# taz.de -- Halal-Fleisch trotz Betäubung: Ein kurzes Gebet vor dem Tod | |
> Zum Schlachthof von Rolf Piepmeier nahe Bremen kommen überwiegend | |
> Muslime. Sie sehen sein Fleisch als halal an, obwohl die Tiere betäubt | |
> werden. | |
Bild: Halal, obwohl das Schaf betäubt wurde: Tier in Elsflether Schlachthof | |
ELSFLETH taz | Bereits beim Betreten des Ladens von Schlachthofbesitzer | |
Rolf Piepmeier wird deutlich: Er versteckt nichts, alles ist sichtbar. An | |
der Verkaufstheke stehen zwei Mitarbeiter und schneiden Fleisch klein, | |
direkt hinter ihnen hängen die gehäuteten Körper der einstigen Lebewesen | |
wie an einer Kleiderstange. | |
Unmittelbar neben ihnen befindet sich der Kühlraum, hier werden die Kadaver | |
bei drei Grad Celsius frisch gehalten. Kunden warten bereits vor der Theke | |
auf ihre Bestellung, rechts daneben befindet sich der Pausenraum, dahinter | |
ist Piepmeiers Büro. | |
In weißem Kittel und mit mildem Lächeln sitzt Rolf Piepmeier an seinem | |
Schreibtisch. Das Besondere an Piepmeiers Schlachthof in Elsfleth bei | |
Bremen: Er hat überwiegend muslimische Kunden. Denn auch fast alle seine | |
angestellten Schlachter sind gläubige Muslime, daher wird das Fleisch von | |
seinen Kunden als halal, also als erlaubt, angesehen, obwohl es vorher | |
betäubt wurde. | |
In Deutschland ist das betäubungslose Schlachten – das Schächten – nach d… | |
Tierschutzgesetz verboten, nur mit Ausnahmeregelungen wird es gestattet. | |
## Die Tiere wirken neugierig | |
Heute werden bei Piepmeier Lämmer und Bullen geschlachtet. Im Hinterhof ist | |
ein Paddock, hier werden die Tiere vor dem Schlachten untergebracht. Im | |
Paddock befinden sich noch zwölf der vier Monate alten Tiere, 70 kamen | |
insgesamt frühmorgens an. | |
Sie wirken neugierig, aber eher menschenscheu. Beim Betreten des Gatters | |
drängen sie sich in die Ecke, eins hustet laut. „Das tun wir alle mal, | |
vielleicht hat es sich verschluckt“, meint Veterinär Holger Klükas. Er ist | |
fünf Tage die Woche bei Piepmeier. Vier der Lämmer sind bereits in einer | |
engen Schleuse: Sie sterben als nächstes. | |
Die Tiere kommen aus Wilhelmshaven, ihr Besitzer, Jochen Fass, ist auch da. | |
Sie alle wiegen rund 50 Kilogramm, am Ende kommt etwa die Hälfte als | |
Fleischprodukt heraus. Vorsichtig stupst mich eins der Lämmer mit der | |
Schnauze an, ich halte ihm die Hand hin. Seine Haare kitzeln und es lässt | |
sich am Kopf kraulen. Interessiert werde ich nun auch von den anderen | |
Augenpaaren beäugt. Ein anderes Lamm lutscht an der Metallstange, das Tier | |
beginnt an meinem Fingern zu knabbern. | |
## Bei der Schlachtung ist der Veterinär nicht dabei | |
Jochen Fass ist Deichpfleger. Nichts schützt den Deich so gut wie Schafe. | |
Dafür waren die Lämmer vier Monate lang da, jetzt sterben sie für den | |
menschlichen Verzehr. Veterinär Klükas überprüft die Tiere vor der | |
Schlachtung und begutachtet das Fleisch danach. Bei der Schlachtung selbst | |
ist er nicht dabei, „die Schlachter können das ja“. | |
Bei der Lebendbeschau achtet er auf die Stimmung der Tiere, ob sie | |
gestresst sind oder ob ihnen äußerlich etwas fehlt, etwa wenn ein Lamm zu | |
mager ist. Auch den Schlachtabfall muss er später begutachten: Leber, Lunge | |
und die anderen Organe müssen einwandfrei aussehen. | |
Die Tür zum Schlachtraum geht auf, die vier Schlachter sind bereit. Das | |
