Doch jetzt hat die Regierung | |
| das mobile Internet gekappt. „Sie können mit uns machen, was sie wollen“, | |
| sagt Sein Hla Maung, der früher einmal Vorsteher seines Dorfes war. | |
| Sein Hla Maung ist einer von etwa 65.000 Menschen, die im Westen Myanmars | |
| in den vergangenen Monaten von ihrem Zuhause geflohen sind. Die Region, in | |
| dem das Militär vor zwei Jahren einen Völkermord an den Rohingya begangen | |
| hat, kommt bis heute nicht zur Ruhe. | |
| Dieses Mal haben die Soldaten sich nicht die Minderheit der Muslime, | |
| sondern die buddhistischen Rakhine vorgenommen. Diese Volksgruppe zählt in | |
| ganz Myanmar, dem früheren Birma, rund eine Million Menschen. Aufständische | |
| der angeblich 7.000 Soldaten starken Arakan-Armee (AA), die für mehr | |
| Autonomie in ihrem Teilstaat kämpft, hatten zu Beginn des Jahres mehrere | |
| Polizeiposten angegriffen. Seitdem eskaliert der lange schwelende Konflikt. | |
| Seitdem stehen alle Rakhine unter dem Generalverdacht die „Terroristen“ von | |
| der Arakan-Armee zu unterstützen. | |
| Eine ältere Frau starrt auf die Munition auf dem Tisch. Mit einer Kugel | |
| ähnlich der auf dem Tisch sei im April ihr Ehemann erschossen worden. „Wie | |
| soll er denn ein Soldat sein mit seinen 60 Jahren?“, fragt sie. | |
| ## Die Soldaten schießen, zwei Dorfbewohner sind tot | |
| Eines Nachts im April, kurz vor Mitternacht, sei es losgegangen, berichten | |
| die Dorfbewohner. Soldaten kamen ins Dorf und begannen zu schießen. Zwei | |
| Männer wurden getroffen – von derselben Kugel. Der eine war sofort tot. | |
| Das Militär behauptet, die Kämpfer der Arakan-Armee hätten zuerst | |
| angegriffen. Und der Dorfvorsteher stecke mit ihnen unter einer Decke. Er | |
| ist seit dem Vorfall auf der Flucht. „Die einzigen Bewaffneten in dieser | |
| Nacht waren die Soldaten. Wir haben ja nicht einmal Stöcke in unserem | |
| Dorf“, sagt hingegen Sein Hla Maung. | |
| Der Krankenwagen konnte wegen der Ausgangssperre erst um sechs Uhr morgens | |
| anrücken. So lange konnte niemand im Dorf etwas für den angeschossenen | |
| alten Mann tun. „Wir waren sehr aufgebracht. Wir wollten doch helfen“, | |
| erinnert sich Sein Hla Maung. | |
| Helfen konnte auch sein Sohn nicht, als der alte Mann in seinem Schmerz | |
| nach ihm rief. Denn der ist selbst Soldat, stationiert in der nahegelegenen | |
| Kaserne, aus der die Dorfbewohner den Angriff vermuten. Schließlich starb | |
| der Mann an seinen Schussverletzungen. | |
| ## Proteste gegen den Völkermord an den Rohingya verhallt | |
| Die Beziehungen zwischen den Rakhine und dem Militär waren in der | |
| Vergangenheit nicht immer feindlich. Soldaten aus der Kaserne seien früher | |
| oft ins Dorf gekommen, heißt es. Man lieh dem Militär Kühe, um mit den | |
| Tieren die Reisfelder zu bestellen. Jetzt ist das Verhältnis zerrüttet. | |
| Als vor zwei Jahren Zehntausende muslimische Rohingya umgebracht wurden, | |
| unterstützten manche Rakhine aus der vom Militär kultivierten Angst vor | |
| Muslimen die Soldaten bei ihrem mörderischen Tun. Jahrzehntelang hatte die | |
| Militärregierung die Muslime an den Rand gedrängt, als illegale Einwanderer | |
| aus Bangladesch gebrandmarkt und von einer Gefahr für die nationale | |
