| # taz.de -- Festival Tanz im August: Die Botschaft war Befreiung | |
| > Eine Lektion in Einfachheit: Der französische Choreograf Jérôme Bel lässt | |
| > das Leben von Isadora Duncan tänzerisch erzählen. | |
| Bild: Elisabeth Schwartz tanzt Isadora Duncans „Mutter“ | |
| Dass weniger oft mehr ist, gehört zu den imageprägenden Bildern der frühen | |
| Moderne. Das Motto passt auch zu der Tanzpionierin Isadora Duncan | |
| (1877–1927): Sie legte Spitzenschuhe, Strümpfe, Tutu und Korsett ab, um | |
| barfuß und in lockerer Tunika zu tanzen, verzichtete auf Bühnenbilder und | |
| Lichteffekte, tradierte Librettos und kodifizierte Ballettschritte. Auch | |
| ihr Leben war von einer erstaunlichen Unabhängigkeit von | |
| instutionalisierten Formen gezeichnet. | |
| Mit keinem der Väter ihrer Kinder war sie verheiratet. Den Künstlern ihrer | |
| Zeit galt sie deshalb bald als Vorreiterin einer neuen Tanzform, oft in | |
| Zeichnungen und Skulpturen festgehalten. Während die Frauengeschichte sich | |
| an sie als Vordenkerin der Emanzipation erinnert.Ihr dramatisches Leben | |
| freilich verführt zur Überlieferung vieler Anekdoten: die frühen Skandale | |
| wegen der Nähe zur Nacktheit, die prominenten Liebhaber, die in der Seine | |
| ertrunkenen Kinder, ihr eigener Tod, erwürgt von einem Schal, der sich in | |
| den Speichen ihres Sportwagens verfangen hatte. | |
| Das ist Stoff für einen epischen Roman, einen atemlosen Film. Ihre Tänze | |
| und Soloauftritte aber, oft nur drei Minuten kurz, sind dagegen eine zarte | |
| Pflanze, ein Hauchen in den Wind, eine meditative Versenkung. Filmische | |
| Aufzeichnung gibt es nicht – das lehnte sie ab. Die Armschwünge und Hüpfer, | |
| die sich für unsere Augen sehr schnell zu gleichen beginnen, müssen als | |
| Zeichen einer Erneuerung erst lesbar gemacht werden.Wie also kann man davon | |
| erzählen? Den Furor wieder lebendig werden lassen, mit dem Isadora Duncan, | |
| zwischen den USA und Europa aufgewachsen, Traditionen beiseitefegte? | |
| Der französische Choreograf Jérôme Bel setzt beim Festival [1][Tanz im | |
| August] auf einfachste Rahmung, und das gelingt. An einem Pult auf der | |
| Bühne des Deutschen Theaters sitzt seine Assistentin Sheila Atala und führt | |
| mit kurzen Sätzen durch Duncans Leben. Unterstützt von der Tänzerin | |
| Elisabeth Schwartz, heute 69 Jahre alt, die seit 40 Jahren Tänze von Duncan | |
| aufführt und lehrt. | |
| Ballett als Disziplinierungsanstalt | |
| Gelernt hat die Schwartz bei einer jener Tänzerinnen, die noch von den | |
| Isadorables, den sieben Adoptivtöchtern von Isadora Duncan unterrichtet | |
| wurden. Diese Art der Überlieferung ist das Gegenteil der freien | |
| Verfügbarkeit von Quellen, des Sampelns von frei flottierenden Materialien. | |
| Duncans Tänze, so behauptet der Abend, werden nur von Mensch zu Mensch als | |
| kleine Kostbarkeiten weitergegeben. Auch zehn Leute aus dem Publikum dürfen | |
| einen der Tänze lernen. | |
| Wie die Tochter einer armen Musiklehrerin dazu kam, schon als Kind das | |
| Ballett abzulehnen und als junge Frau diese Disziplinierungsanstalt der | |
| Verkümmerung des Körpers anzuklagen, bleibt das Wunder ihrer Biografie. | |
| Aber darin, die Natur und die Antike als Lehrmeisterin zu nutzen, ist sie | |
| nah am Geist von bildenden Künstlern, Reformern und Esoterikern. | |
| Auf der Bühne tanzte Elisabeth Schwartz jede der Choreografien mehrmals, | |
| erst mit Musik von Schubert oder Skriabin, dann belegt mit Isodora Duncans | |
| Bezeichnungen für die Bewegungen: das „Wellenspiel“ der Arme, die „Woge�… | |
| die den ganzen Körper mitnimmt, „Schweben“ auf den Zehenspitzen mit weit | |
| geöffneten Armen, das „Spritzen“ der hoch aufschießenden Hände, das weic… | |
| „Strömen“ durch alle Gelenke. All das, schrieb sie in ihrer Biografie, habe | |
| sie schon als Kind am Meeressaum gelernt. | |
| Es steckt viel Mythos und viel Selbststilisierung in Duncans Erbe. Eine | |
| ganz feine Spur von Ironie, lässt sich an Jérôme Bels Abend erahnen. Wie | |
| Elisabeth Schwartz mit den Hopsern der „Bacchantinnen, die Dionysos | |
| folgen“, der Malerei auf griechischen Vasen abgeschaut, in den Kulissen | |
| verschwindet. Wie ihre drei Schläge in die Luft sie mit dem unterdrückten | |
| russischen Volk verbinden sollten, deren Revolution 1917 sie einen Tanz | |
| widmete. | |
| Duncans Selbstinterpretation könnte sehr schnell in Pathos umschlagen, in | |
| kunstreligiöse Überhöhung des Einfachen. Aber dem baut die Inszenierung von | |
| Bel vor, er fasst den erzählerischen Rahmen schlicht. Und ermöglicht damit | |
| den Emotionen, sich wieder an den Körper der Tänzerin zu heften, wenn sie | |
| mit wenigen Armgesten von der Liebe zu ihren Kinder erzählt und der Trauer | |
| des endgültigen Abschieds. | |
| 23 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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