erste Tier wird zur Öffnung gedrängt, dann werden die Strompads an die | |
Schläfen gesetzt. 230 Volt schießen durch den jungen Schafskörper, er | |
erschlafft am Boden. Das Tier ist betäubt. Ali Hiyazi, einer der | |
Schlachter, zieht den leblos erscheinenden Körper in den Schlachtraum, mit | |
seinem scharfen Schlachtmesser durchtrennt er in einem Schnitt Speiseröhre | |
und Luftröhre sowie die Jugularvenen und die Karotisarterien. | |
Davor murmelt er die Worte „Bismillah, allahu akbar.“ Zu deutsch: „Im Nam… | |
Gottes, Gott ist groß.“ Ganz leise, denn es sind Ungläubige anwesend. Eines | |
der Tiere zuckt stark, doch Klükas winkt ab: „Das sind nur Nerven und | |
Muskelzuckungen. Die sind hinüber.“ | |
Das Blut flutet den Boden und fließt in den Gitterabfluss, die Schlachter | |
hängen die Tiere auf. Alles geht sehr schnell, die Schlachter sind Profis, | |
das Töten ihr Beruf. Sie entfernen Hufe und Kopf, ziehen die Haut ab: Mit | |
kräftigen Messerhieben trennen sie sie vom Fleisch. Während die Schlachter | |
die Köpfe übereinander aufhängen, steht das nächste Tier bereit, die | |
Prozedur wiederholt sich. Die Stromzange wird angesetzt, vor dem Tier | |
liegen seine toten Gefährten. | |
„Ich liebe meinen Job. Sonst würde ich ihn nicht mehr machen“, sagt | |
Piepmeier. Sein Job mache ihn glücklich. „Deshalb dürfen auch alle kommen | |
und gucken. Wenn ein Kunde anruft und Fragen hat, sage ich: ‚Komm einfach | |
vorbei!‘. Er kann dann das Tier vorher und danach sehen.“ Bei der | |
Schlachtung seien aber keine Kunden dabei, ergänzt er. | |
## Nur Muslime schlachten | |
Rolf Piepmeier legt allerdings selbst keine Hand mehr ans Messer. Sonst | |
wäre das Fleisch für manche Muslime nicht mehr halal. Ahmed Ismail, ein | |
langjähriger Kunde Piepmeiers, der in den Verkaufsraum gekommen ist, sagt, | |
ihm sei wichtig, dass ein gläubiger Muslim das Tier schlachte. Von einem | |
Deutschen dürfe er es nach seinem Glaubensverständnis nicht essen, dann sei | |
es unrein. | |
Manche Muslime lehnen sogar die Betäubung vor dem Schlachten ab, weil sie | |
glauben, das Tier sei dann bereits tot gewesen. Schlachter Ali Hiyazi | |
erklärt, dass es von den Vorbetern abhängt, ob das Fleisch eines mit | |
Betäubung geschlachteten Tiers erlaubt ist oder eben nicht. Muslime seien | |
nicht eine in sich geschlossene Glaubensgemeinschaft, es gebe | |
unterschiedliche Interpretationen, genauso wie es auch Unterschiede im | |
Christentum gebe. | |
Im Pausenraum herrscht eine freundliche, aber bedrückte Stimmung. Immer mal | |
wieder kommen Kunden einfach rein, einer bringt Kuchen von seiner Frau mit. | |
Die Arbeiter rauchen hier zwischen den Schlachtungen, Klükas kocht Kaffee. | |
Die einzigen Frauen sind die Kundinnen und eine Schafbesitzerin. Die Männer | |
sind still, so ein Job muss psychisch belastend sein. Einer hat die Hände | |
und den Kittel voller Blut, es scheint ihn nicht zu stören. Ein anderer | |
sagt: „Mit Ziegen könnt ich das nicht, die schreien immer so.“ | |
An der Wand hinter ihnen hängt eine Liste mit 40 Rinderrassen der Welt. | |
Klükas hat sie Piepmeier mal mitgebracht. Die anderen Wände sind übersät | |
mit Piepmeiers Urkunden: zum 60-jährigen Bestehen seines Schlachthofs, sein | |
Meisterbrief hängt da und unzählige Zeitungsartikel, in denen Piepmeier | |
überwiegend gut wegkommt. Er ist stolz auf die mediale Aufmerksamkeit. | |
Sein Geschäftsmodell habe sich so ergeben, meint Piepmeier. „Ich hatte | |
