# taz.de -- Käse im Voralpenland: Ziemlich beste Freunde | |
> An der Allgäuer Käsestraße gibt es nicht nur Emmentaler und Bergkäse. | |
> Franz Horn experimentiert mit Trüffeln und Basilikum. | |
Bild: Ein Handwerk mit Tradition | |
Die besten Freunde von Franz Horn haben seltsame Namen: Streptococcus, | |
Leuconostoc oder Lactococcus etwa. Und der Käser weiß genau, was er an | |
ihnen hat: „Diese winzigen Kerle schlüpfen noch ins letzte Löchlein rein | |
und machen ihre Arbeit. Ohne sie würde der Käse nach gar nichts schmecken.“ | |
Denn erst sie, die Bakterien, bauen den Zucker ab und verwandeln ihn in | |
Säure. | |
Wenn man dem stämmigen Westallgäuer mit der silbernen Käseharfe im Ohr in | |
seiner kleinen, blitzblanken Käsestube zuhört, spürt man: Da mag einer, was | |
er tut. „Man muss wissen: Was wollen die Bakterien, was können sie? Dann | |
kann man mit ihnen spielen und immer wieder etwas Neues ausprobieren.“ | |
Einen Frischziegenkäse mit Basilikum etwa, oder einen Schafskäse mit | |
Trüffeln – das sind die beiden jüngsten Versuche. | |
Vor Kurzem ist der 62-Jährige gesundheitsbedingt aus der Käserei in | |
Grünenbach ausgeschieden, wo er 35 Jahre lang gearbeitet hat. An die 2.000 | |
kleine Laibe Bauernkäse reifen da für eine Lindenberger Firma heran, jeden | |
Tag haben er und seine beiden Mitarbeiter 170 neue dazu gestapelt. Seine | |
Privatsennerei hier oben aber ist seit fast zwanzig Jahren | |
Experimentierstube und Spezialitätenwerkstatt zugleich: Alles, wofür der | |
5.200-Liter-Kessel in Grünenbach zu groß war, entstand hier. | |
## Wandern und Radeln | |
Horns Heimat ist das Westallgäu, die sanfte Hügellandschaft zwischen Isny, | |
Lindau und Oberstaufen. Um die Region bekannter zu machen, wurde 1997 die | |
Westallgäuer Käsestraße gegründet und 2013 zur Allgäuer Käsestraße | |
erweitert. Die gibt es zum einen tatsächlich, als ein viele Kilometer | |
umfassendes Rad- und Wanderwegenetz, das zwischen Isny, Immenstadt, Lindau | |
und Wangen wo immer möglich Nebenstraßen nutzt. | |
Zum anderen ist sie ein Zusammenschluss am Wege liegender Betriebe: | |
Käsereien, Gaststätten, Läden und Bauernhöfe, die ihre Kühe noch ohne | |
Silage und Soja, nur mit Gras und Heu füttern. Das heißt: Der Besucher kann | |
sich Teilabschnitte erwandern oder erradeln, und erfährt nebenbei alles | |
über das Lebensmittel, das das Allgäu seit Beginn des 19. Jahrhunderts | |
geprägt hat wie kein anderes. | |
In Sennereien in Steibis, Hopfen, Isny oder Börserscheidegg kann man | |
zusehen, wie die Käser, immer picobello ganz in Weiß, mit ihren Käseharfen | |
die gestockte Milch brechen, die körnige Masse in Formen packen oder die | |
Käselaibe in den Kellern immer wieder mit Salzwasser abbürsten. Man | |
erfährt, dass die Beliebtheit des Emmentalers gern schwankt, dass der | |
Absatz des pikanten Bergkäses etwas zurückgeht und heute vor allem milde | |
Sorten gefragt sind: Alles, was etwas weicher ist und nach Butterkäse | |
schmeckt, erfährt derzeit großen Zuspruch. | |
Neben dem milden, fast süßlichen Emmentaler ist deftiger, rotschmieriger | |
„Backsteiner“ im Angebot, sahniger Camembert und schließlich auch der | |
scharfe „Weißlacker“, der genauso schmeckt, wie die Geschichte seiner | |