| Sicherheit gesprochen. Die Saat ging auf: Mehr als 700.000 Rohingya wurden | |
| aus Myanmar vertrieben, ohne dass die Bevölkerung gegen dieses Unrecht | |
| protestierte. | |
| Protestiert hat die Weltgemeinschaft. Der Internationale Strafgerichtshof | |
| untersucht, inwieweit er die Generäle zur Rechenschaft ziehen kann. Man | |
| drohte dem Militär mit Sanktionen. Ein Untersuchungsbericht zu den | |
| Verbrechen jagte den nächsten. Doch echte Konsequenzen für die Täter lassen | |
| weiter auf sich warten. | |
| ## Einstmals ein Königreich, heute das Armenhaus Myanmars | |
| Der Bundesstaat Rakhine zählt zu Myanmars ärmsten und unterentwickeltsten | |
| Regionen. In der Stadt Mrauk Oo mit seinen rund 200.000 Einwohnern gibt es | |
| erst seit sechs Jahren eine stabile Stromversorgung. „Wir sind arm, obwohl | |
| unser Staat so reich sein könnte“, beklagt sich Tun Nay Win, ein | |
| Repräsentant der Arakan National Party (ANP), die bei den Wahlen 2015 in | |
| Rakhine zwar eine deutliche Mehrheit gewonnen hatte, von der nationalen | |
| Regierung aber daran gehindert wurde, eine Regierung zu bilden. | |
| Die Rakhine sind in Myanmar selbst eine Minderheit, vom Rest des Landes | |
| abgehängt. Von der glorreichen Vergangenheit des einstigen Königreichs | |
| Rakhine sind nur die jahrhundertealten Pagoden übrig geblieben, die die | |
| Bewohner von Mrauk Oo schmerzhaft daran erinnern, wie tief sie gesunken | |
| sind. Manche der Pagoden haben von den Kämpfen, die auch die Stadt nicht | |
| verschonen, Einschusslöcher davongetragen. | |
| Rakhine verfügt über Öl- und Gasvorkommen. „Aber das verkauft die | |
| Zentralregierung nach China. Bei uns bleibt davon nichts hängen“, sagt Tun | |
| Nay Win. Die Jugend wandere ab, am besten gleich ins Ausland, sagt er. Denn | |
| im Rest von Myanmar hält man die Rakhine für zurückgebliebene Bauern mit | |
| einem seltsamen Akzent. | |
| Wie überall in Myanmar waren die Hoffnungen in die Demokratisierung vor | |
| zehn Jahren so groß, dass sie eigentlich nur enttäuscht werden konnten. | |
| Aber dass ein Völkermord den Tourismus zum Erliegen bringen würde, damit | |
| hatte niemand gerechnet. | |
| ## Der Polit-Aktivist und die Verschwundenen | |
| Auch Tun Nay Win nicht. Er kann sich nicht so recht überwinden, sich von | |
| den Kämpfern der Arakan-Armee zu distanzieren, denen Amnesty International | |
| ihrerseits Entführungen und einen rücksichtslosen Umgang mit der | |
| Zivilbevölkerung vorwirft. Doch Tun Nay Win hat sich statt für den Einsatz | |
| von Waffen für die Politik entschieden. Der Ortsverein seiner Arakan | |
| National Party kümmert sich um Hilfslieferungen für die Vertriebenen und | |
| bietet Computerkurse an. | |
| Tun Nay Win führt akribisch Listen über die Felder, die nicht mehr bestellt | |
| werden können, weil die Menschen sich nicht mehr auf ihr Land trauen, | |
| seitdem jeder Rakhine als verdächtig gilt. | |
| Im Juli wurde ein lokaler Mitarbeiter einer internationalen | |
| Hilfsorganisation auf dem Heimweg von seiner Arbeit auf einem Motorroller | |
| angeschossen. Angeblich habe er nicht reagiert, als das Militär ihn | |
| aufforderte anzuhalten. Geschichten wie diese kennt in Mrauk Oo jeder. | |