viele türkische Kunden.“ Dann sei er auf deren zahlreiche Hochzeiten | |
gegangen und habe sich bekannt gemacht. Dort erklärte sich schließlich | |
jemand bereit, für ihn zu schlachten. Seit 1964 wird im Schlachthof | |
Piepmeier halal geschlachtet. Damit fand er seine Nische, in der er | |
überleben konnte. Piepmeier sagt aber auch: „Das war nicht aus | |
Profitinteresse. Ich habe Freude an meiner Arbeit.“ | |
## „Underdog“ gegen die großen Schlachtfabriken wie Tönnies | |
Er versteht sich selbst als „Underdog“ gegenüber den großen | |
Schlachtfabriken wie Tönnies, die den Preis vorgeben. „Ich bin der einzige | |
Qualitätsschlachter im Umkreis“, meint Piepmeier. Er ist von Pegida | |
angefeindet worden, er würde den Tieren einen qualvollen Tod bereiten. In | |
der Umgebung würde er nur der „Türken-Schlachter“ genannt. Stören tut ihn | |
das nicht, „sollen die doch“. | |
Sein Kunde Ahmed Ismail kauft an manchen Tagen auch Lamm, heute aber gibt | |
es 40 Kilogramm Bulle. Die Tiere kommen gerade an, fünf Schwergewichte sind | |
es, jeder knapp 500 Kilogramm. Sie sind etwa 19 Monate und wollen partout | |
nicht aus dem Transporter hinaus, als ob sie spüren würden, das mit ihnen | |
etwas Schlimmes passieren wird. | |
Sie sind aufgeregt, schließlich preschen zwei hinunter in die Schleuse. Sie | |
laufen direkt in den Schlachtraum hinein, die anderen drei sind noch im | |
Transporter. Ihr Besitzer macht Krach und bespritzt sie mit Wasser, | |
schließlich drücken sie sich alle gegenseitig in die enge Schleuse. | |
Entspannt sieht anders aus, aber Klükas meint: „Das ist normal, nichts | |
Außergewöhnliches.“ | |
Der erste Koloss will direkt weiterlaufen, doch ein Schlachter schlägt den | |
Kopf weg und schließt die Klappe. Im Schlachtraum kommen die Tiere zuerst | |
in eine Box, die sie im Stehen fixiert. Dort wird der Bolzenschuss gelegt, | |
um das Tier zu betäuben. Dabei bohrt sich der Metallstab durch die | |
Schädeldecke bis ins Gehirn. | |
Klack – ein Schuss an die Schläfe. Die Boxentür öffnet sich und das Tier | |
fällt zu Boden, landet auf dem Rücken und kippt zur Seite. Danach wird es | |
an einem Hinterlauf hochgezogen, das Bein zuckt heftig dabei. Wieder die | |
Beruhigung des Tierarztes: „Nur Zuckungen.“ | |
Dennoch lebt der Bulle in diesem Moment noch, es dürfen nur wenige Sekunden | |
bis zur Durchtrennung der Kehle vergehen. Die Luft dampft vom warmen | |
Körper, das Blut rinnt in den Abfluss und süßlicher Gestank macht sich | |
breit. „Das Fleisch muss ganz ausbluten, sonst ist es nicht haltbar“, | |
erklärt Klükas. | |
Was auf Rolf Piepmeiers Schlachthof passiert, wirkt gar nicht so anders als | |
das, was sich in anderen Schlachthöfen abspielt. Es gibt nur kleine | |
Unterschiede wie das Sprechen des Gebets und natürlich die Tatsache, dass | |
nur Muslime das Tier töten. Was nach wenig aussieht, macht das Fleisch für | |
einige erst essbar. | |
Eine Ausnahmeregelung zum Schächten wäre für Piepmeier „undenkbar“. Das … | |
Tierquälerei, meint er, seine Kunden erachteten das Fleisch auch so als | |
rein. | |
Ob die Tiere bei einer betäubungslosen Schlachtung mehr leiden würden? Der | |
Veterinär überlegt kurz. „Das kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht“, | |
sagt Holger Klükas. | |
1 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Katharina Gebauer | |
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