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# taz.de -- USA gedenken 400 Jahren Sklaverei: Schleppende Aufarbeitung
> Mit Gedenkveranstaltungen wird an die ersten Sklaven in den USA erinnert.
> Doch sogar diese Erzählung ist geschönt und weist Lücken auf.
Bild: Auch Universitäten handelten mit Sklaven, wie die jesuitische Georgetown…
New York taz | Am 20. August 1619 kaufte ein weißer Kolonist in Virginia
mehr als 20 Menschen von einem Schiff, das an dem Ort namens Point Comfort
angelegt hatte. Sie waren im Königreich Ndongo, dem heutigen Angola,
gekidnappt worden. Auf hoher See hatten englische Piraten sie von einem
portugiesischen Sklavenschiff geraubt. In Point Comfort deckten sich die
Verkäufer mit Nahrungsmitteln ein, bevor sie nach der Transaktion wieder
mit der „White Lion“ in See stachen.
400 Jahre danach betrachten die USA den Tag als den Anfang der Sklaverei in
Nordamerika. Historiker, Bürgerrechtler und Politiker haben
Gedenkveranstaltungen organisiert. Und am kommenden Wochenende ist eine
Freilassung von Schmetterlingen an dem Schauplatz geplant, an dem das
Verbrechen gegen die Menschlichkeit begonnen haben soll.
Doch historisch war die Sache komplizierter. Zwar hat die Transaktion in
Point Comfort tatsächlich stattgefunden. Aber sie war keineswegs der Anfang
der Sklaverei in Nordamerika. Die hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits über
den Kontinent ausgebreitet. Europäische Kolonisten hatten amerikanische
Ureinwohner versklavt. Spanische und portugiesische Schiffe deportierten
bereits Menschen aus Afrika in die Karibik. Und in Florida und im heutigen
South Carolina waren Spanier schon zuvor mit versklavten Afrikanern an Land
gegangen. Eine spanische Expedition in South Carolina endete im November
1526 – fast ein Jahrhundert vor Point Comfort –mit einer Rebellion der
Sklaven.
Die Lücken und Ungenauigkeiten rund um die Anfänge der Sklaverei in den
heutigen USA sind keine Ausnahme. Wenn es um dieses dunkle Kapitel der
US-Geschichte geht, ist der Sachstand vage, im günstigen Fall halbwahr und
oft falsch. Die Grauzonen reichen vom Privaten bis zum Öffentlichen.
## Finanzspekulation mit Sklaven – alle machten mit
Während weiße US-Amerikaner ihre europäischen Ursprünge feiern, trifft die
systematische Zerstörung von Identität und Herkunft die Nachfahren der
Sklaven bis heute empfindlich. Ihnen wurde die Kontrolle über ihr eigenes
Leben genommen, ihnen wurden die eigene Sprache, die Religion, das Essen
und die Musik verboten. Bis heute tragen viele von ihnen die Nachnamen der
Sklavenbesitzer. Erst seit wenigen Jahren ist es möglich, mit Gentests und
Ahnenforschung einzelne Teile ihrer zerstörten Familiengeschichten
zurückzuerobern. Auch die öffentliche Bildung wagte sich nur vorsichtig an
die Sklaverei heran. Die Museen über afroamerikanische Geschichte und die
Sklaverei sind noch in ihren Anfängen.
Schwer tun sich die USA auch mit der Beschreibung des Einfluss der
Sklaverei auf Wirtschaft und Politik. Offiziell war Sklaverei ein Problem
der Südstaaten – als hätte nur ein kleiner Teil des Landes mitgemacht und
mit profitiert.
1860, fünf Jahre vor dem Ende des Bürgerkriegs, waren Sklaven der größte
einzelne Vermögenswert der USA. Ihr Wert überstieg den sämtlicher
Manufakturen und Zugunternehmen zusammen. Die vier Millionen Menschen, die
1860 Zwangsarbeit leisten mussten, arbeiteten vor allem in den Südstaaten
auf Baumwoll-, Tabak- und Zuckerrohrplantagen sowie vereinzelt auch im
Eisenbahnbau. Aber auf ihren Schultern und mit ihrer Arbeit entstanden die
Vermögen, die das Land prägten.
