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# taz.de -- Sozialpsychologe über Österreichs Rechte: „Es geht immer um Ent…
> Klaus Ottomeyer findet die Vorwahlstimmung erfreulich. Der
> Sozialpsychologe über die Rechten im Opfermodus, den Sadismus von Herbert
> Kickl und das Wunder von Kärnten.
Bild: Wie werden die Österreicher bei der Nationalratswahl 2019 wählen?
taz: Herr Ottomeyer, wie ist die Stimmung in Österreich vor dieser Wahl?
Klaus Ottomeyer: Recht erfreulich eigentlich.
Ach – inwiefern?
Die Klimakrise hat sich als Hauptthema des Wahlkampfs in den Vordergrund
gedrängt. ÖVP und die FPÖ möchten das nicht und betreiben weiterhin eine
Klimakrisenverleugnungspolitik. Weil sie wissen, dass sie von den Themen
der nationalen Identität und, wie sie das nennen, illegalen Migration viel
mehr profitieren. Aber langsam wird das schwierig, weil die Faktenlage beim
Klimawandel so eindeutig ist – und die Mobilisierung so erfolgreich.
Mit Freud gesprochen: Die wirklichen Bedrohungen, die „Realangst“ rücken
wieder in den Vordergrund, das schadet der Rechten.
Ja, natürlich. Weil die nationale Rhetorik ja lächerlich wird, etwa bei der
Frage der gemeinsamen Bekämpfung der Klimakatastrophe. Der nette Herr Hofer
von der FPÖ spricht deswegen im Fernsehen von der Hysterie der
Jugendbewegung und von Greta Thunberg. So versuchen sie es hinzustellen.
Und das entspricht natürlich Verleugnungstendenzen bei vielen Menschen, die
am liebsten so weitermachen wollen wie bisher und ihre SUVs kaufen.
Diese Menschen ändern auch nichts an ihrem Wahlverhalten: Das Abschmieren
der schwarz-blauen Regierung in der Ibiza-Affäre, aber auch [1][die neuen
Vorwürfe der Bereicherung gegen Ex-Vizekanzler Karl-Heinz Strache] lassen
die Mehrheit der WählerInnen den Umfragen zufolge unbeeindruckt.
Das liegt an der in diesen Kreisen weit verbreiteten Vorstellung, dass,
wenn man Mist gebaut hat, man trotzdem selbst das Opfer ist. Das war schon
beim FPÖ-Übervater Jörg Haider so, wenn aus seinem Umfeld bei Kritik an ihm
verlautete, die „Jagdgesellschaft“ sei wieder unterwegs. Dann haben viele
Leute Mitleid mit dem, wie man hier in Österreich sagt, „armen Bua“, der
sich doch immer so bemüht und so nett ist. Das macht Ex-Kanzler Sebastian
Kurz auch, da ist er ja bekannt dafür.
Das klingt aber nicht so erfreulich.
Man kann sich ein bisschen damit beruhigen, dass die Leute all diese
Vorkommnisse erst verarbeiten müssen, miteinander besprechen. Dann erst
gibt es vielleicht eine Ansteckung mit der Enttäuschung, einen
Zeitverschiebungseffekt. Es kann sein, dass sich die Skandale der FPÖ bei
diesen Wahlen noch nicht so abbilden, dass es länger dauert, bis der
Groschen bei denen, die betrogen und verführt worden sind, fällt.
Wir müssen also einen langen Atem haben, bis das kriminelle Potential der
Haiders und Straches bei ihren WählerInnen ankommt?
Und bis sich ihr Blabla eben auch für alle als Blabla erweist. Entscheidend
ist aber auch die gerichtliche Aufarbeitung. Wenn Verurteilungen erfolgen,
auch im Zusammenhang mit den aktuellen Untreuevorwürfen gegen Strache, dann
halten doch manche Follower inne in ihrer Begeisterung.
Die autoritären Charaktere der Wähler der Rechtsparteien sind empfänglich
für den Entscheid von Autoritäten, wenn klargemacht wird, dass ihre
geliebten Führer zu weit gegangen sind?
Funktionierende Gerichte sind sehr wichtig. Die Rechtspopulisten wissen
schon, warum sie immer gleich am Anfang die Unabhängigkeit der Justiz
versuchen zu torpedieren oder sie lächerlich zu machen. Aber noch ist ihnen
in Österreich dieser geplante Umbau des Rechtswegs nicht gelungen.
Diese Sehnsucht nach Erlösung von der Kontrolle durch demokratische
Instanzen, diese Lust am Lächerlichmachen …
Das ist schön, diesen Über-Ich-Rucksack abwerfen zu können. Das ist eine
Erleichterung – erst einmal.
Und schön ist offensichtlich auch die Bosheit: Wenn man sich auf YouTube
[2][das Video einer Wahlkampfrede des Ex-Innenministers Herbert Kickl (FPÖ)
in einem Bierzelt in der Steiermark] anschaut, dann ist man schon
beeindruckt von dieser Sprache, die eigentlich über eine Dreiviertelstunde
lang ausschließlich Gehässigkeiten enthält. Warum ist die Gemeinheit so
erfolgreich?
Ich glaube, dass jeder von uns in seinem „inneren Team“ so eine gehässige
Figur hat, so ein Schandmaul. Wenn dieser Teil rausdarf, wenn der Ausgang
hat und niemand den aufhält und sanktioniert, dann ist das ein
erleichterndes und unterhaltsames Gefühl.
Und wer soll oder kann diesen Teil sanktionieren?