Entstehung vermuten lässt: So, als habe jemand einen Romadur ein halbes | |
Jahr im Salzbad vergessen und hinterher festgestellt, dass das, was | |
übrigblieb, durchaus noch zum menschlichen Verzehr geeignet sei. Schaf- und | |
Ziegenkäse, wie Franz Horn sie produziert, kamen im Allgäu dagegen erst in | |
den letzten Jahren auf den Markt. | |
Im Dorfhaus in Thalkirchdorf können Interessierte sogar ihren eigenen Käse | |
herstellen. Unter den Schwarz-Weiß-Fotos attraktiver Allgäuer | |
Braunvieh-Schönheiten erwärmen die Teilnehmer, mit weißen Schürzen und | |
Kopfhauben angetan, in Mini- Kupferkesseln die Milch auf 35 Grad. | |
Anschließend geben sie Lab dazu, das Fermentiermittel, und schneiden die | |
eingedickte Masse mit einer Minikäseharfe zu Käsebruch. | |
Den füllen sie in einen Plastikbehälter und nehmen am Ende einen Allgäuer | |
Weichkäse nach Feta-Art mit nach Hause. Natürlich hat die Käseherstellung | |
auch im Allgäu längst jede Romantik verloren. Produziert wird auf Masse, | |
die EU achtet streng auf Hygiene. Dass Bauern beim Abliefern der Milch | |
einst in der Käseküche herumstanden und die Sennerei der Umschlagort für | |
Klatsch und Tratsch war, klingt wie Folklore aus guter, alter Zeit. Heute | |
sind die Abläufe zeitlich streng getaktet, Computerprogrammierung und | |
genaueste Protokollführung haben die schwere körperliche Arbeit von einst | |
abgelöst. | |
## Gute Handwerker | |
Der Kunde erwartet angeblich ein immer gleiches Produkt. Und also gilt es, | |
alle Schwankungen im Geschmack, wie sie einst durch Föhn, Schnee oder | |
blühenden Löwenzahn ausgelöst wurden, auszuschließen. | |
In Börserscheidegg und Isny, Rutzhofen und Bremenried und all den anderen | |
kleinen Betrieben an der Käsestraße aber spürt man: Da sind noch Leute | |
zugange, die ihr Handwerk lieben. Die immer noch weiter alle Möglichkeiten | |
ausloten wollen, die in der Milch stecken, die stolz sind auf ihr Produkt | |
und gern darüber erzählen: „Man muss den Käse schätzen und manchmal auch | |
mit ihm schwätzen“, verrät Franz Horn. | |
Er hat seine Neugier und seine Experimentierlust auch nach dreieinhalb | |
Jahrzehnten im Beruf nicht verloren. Die Händler, mit denen er | |
zusammenarbeitet, können ein Lied davon singen: Der Meister versucht sich | |
an Käse mit Senfsorten oder Pfefferminz, er experimentiert mit Chiliflocken | |
im Käseteig statt als Rinde, und er räuchert: Wie groß dürfen Käse sein, um | |
den Rauchgeschmack anzunehmen? Welche Holzsorten sorgen für welchen | |
Nuancen? Vertragen sich Rosmarin oder Lavendel mit Rauch? | |
Wie der Käse schmeckt, hängt bei seiner Art der Produktion immer von vielen | |
Faktoren ab. Die Niederschlagsmenge spielt eine Rolle, die Nord- oder | |
Südlage der Wiesen, die Gesundheit und Lebenslust des Viehs. Kein | |
Bordeauxliebhaber könnte kundiger und genussvoller über seine schönsten | |
Flaschen sprechen. „Jeden Morgen komme ich hier rein und sehe mir den Käse | |
an. Ich habe ihn gemacht, ich rieche ihn, ich kenne ihn und ich weiß | |
sofort, ob irgendetwas nicht stimmt.“ | |
Gute Freunde eben. Und die soll bekanntlich niemand trennen. | |
31 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
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