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# taz.de -- Podcast „Paardiologie“: Intimspray fürs Herz
> Drei Monate lang den Podcast von Charlotte Roche und ihrem Mann Martin
> Keß auf den Ohren: Ein Rückblick auf das Offene-Ehe-Experiment.
Bild: Trotzdem was zu grinsen – Roches Podcast wird zwar nicht mehr produzier…
Es war hochtragisch, als sich Charlotte Roche und Martin Keß verliebten und
deshalb von ihren Partnern trennten. Die damalige Viva-Moderatorin hatte
ein Baby, der Fernsehproduzent eines unterwegs. „Jetzt gehen wir kurz durch
die Hölle“, sagte sie zu ihm, „aber dann werden wir den Himmel auf Erden
haben.“ Das mit dem Himmel stimmte leider oder zum Glück nicht, denn sonst
gäbe es den [1][Spotify-Podcast „Paardiologie“] nicht. Oder er wäre
sterbenslangweilig. Dabei wirkt er therapeutisch, ist oft herzzerrreißend,
und manchmal törnt er sogar an.
Nächste Woche hört die Dauerbeichte der beiden Liebesritter auf – nach 15
Folgen, in denen sie nichts anderes tun, als jeweils eine Stunde zu Hause
in einem zeltähnlichen Kabuff ehrlich über ihre 15-jährige Beziehung zu
reden. Die hat schon viel häusliche Hölle von Alkoholsucht bis
Monopoly-Streit gesehen. Verzweiflung, Ausraster, Verrat.
Das Plaudern aus dem Nähkästchen ist so banal und real wie genial und
romantisch – ein Fortsetzungsroman, live und mit Cliffhangern. Es herrscht
Alltag drum herum, man ahnt Hund Pucki durchs Haus wedeln, der Paketbote
war da. Mal kommt „Charlottili“ von Terminen und „Marty“ von der
Spülmaschine. Gerne werden anonyme Freunde namens Markus und Barbara
durchgehechelt, mit denen man Horror-Urlaube oder Grillabende erlebte. Das
ist alles so wiedererkennbar normal. Und zuletzt, da herrschte Krise.
Dass in einer Woche alles vorbei sein soll, fühlt sich für mich so an, als
ob die letzte Staffel einer Lieblingsserie endet. Aber es geht um mehr. Ich
bin dem Podcast-Paar so dankbar, dass es vor uns seine schmutzige Wäsche
lüftet, egal wie inszeniert. Das ist Dienst am Volk, das Private ist
politisch. „Ich würde nicht sagen, dass wir Ratgeber sein können“, sagte
Roche vorab dem [2][Tagesspiegel]. Ratgeber nicht – aber Beispiel dafür,
dass man es nach Jahren noch miteinander aushalten oder besser machen kann.
Intimspray fürs Herz.
## Seelisch zart und emotional intelligent
Die Tiefe von „Paardiologie“ hat mich – einst Fan von „Feuchtgebiete“…
dann schwer genervt von Roches letztem Buch [3][„Mädchen für alles“] –
nicht nur überrascht, sondern berührt. Seelisch zart und emotional
intelligent ist diese Frontfrau, die sich zuletzt mit Titanhaken im Rücken
für „Duell um die Welt“ von einer Brücke schmiss. Was sie ja, seit Folge
zwölf weiß man das, aus sehr komplexen Gründen tat, die nicht nur mit
Mutprobe und Feminismus zu tun haben, sondern auch mit Trauma und
„beschissenen Eltern“ (O-Ton).
Unzählige Sitzungen bei ihrer Therapeutin, Deckname „Amalfi“, hat es
gebraucht, damit Roche sich selbst akzeptieren lernte. Was sie davon
wöchentlich mitteilt, hilft im Nachhinein, auch ihre Prosa zu begreifen.
Dass die autobiografischen Puff-Besuche in „Schoßgebete“, die so erzwungen
cool wirkten, genau das waren: sie wollte ihrer großen Liebe Martin
beweisen, was sie sich alles traut, obwohl sie eigentlich gar nicht so weit
war.
„Paardiologie“ ist jedoch nicht nur das Psychogramm der Autorin mit Narben
am Rücken und noch vielen mehr auf der Seele, sondern in erster Linie das
Röntgenbild einer Beziehung, die auf Leidenschaft, Humor und Respekt gebaut
ist. Nicht „schlüpfrig“, wie der Stern sabberte – trotz Yoni-Massage und
einem Dinner in Amsterdam, wo Charlotte der Tischnachbarin an die Brüste
fasste.