| Junge Männer erzählen, halb im Scherz, dass sie ihr Haar lang tragen, um | |
| möglichst wenig wie ein Soldat auszusehen. | |
| Tun Nay Win bemüht sich, mehr Informationen über verschwundene Menschen zu | |
| bekommen. Wegen des Verdachts der Kollaboration mit der Arakan-Armee werden | |
| allen voran junge Männer festgenommen. Manche kommen nicht lebendig zurück. | |
| „Sein Schädel war gebrochen und die Gelenke verdreht“, erinnert sich Tun | |
| Nay Win an die Leiche des 21-jährigen Zaw Wanna, die er beerdigen half. Wer | |
| nicht eines natürlichen Todes stirbt, wird in Rakhine nicht wie sonst | |
| üblich eingeäschert. Drei Gruften mit einem roten Grabstein gibt es am | |
| Friedhof von Mrauk Oo inzwischen. Die Bewohner leben in Angst. | |
| ## Khine Khine Thein sagt: Die Angst kommt am Abend | |
| Im Viertel Kyauk Reik Kay, am Ortsrand von Mrauk Oo, ist die Sonne hinter | |
| den umliegenden Hügeln verschwunden. Dort verschanzen sich die | |
| Guerillakämpfer der AA ebenso wie das Militär. Die herannahende Nacht | |
| tüncht den Himmel in ein sattes Dunkelblau. Motorroller und Auto-Rikschas | |
| rauschen über die vom Monsun nasse Straße unweit des Bambushauses, in dem | |
| Khine Khine Thein mit ihrer Familie lebt. Es wird Nacht und die Menschen | |
| wollen nach Hause. „Nach sieben Uhr hört man hier nur noch das | |
| Kanonenfeuer“, sagt die 49-Jährige. | |
| Sie hat vergessen, wie es sich anfühlt, sich zu Hause in Sicherheit zu | |
| fühlen. Eines Nachts im März, sie hatte sich früh zum Schlafen gelegt, | |
| bohrten sich Granatsplitter in ihre rechte Hüfte. Das Militär hatte von der | |
| nahegelegenen Straße um sich gefeuert. Mehrere Nachbarn sagen, die Soldaten | |
| hätten von der Straße „Motherfucker Rakhine“ in Richtung ihrer Siedlung | |
| gerufen. | |
| „Wir haben jede Nacht Angst, es gibt keinen Ort, an dem wir sicher sind“, | |
| sagt Khine Khine Thein, auf ihrem Bett sitzend. Mehr als einmal hat die | |
| Familie Zuflucht bei einem Nachbarn gesucht, wenn das Artilleriefeuer immer | |
| näher zu kommen drohte. Wie viele Familien in Mrauk Oo hat der Nachbar | |
| einen Bunker ausgehoben, in dem gerade eine Strohmatte und ein Moskitonetz | |
| Platz haben. Wer nicht unterirdisch Zuflucht suchen kann, übernachtet im | |
| nahegelegenen Kloster. | |
| ## Der Mönch, dessen Auto zur Zielscheibe wurde | |
| Das Kloster liegt auf einer Anhöhe, von der man das verschlafene Mrauk Oo | |
| und seine umliegende satt-grüne Hügellandschaft überblicken kann. „Aber | |
| nicht einmal hier sind wir sicher“, sagt der buddhistische Mönch U Won Na | |
| Thar Ra. Im Juni wollte er einem verletzten jungen Mann helfen und fuhr mit | |
| seinem Auto, die Mönchsflagge auf der Motorhaube, in eines der umliegenden | |
| Dörfer. Die Fotos von der zertrümmerten Heckscheibe hat er immer noch auf | |
| seinem Telefon geladen. Sein Auto sei in die Schusslinie geraten, berichtet | |
| U Won Na Thar Ra. Er selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im | |
| geparkten Wagen, sondern in einem Teehaus. „Aber ob ich nun ein Mönch bin | |
| oder nicht – das Militär sollte kein fremdes Eigentum beschädigen“, sagt | |
| er. Seit Beginn des Konflikts käme nur noch ein Viertel der Pilger, die ihn | |
