# taz.de -- Rücktrittsforderung in Puerto Rico: Der trotzige Gouverneur | |
> In Puerto Rico protestieren die Menschen gegen Gouverneur Rosselló. | |
> Obwohl dieser kaum mehr Unterstützung hat, will er nicht gehen. | |
Bild: Puerto-RicanerInnen machen ihrem Ärger über Gouverneur Ricardo Rossell�… | |
PUERTO RICO taz | In diesem Sommer in Puerto Rico ist der Hurrikan | |
politisch. Zwei Jahre nach der Katastrophe, als „Maria“ durch die | |
Karibikinsel tobte, demonstrierten am Montag eine halbe Million Menschen | |
auf den Straßen und legten das öffentliche Leben lahm. „Ricky renuncia“ | |
(„Ricky, tritt zurück“) lautete ihre Forderung an Gouverneur Ricardo | |
Rosselló. | |
Dessen Auftritt vom Vortag, bei dem er trotzig auf der „Kontinuität der | |
Regierungsgeschäfte“ bestand, hatte die Wut noch größer gemacht. Spät in | |
der Nacht zum Dienstag war seine Residenz im Herzen der Inselhauptstadt San | |
Juan immer noch von DemonstrantInnen umlagert. Sie verlangen jetzt, dass er | |
die Insel verlässt. | |
Letzter Auslöser für die Proteste war die Enthüllung von Textnachrichten, | |
die sich Gouverneur Rosselló und Leute aus seinem engsten Kreis mit dem | |
Messenger-Dienst „Telegram“ gegenseitig zugeschickt hatten. | |
Die Texte sind gespickt mit homophoben und sexistischen Witzen; mit | |
Gewaltfantasien gegen Frauen, darunter auch gegen die Bürgermeisterin von | |
San Juan, Carmen Yulín Cruz, die ein Berater von Rosselló „abknallen“ | |
möchte. Darauf die Antwort des Gouverneurs: „Damit würdest du mir einen | |
großen Gefallen tun.“ | |
Zudem fallen Bemerkungen des Gouverneurs bezüglich des Hurrikans: „Haben | |
wir keine Leichen, die wir den Krähen vorwerfen können?“ Bei der | |
Naturkatastrophe kamen mehr als 3.000 Menschen ums Leben, fast doppelt so | |
viele wie nach Hurrikan „Katrina“ in New Orleans im Sommer 2005. | |
## Gouverneur „korrupt und inkompetent“ | |
Seit das [1][Zentrum für investigativen Journalismus die 889 Seiten | |
Textnachrichten am 13. Juli veröffentlicht hat], reißen die Proteste gegen | |
Rosselló nicht ab. Neun Tage nach deren Beginn veröffentlichte Rosselló am | |
Sonntag ein Video auf Facebook, in dem er erklärte, er sei bereit, vom | |
Vorsitz seiner Partei zurückzutreten und auf eine neue Kandidatur als | |
Gouverneur Ende nächsten Jahres zu verzichten. Seinen Rücktritt lehnte er | |
jedoch ab. | |
Während DemonstrantInnen daraufhin den Expreso Las Américas, die | |
Hauptverkehrsader von San Juan, sowie den Hafen der Stadt besetzten, gab | |
Rosselló dem rechten US-amerikanischen Fernsehsender Fox ein Interview. | |
Darin konnte er nur einen einzigen Unterstützer seines Machtverbleibs | |
namentlich nennen: den Bürgermeister von San Sebastián Javier Jiménez. | |
Schon Minuten später dementierte dieser seine Unterstützung für Rosselló. | |
Auch aus dem Weißen Haus bekam Rosselló am Montag Gegenwind: Donald Trump | |
erklärte, der Gouverneur sei „korrupt und inkompetent“. Der US-Präsident | |
weitete seine Kritik auch auf die Bürgermeisterin von San Juan aus, die ihn | |
nach dem Hurrikan öffentlich kritisiert hatte, weil Hilfsgüter zu spät und | |
zu spärlich auf die Insel kamen. | |
Am Montag behauptete Trump, Puerto Rico hätte 92 Milliarden US-Dollar an | |
Hilfsgeldern nach der Katastrophe bekommen. Tatsächlich hat die Insel | |
bislang nur 14 Milliarden der geplanten 42,5 Milliarden Dollar als Hilfe | |
erhalten. | |
## Eine bereits geschwächte Insel | |
Am Montag ging jedeR sechste BewohnerIn von Puerto Rico auf die Straße. Die | |
Breite der Proteste zeugt von Ärger, der tiefer geht und weiter | |
