# taz.de -- EU, Großbritannien und der Brexit: So kann's gehen | |
> Der Streit um den Brexit ist lösbar, wenn man sich auf die Sachfragen | |
> konzentriert und an die Menschen denkt. Ein Vorschlag zur Güte. | |
Bild: Die Demonstrationen gegen den Brexit reißen in London nicht ab | |
Vergesst Boris Johnson, Jacob Rees-Mogg und all die versammelten | |
Eitelkeiten Westminsters. Beim Brexit geht es um Menschen, und die brauchen | |
jetzt Klarheit. | |
Eine weitere Verschiebung um drei Monate, wie das britische Parlament sie | |
will, verlängert die Unklarheit. Ein [1][Bruch ohne Deal], wie ihn Johnson | |
im Spiel halten will, schafft Klarheit, vernichtet aber Vertrauen und wäre | |
ein Eingeständnis des Unvermögens. | |
Dieses Unvermögen besteht in der Weigerung, öffentlich anzuerkennen, dass | |
sich die Interessen Großbritanniens und die der EU weitgehend decken. Und | |
dass daher, auch ohne sämtliche offenen Fragen zu regeln, Vereinbarungen | |
möglich sind – Vereinbarungen, die [2][der Brexit-Deal], den die EU im | |
vergangenen Jahr mit London aushandelte, bereits enthält. | |
Zum Beispiel die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten in | |
EU-Staaten: Beide Seiten beteuern, dass sich für Betroffene nichts ändern | |
soll, und gewährleisten das bereits. Dennoch bleibt Unsicherheit über die | |
Zukunft. Eine Klärung wäre problemlos, träten die relevanten Teile des | |
bestehenden Deals separat in Kraft. | |
## Sinnvolle Vorbereitungen | |
Zum Beispiel die sicherheitspolitische Zusammenarbeit. In Fragen der | |
Verteidigung, der Außenpolitik und der Terrorbekämpfung liegen London und | |
Brüssel auf einer Linie. | |
Zum Beispiel der Personen- und Güterverkehr. Niemand will lange Wartezeiten | |
und Formalitäten an Grenzposten. Reibungslose Handelsketten liegen im | |
Interesse aller. Die Vorbereitungen auf beiden Seiten für den Fall eines | |
No-Deal-Brexits sind weit fortgeschritten, und es wäre jetzt sinnvoll, sie | |
aufeinander abzustimmen. | |
Komplizierter ist die Frage der offenen finanziellen Verpflichtungen | |
Großbritanniens gegenüber der EU. Diese sind zwar im Brexit-Deal geregelt, | |
sind aber ohne dessen Inkrafttreten nicht einklagbar. Gegenüber einem | |
scheidenden Mitgliedstaat, der netto knapp eine Milliarde Euro pro Monat an | |
EU-Beiträgen zahlt, müsste Brüssel ein Interesse an Kontinuität haben. | |
Als größter Stolperstein gilt die innerirische Grenze. [3][Am sogenannten | |
Nordirland-Backstop] ist der vorliegende Brexit-Deal bislang im britischen | |
Parlament gescheitert. Anders als oft dargestellt, liegt das Problem dabei | |
nicht in der Garantie einer offenen Grenze zwischen Nordirland und der | |
Republik Irland – die britische Seite hat sich dazu verpflichtet, egal was | |
sonst passiert. | |
Knackpunkt ist, dass der Backstop Großbritannien in der EU-Zollunion behält | |
und damit London die außenhandelspolitische Souveränität gegenüber | |
Drittstaaten raubt – und das so lange, bis ein neues Abkommen an die Stelle | |
des Backstop tritt. Jedes EU-Land kann ein Nachfolgeabkommen blockieren, | |
solange Großbritannien nicht auch bei anderen Dingen einlenkt. So hat | |
Frankreich den Zugang zu britischen Fischereigewässern ins Gespräch | |
gebracht. Die Möglichkeit sachfremder Erpressung macht den Backstop für | |
London inakzeptabel. Er muss auf die Grenzfrage beschränkt bleiben. | |
Die Grenzfrage ist lösbar. Der Warenverkehr zwischen Nordirland und der | |
Repubik Irland ist überschaubar, seine Akteure sind bekannt, die | |
Warenflüsse werden erfasst. Angepasste Regelungen wären einfach: Die | |
meisten Geschäftsleute sind auf beiden Seiten der Grenze tätig, die Hälfte | |
des Handels findet im Agrarbereich statt – einem Bereich, den die EU auch | |
intern lückenlos kontrolliert. Die offizielle britische Alternative | |
Arrangements Commission hat detaillierte Vorschläge zum Grenzregime | |
vorgelegt. Sie sind eine Gesprächsgrundlage. | |
Schon im vorliegenden Deal gilt der Backstop erst ab 2021, und das kann | |
verlängert werden. Die EU könnte nun folgendes Angebot an Großbritannien | |
machen: Der Deal tritt am 31. Oktober in Kraft – ohne Backstop. Der | |
Backstop wird ausgeklammert, die irische Grenzfrage klärt die neue | |
EU-Kommission mit der neuen britischen Regierung. | |
Das wäre ein Akt der Staatskunst. Die EU sollte dazu in der Lage sein. | |
6 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Machtkampf-im-britischen-Unterhaus/!5623560 | |
[2] /Fragen-und-Antworten-zum-Brexit/!5548911 | |
[3] /Die-EU-und-die-Nordirlandfrage/!5569636 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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