# taz.de -- Initiative für Inklusion in Sachsen: Das Volk will’s inklusiv | |
> Das Bündnis „Gemeinschaftsschule in Sachsen“ hat 50.000 | |
> Unterstützer*innen. Dennoch stehen die Chancen für ein längeres | |
> gemeinsames Lernen nicht gut. | |
Bild: Inklusives Lernen: Kinder mit besonderen Bedürfnissen und ihre Mitschül… | |
Dresden taz | Diesen Erfolg kann dem Bündnis „Gemeinschaftsschule in | |
Sachsen“ niemand mehr nehmen: Die Koalition, die nach der Landtagswahl in | |
Sachsen am 1. September die Regierungsgeschäfte übernimmt, wird sich mit | |
ihrem Gesetzentwurf befassen müssen. Am heutigen Freitag übergibt | |
Bündnissprecher Burkhard Naumann dem CDU-Landtagspräsidenten in Dresden | |
über 50.000 Unterschriften, die das Bündnis seit November letzten Jahres | |
für den Volksantrag gesammelt hat. | |
Gereicht hätten auch 40.000, um [1][das Thema längeres gemeinsames Lernen] | |
auch im Freistaat auf die politische Tagesordnung zu setzen. Nun ist es da | |
– und mit ihm wird derzeit ordentlich Wahlkampf betrieben. Bislang sind | |
Gemeinschaftsschulen in Sachsen nicht zugelassen. Und zwar selbst dann | |
nicht, wenn sich Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen das wünschen. | |
Naumann und seine MitstreiterInnen wollen den Schulen die Möglichkeit | |
geben, selbst zu wählen, ob sie SchülerInnen verschiedener Niveaus auch | |
über Klasse vier hinaus unter einem Dach unterrichten wollen – oder eben | |
nicht. Unterstützt dabei werden sie unter anderen von SPD, Grünen und | |
Linkspartei, Verdi und der Bildungsgewerkschaft GEW. Ihr Gesetzentwurf | |
sieht ein „optionales Modell“ vor. Demnach würde der Beschluss von | |
Schulkonferenz und Schulträger reichen, eine Gemeinschaftsschule zu | |
gründen. Umgekehrt soll auch künftig niemand einer Schule das gemeinsame | |
Lernen aufzwingen können. | |
Naumann hofft, so die [2][Skepsis vieler Eltern] und den Widerstand der CDU | |
zu brechen, die Gemeinschaftsschulen bislang kategorisch ablehnen. Die | |
Wahlfreiheit geben andere Bundesländer ihren Schulen schon seit Jahren. Die | |
Nachfrage nach der „Schule für alle“ scheint dies zu rechtfertigen. So hat | |
sich die Zahl der Gemeinschaftsschulen in Deutschland zwischen 2007 und | |
2017 auf rund 2.100 verdreifacht. Zum Vergleich: Bundesweit gibt es etwa | |
3.100 Gymnasien. „Beim Thema längeres gemeinsames Lernen ist Sachsen noch | |
nicht sehr weit“, sagt Bündnissprecher Naumann der taz. | |
## Sächsische CDU setzt auf Leistungsstärke | |
Und das schiebt der Mitinitiator des Volksantrags vor allem auf die CDU, | |
die das Land seit der Wende erst allein, dann in wechselnden Koalitionen | |
regiert hat und ohne die eine Regierungsbildung auch dieses Mal kompliziert | |
bis unmöglich werden dürfte. | |
Tatsächlich hält die sächsische CDU nichts von Gemeinschaftsschulen. | |
Stattdessen setzt sie, wie das Wahlprogramm verrät, weiter auf Gymnasien | |
für die Leistungsstarken, Oberschulen für die weniger Starken und Förder- | |
und Sonderschulen für die Abgehängten. In kaum einem anderen Bundesland ist | |
die Inklusionsquote so niedrig wie in Sachsen, bei gerade mal 33 Prozent. | |
Bei Spitzenreiter Bremen sind es fast 90 Prozent. | |
„Keine Experimente“, hat der CDU-Kultusminister Christian Piwarz im | |
Wahlkampf mit Blick auf die Gemeinschaftsschulen verkündet. Piwarz | |
begründet die Ablehnung mit dem guten Abschneiden der sächsischen | |
SchülerInnen bei Bildungstests. So liegt deren Leistungsniveau regelmäßig | |
über dem Bundesschnitt, bei Lesen und in Mathe sind sächsische SchülerInnen | |
oft in der Spitzengruppe. Allerdings ist der Anteil der GrundschülerInnen, | |
die es aufs Gymnasium schaffen, nur Mittelmaß. Und wegen des | |
überdurchschnittlich hohen Anteils an FörderschülerInnen verlassen in | |
Sachsen überdurchschnittliche 8 Prozent der SchülerInnen ihre Schule ohne | |