| sonst in seinem Kloster aufsuchen. „Die Menschen haben Angst, nach draußen | |
| zu gehen“, sagt der Mönch. | |
| In der Stadt Mrauk Oo ist U Won Na Thar Ra als politisch aktiver Mönch | |
| bekannt. Er korrespondiert mit Aktivisten im Ausland und Journalisten im | |
| Inland. Seine Nachrichten versendet er von einer Art Hochsitz vor seinem | |
| Kloster aus. Von dort kann er mit etwas Glück das WLAN-Signal eines | |
| nahegelegenen Hotels empfangen. Denn das mobile Internet, das in Myanmars | |
| Provinz der einzige Weg zur Außenwelt darstellt, wurde schon vor drei | |
| Monaten lahmgelegt. Sobald sich U Won Na Thar Ra auf seinem Hochsitz im | |
| Schneidersitz niederlässt, ertönen aus seinem Smartphone diverse „Pings“, | |
| die Nachrichten ankündigen. Der Mönch grinst verschmitzt. | |
| Es war die Regierung der umstrittenen Friedensnobelpreisträgerin Aung San | |
| Suu Kyi, die die Internet-Verbindung kappen ließ. Als Grund wurden | |
| Sicherheitsbedenken angeführt. Für viele in Rakhine – ebenso wie für andere | |
| Minderheiten in Myanmar – gelten Regierung und Militär inzwischen als ein | |
| und dasselbe. | |
| Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft dem Militär vor, | |
| in Rakhine abermals Kriegsverbrechen zu begehen. Dafür verantwortlich seien | |
| mitunter dieselben Militäreinheiten, die schon den Völkermord an den | |
| Rohingya begangen hätten. Bis auf die Tatsache, dass ein paar Generäle | |
| nicht mehr in den USA Urlaub machen dürfen, wurde bisher aber niemand für | |
| die Verbrechen an den Rohingya zur Verantwortung gezogen. Kritiker | |
| fürchten, das Militär könnte das als Freibrief für seine maßlosen Angriffe | |
| auf die Zivilbevölkerung verstehen. „Burmas Militär begeht seine Verbrechen | |
| so dreist wie eh und je“, sagt Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Ost- | |
| und Südostasien von Amnesty International. | |
| ## Ein 15-Jähriger wartet auf seinen Prozess | |
| Im heruntergekommenen Gerichtsgebäude in Sittwe, der Hauptstadt des | |
| Teilstaats Rakhine, kauert der 15-jährige Nay Lin Tun am Boden, das Haar | |
| gegelt, ein abgewetztes T-Shirt eng an seinem hageren Körper anliegend. | |
| Neben ihm sitzt seine Mutter. Die Mutter zieht ein Mobiltelefon aus einer | |
| Plastiktüte und dreht es in ihrer Hand hin und her. Sie weiß nicht, wie man | |
| es benutzt, hat es sich nur geliehen für die Reise aus ihrem Dorf zum | |
| Gerichtstermin. | |
| Das Militär behauptet von Nay Lin Tun, er sei ein Terrorist. Im Mai haben | |
| sie den 15-Jährigen und 274 weitere Bewohner seines Dorfs deshalb | |
| festgenommen. An Händen und Füßen gefesselt und mit einem Sack über dem | |
| Kopf hat man ihn ins Gefängnis gebracht. Wenn man Nay Lin Tun darauf | |
| anspricht, wandern seine Augen schnell hin und her. Er spricht nicht gerne | |
| über diese Zeit. Man habe ihn nicht gut behandelt, sagt er. | |
| Dann taucht plötzlich die Geheimpolizei auf. Der 15-Jährige verschwindet | |
| zusammen mit seiner Mutter schnell in der Menschenmenge vor dem Gericht. | |
| Sein Fall wurde an jenem Montag überhaupt nicht verhandelt. Gesagt hatte | |
| ihm das niemand. | |
| 2 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Verena Hölzl | |
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