Es gab keine großen Unternehmen, die nicht in das Geschäft involviert
waren. Die New Yorker Versicherungskonzerne verkauften Policen an
Sklavenhalter, die ihren „Besitz“ absichern wollten. Banken quer durch die
USA akzeptierten Sklaven als „Sicherheiten“ für Kredite und verkauften sie
weiter, wenn ihre Kunden zahlungsunfähig waren. Und auch Universitäten
spekulierten mit Sklaven. So verkaufte die jesuitische Georgetown
Universität im Jahr 1838 insgesamt 272 Personen nach Louisiana, um Schulden
zu tilgen. Alle Häfen längs der Ostküste organisierten den
transatlantischen Handel mit den Rohstoffen, die zu fast 100 Prozent von
Sklaven produziert wurden.
## Gesetze von damals wirken auch heute
Die Sklaverei schuf das Fundament für den US-amerikanischen Kapitalismus.
Ihre Brutalität im Umgang mit Menschen hat die unternehmerische Kultur des
Landes geprägt. Zugleich hat sie nachhaltige Spuren in den politischen
Institutionen der USA hinterlassen.
So schrieben Sklavenhalter aus Virginia, die in Personalunion
„Gründerväter“ der USA waren, in die Verfassung, dass die Südstaaten mehr
Sitze im Repräsentantenhaus und damit auch in dem Electoral College
(Wahlleutegremium) bekamen, das den Präsidenten wählt. Im Jahr 1787 schufen
sie den „Drei-Fünftel-Kompromiss“: Der besagt, dass bei Volkszählungen, d…
sonst nur Weiße berücksichtigte, drei von fünf Sklaven als Personen gezählt
würden. Somit hatten die Bundesstaaten mit vielen Sklaven eine hohe
Bevölkerungsanzahl und konnten im Repräsentantenhaus dann mehr Sitze
bekommen. Im 18. und 19. Jahrhundert sorgte das dafür, dass die
Sklavenhalter im Kongress nicht von den Nordstaatlern überstimmt werden
konnten. Im 20. Jahrhundert führte das System der Wahlmänner im Electoral
College mehrfach dazu, dass Präsidenten ins Weiße Haus kamen, obwohl sie
nicht die Mehrheit der Wählerstimmen hatten – [1][auch Donald Trump].
Mit der Sklaverei hängen auch die Anfänge des „[2][second amendment]“
zusammen, das für den weitgehend unkontrollierten Zugang zu Schusswaffen
sorgt. Der Verfassungszusatz entstand im Jahr 1791, als im benachbarten
Haiti [3][Sklaven erfolgreich gegen Frankreich rebellierten]. Aus Furcht
vor Aufständen und vor der Flucht ihres „Besitzes“ organisierten
Plantagenbesitzer in den USA damals Milizen, die sie „Sklaven-Patrouillen“
nannten. Das Second Amendment verschaffte dem Recht der Milizen auf
Bewaffnung Verfassungsrang.
Die Sklaverei währte bis 1865. Die USA haben länger mit ihr als ohne sie
gelebt. Auf den Bürgerkrieg folgte nur eine kurze Phase der
Aufbruchstimmung. Und danach ein Rückfall in mehr als ein halbes
Jahrhundert von Repression im Zeichen der staatlichen Segregation.
Erst in den 1950er und 60er Jahren erkämpfte die schwarze
Bürgerrechtsbewegung neue Rechte. Aber ihre Arbeit ist noch längst nicht
abgeschlossen. Das zeigt sich unter anderen in den Gefängnissen, bei der
[4][Polizeigewalt] und bei der Armut, die überproportional Afroamerikaner
treffen, und bei der Ideologie der „White Supremacy“, die mit dem aktuellen
US-Präsidenten neuerlich erstarkt ist.
Von der „postracial“ Gesellschaft, die Journalisten im Jahr 2008 nach der
Wahl von Barack Obama ausgerufen haben, sind die USA noch Lichtjahre
entfernt.
20 Aug 2019
## LINKS
[1] /US-Praesident-formal-bestaetigt/!5368094
[2] /Kommentar-Massaker-in-Texas/!5460302
[3] /Die-Geschichte-Haitis/!5149065
[4] /US-Proteste-gegen-Polizeigewalt/!5580287
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
US-Sklaverei-Geschichte
Schwerpunkt Rassismus
Afroamerikaner
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Südstaaten
Nachruf
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