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# taz.de -- Debatte um Autor Yann Moix: Erwachen mit Scheußlichkeiten
> Frankreich diskutiert über den Schriftsteller Yann Moix. In seiner Jugend
> veröffentlichte er abstoßende antisemitische Zeichnungen und Texte.
Bild: Moix hat sich immer schon durch seine Grausamkeit, seine Arroganz, seine …
Vor ziemlich genau einer Woche hat in Frankreich das neue Jahr begonnen.
Das Land und besonders Paris ist aus seinem traditionellen sechswöchigen
Sommerschlaf erwacht und hat die Saison gleich mit einem großen Eklat,
einer sehr bewegten Diskussion begonnen. Es geht darin um den in
Deutschland vollkommen unbekannten, in Frankreich aber vor allem wegen
seiner Fernsehauftritte berühmten Schriftsteller Yann Moix.
Moix hatte schon vor ein paar Monaten auf sich aufmerksam gemacht, als er
mit der armseligen Bemerkung glänzte, er könne sich in keine Frau über
fünfzig verlieben, geschweige denn mit ihr Schlafen. Damen dieses Alters
seien für ihn schlicht unsichtbar, meinte er, und fand sich (selbst 51)
dabei, so schien es, noch „mutig“, diese „männliche Wahrheit“
auszusprechen.
Damals war das ein kleiner Eklat. Ein etwa einwöchiger Medienrummel, der
dann aber auch schnell wieder abflachte, einfach weil, na ja, die
Frauenwelt, die der unter und über Fünfzigjährigen, auch ganz gut ohne Moix
und Männer seiner Sorte klarkommt.
Nun allerdings hat sich der Schriftsteller auf der Skala der Grässlichkeit
in kürzester Zeit an die Spitze gehievt: Die Veröffentlichung seines neuen
Romans „Orléans“, mit dem Moix übrigens nicht weniger als den Prix Goncou…
anpeilte, hat eine ganze Welle von Peripetien mit sich gebracht.
Da war zunächst die Tatsache, dass er darin schreibt, sein Vater habe ihn
seine gesamte Kindheit über missbraucht, was erst seine Eltern vehement
leugneten und dann auch sein Bruder in einem offenen Brief bestritt: Nicht
der Vater, sondern Moix selbst sei der Täter, der Gewalttätige der Familie
gewesen, jahrelang habe er ihn, den Bruder, physisch und psychisch gequält.
Wäre es dabei geblieben, hätte man die Sache wahrscheinlich als
Familienangelegenheit begraben.
## Mit Superzoom auf sein Gesicht
Doch dann kam noch mehr. Diesmal Gesellschaftsrelevanteres. Denn Moix war
offenbar in jungen Jahren, mit etwa zwanzig, eng mit rechtsradikalen,
negationistischen Milieus verbunden und zeichnete, wie die Zeitschrift
L’Express enthüllte, für ein Blatt mit dem Namen Ushoahia.
Der Titel, eine Kreuzung aus „Shoah“ und „Ushuaia“ soll wohl suggeriere…
Konzentrationslager seien so etwas wie ein Ferienort gewesen, was Moix mit
einem Bild von gitarrespielenden Häftlingen unterstrich. Unter vielen
anderen Scheußlichkeiten schrieb er Dinge wie: „Die Juden waren froh in die
Lager zu gehen, um sich in Aschenbecher aufzulösen.“ Und: „Jeder weiß, da…
es die Konzentrationslager nie gegeben hat.“
Zur Erinnerung: In Frankreich ist Negationismus, also das Leugnen des
Holocausts und der Konzentrationslager, eine Straftat. Nur hatten das der
Moderator und auch die Gäste der Fernsehsendung „On est pas couché“
offensichtlich vergessen, als Yann Moix dort vor zehn Tagen auftreten und
weinerlich erklären durfte, er ekle sich vor seinem jungen Selbst und
schäme sich ja so sehr und entschuldige sich und überhaupt: Er sei ja auch
gar nicht mehr so.
Das Ganze lief mit Superzoom auf seinem Gesicht, die anderen Gäste schauten
ihn mitleidig an, vielleicht lief sogar dramatische Musik. Keiner stand auf
und sagte: Pardon, aber den Scheiß mach ich nicht mit. Keiner stellte
irgendwie relevante Fragen oder verlangte von diesem Mann, sich wirklich zu
erklären, etwas inhaltlich Relevantes zu sagen.
Nein, stattdessen bot man Moix, der sich immer schon durch seine
Grausamkeit, seine Arroganz, seine Misogynie ausgezeichnet hat, erneut
eine extrem große Plattform (die Sendung wurde von 878.000 Zuschauern
verfolgt!), widersprach ihm nicht oder kaum und tat damit so, als sei dies
eben kein Delikt, sondern eine Dummheit, eine Jugendsünde wie jede andere,
die man öffentlich bereuen und dann auch verziehen bekommen kann.
Warum? Weil man Schriftsteller ist, angeblich ein sehr guter? Weil man sich
als solcher in Frankreich ohnehin, siehe Houellebecq, wie ein Schwein
benehmen darf? Oder vielleicht doch ganz einfach, weil der Antisemitismus
in diesem Land, wie auch in den meisten anderen europäischen Ländern, trotz
der nachgewiesen rasanten Zunahme der Vorfälle schlicht nicht ernst
genommen wird?
11 Sep 2019
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
## TAGS
Air de Paris
Yann Moix
Schwerpunkt Frankreich
Antisemitismus
Marcel Proust
Air de Paris
Bildende Künstler
Juden in Frankreich
Paris
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