Vieles ist die Rahmenhandlung ihres damaligen Leidens, nämlich krankhafte
Eifersucht. Die breitet sie masochistisch kichernd aus, genauso wie ihre
Affäre mit einem Mann aus dem Sportverein. Roche und Keß gingen danach
nicht mehr hin. Sie trat den von Martin befohlenen „walk of shame“ an und
rief jeden aus dem Verein an, um ihren Ausstieg zu erklären. All das hat
meinen Exhibitionismus-Vorwurf in Empathie verwandelt. Und mir gezeigt:
Scham bringt nichts. Aber schonungslose Verletzlichkeit samt Selbstliebe,
das heilt.
Das Innenleben seiner Frau kann niemand so mitfühlend erklären wie der
Ehemann, der ihr aus tiefstem Herzen wünscht, sie möge doch in Zukunft nur
vom Küchentisch springen, um sich weniger dramatisch all das abzuholen, was
ihr Ego braucht. Überhaupt, dieser Martin: Er ist der eigentliche Star der
Audio-Show, auch wenn er sich auf den PR-Fotos hinter Masken und Händen
versteckt. Ein Geschichts- und Gesichtsloser, der umso mehr durch seine
ruhige Stimme wirkt, seine Selbstironie und vor allem seine bedingungslose,
nie kitschig zur Schau gestellte Liebe. Da braucht es gar nicht mehr
Charlottes manchmal leicht peinliche Anpreisungen, was seine sexuellen
Finessen angeht. Stichwort „Pilz pflücken“ (nur für Eingeweihte): Den will
man.
Der „Crush“, den Martin bei mir und einigen Freundinnen auslöste, ist das
eine, was uns wochenlang zu Hörsüchtigen machte. Das andere war der Funke
der beiden, der schon nach der ersten Folge übersprang und dazu führte,
dass viele Zuhörende während des Podcasts miteinander schliefen. Wahrheit
ist zutiefst erotisch. Auf Instagram wurde dem Promi-Paar zugejubelt:
„Meine lieblingsseelenstrippenden Dadaisten, ihr MeisterInnen des
Tabubruchs, die sogar Darmspiegelungen Sex-Appeal verleihen. Ihr seid der
Premium Ohrenorgasmus!“
Mehr Ehe-Sex kann ich, seit zwei Jahrzehnten verheiratet, aber nicht
zwangsmonogam, noch nicht vermelden, seit mein Mann und ich uns die
Reality-Show auf die Ohren packten. Aber wir begannen das „Zwiegespräch“,
das Charlotte und Martin von ihrer Amalfi gelernt haben. Es wirkte
wundersam nach. Weshalb ich von anderen Paartherapeuten wissen wollte, was
sie denn als Profis von der „Paardiologie“-Ehe halten. Ferndiagnose, aber
bitte besser als in der Bunte.
## Eine legitimierte offene Beziehung
Stefan Ruzas aus München hat mit seiner Frau Birgitt Hölzel, auch
Therapeutin, unter dem Pseudonym „Liebling + Schatz“ einen Ehe-Sex-Ratgeber
geschrieben. Er ist sicher nicht so eine coole Sau wie Martin, da er mich
mit „Grüß Gott, die Dame“ anredet, aber was er mir schreibt, klingt gut:
„Ihre Schmerzpunkte sind glaubhaft spürbar. Beide streiten, und das ist gut
so.“ Unglaublich mutig finden sie, dass in jeder Podcast-Folge eine noch
nie gestellte Frage gestellt wird, auch wenn die Antwort wehtut – zum
Beispiel zur Abtreibung des gemeinsamen (möglichen) Kindes. „Beide halten
viel aus und beide ertragen viel. Extrem wichtige Voraussetzungen, gerade
in Langzeit-Beziehungen.“
In einem der vielen Interviews zum Auftakt von „Paardiologie“ sagte Roche
mal: „Eins meiner Ziele im Podcast ist es, am Ende eine legitimierte offene
Beziehung zu bekommen.“ Irgendwie haben sie das Ziel über die Wochen
schnell verloren, auch wenn Martin einmal klarstellte, dass er Charlotte
polyamore Ausflüge gönnt, aber es ihn selber nicht so danach drängt. Ob die
beiden zum Abschluss noch den Dreh kriegen, klare Vereinbarungen rund um
diesen Brennpunkt zu schaffen? Eigentlich ganz egal, denn eine offene Ehe
haben sie bereits: offen für Gespräche, für Transparenz und offen für alle,
davon zu lernen.
21 Sep 2019
## LINKS
[1] /Podcast-Paardiologie/!5602225
[2] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/podcast-paardiologie-von-ch…
[3] /Charlotte-Roches-Maedchen-fuer-alles/!5238688
## AUTOREN
Anke Richter
## TAGS
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