Es geht bei Kickl und anderen immer um Entwürdigung. Und das muss
sanktioniert werden, unter Berufung auf die Menschenrechte und die
Menschenwürde, gerichtlich und auch sozial – indem man sagt, mit jemandem,
der sich so aufführt, reden wir nicht. Das macht ja übrigens jetzt auch
Sebastian Kurz, wenn er sagt, dass er mit Kickl nicht mehr kann und will.
Und es gibt nachträglich doch auch einen recht breiten Konsens, dass Kickl
zu weit gegangen ist, wenn er etwa bei einem Aufnahmezentrum für
Flüchtlinge das Schild „Ausreisezentrum“ hat anbringen lassen: Das ist
reiner Sadismus. Damals ging das durch, war angeblich nicht zu
sanktionieren. Als er weg war, ist das sofort weggekommen. Einige, die das
Draufschlagen auf die Schwachen und Flüchtlinge vorher unterhaltsam
gefunden haben, denen ist das jetzt etwa unheimlich geworden – das merkt
man. Das gilt sogar für Seehofer, der jetzt Flüchtlinge aus dem Mittelmeer
retten will. Als hätte man in einer leicht besoffenen Zeit gelebt, wo die
Menschen und die Autoritäten über die Stränge geschlagen haben.
Aber Kickl hat das Bierzelt begeistert und nach den letzten Umfragen wählen
immer noch 20 Prozent FPÖ. Was machen wir mit denen?
Mit denen, die den Sadismus ausblenden oder genießen, führe ich keinen
Dialog. Ich möchte nicht geduldig verstehen, warum es sinnvoll sein soll,
Flüchtlinge zu erniedrigen. Die Umfragen geben aber auch her, dass 60
Prozent Kickl auf keinen Fall mehr haben möchten. Es gibt keinen Politiker,
der so stark abgelehnt wird.
Davon profitiert aber jetzt ausgerechnet Sebastian Kurz, der „Messias“ –
obwohl der die Gangster erst ins Boot geholt hat.
Im Zentrum von Kurz' Programm stehen die sogenannte kulturelle Identität
der Österreicher und die Lösung der sogenannten Migrationsfrage. Das ist
die Politik der Identitären, die er neuerdings ja verbieten lassen will, in
einer Light-Version. Die Politik von Orbán; nur dass die Verspottung und
Erniedrigung der als bedrohlich wahrgenommenen Objekte nicht mehr auf der
Vorderbühne stattfindet. Aber Kurz sagt klar, dass man hässliche Bilder und
Vorgänge, den Tod von Menschen im Mittelmeer zum Beispiel, eben in Kauf
nehmen müsse.
Er ist der kalte Wolf im Pelz eines Unschuldslamms. Das beruhigt das
Über-Ich der Leute, die sich nicht vorstellen können, dass jemand, der
immer so hübsch und nett ist, der so verbindlich auftritt und dabei immer
so hart angegangen wird – dass der so brutal und böse ist und unseren
eigenen kalten und bösen Anteil umsetzt. Man hat dann kein schlechtes
Gewissen mehr, wenn man sich bei ihm anhängt. Dabei hat er den Sadismus
erlaubt.
Was macht das linksliberale Lager falsch, dass es im 40-Prozent-Keller
verharrt?
Auf dem Land fühlen sich viele Menschen abgehängt, sie fühlen sich
vergessen, nicht wertgeschätzt. Das hat auch viel mit Psychologie zu tun.
Die Linke müsste darauf eingehen, präsent sein, sich die regionalen
Probleme anhören, in Infrastruktur investieren. Ich kann Ihnen aber eine
Region nennen, wo das ganz gut läuft: Das ist hier in Kärnten, wo ich
wohne.
Im [3][Jörg-Haider-Land]! Wie ist das zugegangen?
Wir haben hier einen Landeshauptmann, den Peter Kaiser von der SPÖ, dem es
gelungen ist, das Land nach dem finanziellen Desaster, das Haider
hinterlassen hat, zu sanieren, aber auch die nationalistische Wichtigtuerei
abzumontieren. Ich war kürzlich im Spiegelsaal der Landesregierung bei
einer Ehrung einer Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, die
schon mit 15 in Gestapo-Haft kam. Eine solche Ehrung hätte es hier in
Kärnten früher nicht gegeben.
Interessanterweise hat dann da aber auch eine Kapelle in Lederhosen
gespielt, da waren Frauen in Tracht, die sogenannten Goldhauben, die auch
geehrt wurden. Da wird es manchem Linken ein bisschen komisch – aber es
geht wahrscheinlich nicht anders, als die Leute für das, was sie tun – die
Mitarbeit in der freiwilligen Feuerwehr etwa – zu loben, zu ehren, aber
eben auch gleichzeitig, im selben Raum, antifaschistische Gedenkpolitik
stattfinden zu lassen; auch wenn man nicht sicher sein kann, ob bei der
Trachtenkapelle nicht auch ein Rechtsextremer mitspielt.
Der Herr Kaiser würde das ja durchaus umstrittene „Konzept Heimat“ also
nicht zurückweisen?
Nein, das würde er nicht. Dieser Heimatbegriff hat mit einem
nationalistischen Identitätskonzept aber nichts zu tun. Der Kaiser ist
gelernter Soziologe, der könnte Ihnen darüber spontan eine
Dreiviertelstunde einen Vortrag halten.
29 Sep 2019
## LINKS
[1] /Ex-FPOe-Chef-Heinz-Christian-Strache/!5626413/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=XNFkN88Hrj4
[3] https://www.perlentaucher.de/buch/klaus-ottomeyer/joerg-haider.html
## AUTOREN
Ambros Waibel
Klaus Ottomeyer
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