Abschluss. | |
## Gemeinsames Lernen ist sinnvoll | |
Sabine Friedel erkennt hier dringenden Handlungsbedarf. „Wir sehen doch am | |
Zulauf, den die Privatschulen hier erleben, dass viele Eltern unzufrieden | |
mit dem staatlichen Angebot sind“, sagt Friedel der taz. Deshalb | |
unterstützt die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im | |
Sächsischen Landtag Naumanns Volksantrag. Dass ein längeres gemeinsames | |
Lernen [3][zu sehr guten Ergebnissen führt], hätten die neun Modellschulen | |
gezeigt, die ab 2007 auf Wunsch der SPD (die damals ebenfalls mit der CDU | |
koalierte) eingerichtet wurden. | |
Professor Wolfgang Melzer von der TU Dresden, der die Modellschulen | |
wissenschaftlich begleitete, empfahl in seinem Abschlussbericht an das | |
CDU-geführte Kultusministerium, das zweigliedrige System aus Oberschule und | |
Gymnasium zu „flexibilisieren“ und um Gemeinschaftsschulen zu „ergänzen�… | |
Unter Schwarz-Gelb (2009–2013) wurde das Modellprojekt jedoch eingestampft. | |
SPD-Politikerin Friedel sieht hier eine „ideologische Front“. Es sei | |
„albern“, ein Projekt wissenschaftlich begleiten zu lassen und dann die | |
Empfehlungen zu ignorieren. Wer nach der Wahl mit der SPD koalieren wolle, | |
müsse der Änderung des Schulgesetzes für die Gemeinschaftsschulen | |
zustimmen, verspricht Friedel. Vielleicht träumt Friedel davon, dass es in | |
Sachsen doch irgendwie reicht für Rot-Rot-Grün. „Wir werden das Versprechen | |
halten“, sagt sie jedenfalls. Das sei sie allein den neun Modellschulen | |
schuldig, die gern als Gemeinschaftsschulen weitergemacht hätten. | |
## Erweiterungsstunde für starke SchülerInnen | |
So wie die Parkschule Zittau, einer Kleinstadt im Dreiländereck mit Polen | |
und Tschechien. Schulleiter Werner Dietzschkau klingt fast ein bisschen | |
trotzig am Telefon: „Wir dürfen offiziell keine Gemeinschaftsschule mehr | |
sein, machen aber weiter wie bisher.“ Das heißt: An der Parkschule werden | |
nicht die schwächeren SchülerInnen gefördert, sondern die besonders guten. | |
Ab Klasse fünf mit einer „Erweiterungsstunde“ in Mathe und einer in | |
Deutsch. Ab der siebten Klasse dann als „Erweiterungskurse“, auch in | |
Englisch. | |
So hätten überdurchschnittlich viele SchülerInnen nach der Klasse neun noch | |
ein Jahr angehängt, um einen Realschulabschluss zu machen. Die Leistungen | |
der guten SchülerInnen sei im Vergleich zu früher nicht abgesunken. Viele | |
SchülerInnen der Parkschule hätten dann auch den Übertritt ins Gymnasium | |
geschafft. „Die Ergebnisse sprechen für sich“, sagt Dietzschkau. „Das ist | |
auch der Grund, warum wir extremen Zulauf hatten.“ Jedes Jahr hätte die | |
Parkschule 20 bis 30 SchülerInnen ablehnen müssen. Natürlich würde er sich | |
freuen, wenn die Gemeinschaftsschule formell eingeführt würde. Dann könnte | |
er auch Erweiterungskurse für das Gymnasialniveau einführen. | |
## AfD lehnt Gemeinschaftsschule ab | |
Ob die Gemeinschaftsschule kommt, ist jedoch höchst unsicher. Denn neben | |
der CDU lehnt sie auch die AfD strikt ab. „Der schleichenden Abschaffung | |
verschiedener Schulformen und der Entwicklung hin zur nivellierenden | |
Einheitsschule bis zur Klasse 10 muss Einhalt geboten werden“, heißt es im | |
Wahlprogramm. Gleichzeitig strebt die AfD widersprüchlicherweise ein | |
„längeres gemeinsames Lernen bis zur Klasse 8“ an. | |
Für den Volksantrag sieht es also nicht allzu rosig aus. Allerdings gibt es | |
für das Bündnis noch einen anderen Weg: Sollte der Antrag im Landtag keine | |
Mehrheit finden, bliebe als nächster Schritt eine Volksabstimmung. Sie wäre | |
ein Novum in Sachsen. Nötig wären dann aber 450.000 Unterschriften. | |
Burkhard Naumann glaubt, dass das zu machen ist. | |
16 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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