zurückreicht als ein korrupter und herablassender Gouverneur. | |
Schon 2017 musste sich Puerto Rico angesichts eines Schuldenbergs von 74 | |
Milliarden Dollar für zahlungsunfähig erklären. Anschließend stellte der | |
US-Kongress die Insel unter Zwangsverwaltung. Washington benannte eine | |
Junta, die einen Austeritätsplan für Puerto Rico entwickelte. | |
Zu den schmerzhaften Maßnahmen, die die Junta anordnete, gehören | |
Schließungen von Krankenhäusern, das Ende von weiten Teilen des | |
öffentlichen Nahverkehrs sowie umfassende Privatisierungen. | |
Wenig später [2][kam mit Hurrikan „Maria“ im September 2017 die nächste | |
Katastrophe] für die bereits geschwächte Insel. Der Tropensturm zerstörte | |
tausende Häuser sowie das Straßennetz und verursachte den Zusammenbruch der | |
Telefon-, Strom- und Trinkwasserversorgung. | |
Anders als in Texas und Florida, wo gleichzeitig Stürme wüteten, [3][bekam | |
Puerto Rico nur tröpfchenweise Hilfe aus Washington]. Als Trump der | |
zerstörten Insel eine mehrstündige Stippvisite abstattete, warf er bei | |
einer Versammlung mit Überlebenden der Katastrophe Küchenpapierrollen in | |
die Menge. | |
## Zwischen Missachtung und Korruption | |
Nach Hurrikan „Maria“ ging die Privatisierung auf der zerstörten Insel noch | |
rasanter voran. Gouverneur Rossellós Erziehungsministerin Julia Keleher, | |
die mehr als 100 Schulen auf der Insel schließen ließ und stattdessen | |
Charter-Privatschulen förderte, sorgte für besondere Empörung über ihre | |
Privatisiererungen. | |
Anfang dieses Monats wurde Keleher – nur wenige Tage vor der Enthüllung der | |
Textnachrichten – zusammen mit mehreren anderen ehemaligen | |
Regierungsmitarbeitern in einer spektakulären Aktion des FBI verhaftet. Die | |
frühere Erziehungsministerin ist jetzt wegen Korruption angeklagt. Sie soll | |
öffentliche Gelder an unqualifizierte, aber politisch vernetzte | |
Auftragnehmer gegeben haben. | |
Zwischen [4][der Missachtung aus Washington] und der Korruption in der | |
eigenen Regierung sahen sich viele InselbewohnerInnen zum Exodus gezwungen. | |
Im letzten Jahrzehnt haben bereits mehr als 700.000 Menschen die Insel | |
verlassen. Allein seit „Maria“ flüchteten mehr als 100.000 von Puerto Rico | |
auf das Festland. Von den zurückgebliebenen 3,2 Millionen leben die Hälfte | |
unter der Armutsgrenze. | |
## Verbindende Forderung auf der Straße | |
Zu ihrer ökonomischen Misere kommt hinzu, dass sie kaum politisches | |
Mitspracherecht haben. Die Insel ist ein sogenanntes Außengebiet der USA, | |
ihre BewohnerInnen sind BürgerInnen zweiter Klasse. Sie können ihren | |
Gouverneur wählen, aber dessen Handlungsspielraum ist durch den von | |
Washington bestimmten Austeritätsplan eingeschränkt. Die Abgeordneten der | |
Insel im US-Kongress haben kein Stimmrecht und bei Präsidentschaftswahlen | |
darf Puerto Rico nicht mitwählen. | |
Es sieht aus, als würden die Proteste gegen Korruption und für Demokratie | |
auf der zerstörten Karibikinsel weitergehen. Dabei ist sich das ansonsten | |
politisch tief gespaltene Puerto Rico dieses Mal völlig einig. Die | |
gemeinsame Forderung ist Rossellós Rücktritt. | |
Doch das Ende des Gouverneurs könnte zugleich für den Einbruch des | |
Zweiparteiensystems auf der Insel sorgen. Und auch die Fremdbestimmung aus | |
Washington ist plötzlich ein Thema auf der Straße. Immer häufiger tauchen | |
dort Parolen auf wie: „Rosselló verschwinde. Und nimm die Junta gleich | |
mit“. | |
23 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://periodismoinvestigativo.com/2019/07/las-889-paginas-de-telegram-entr… | |
[2] /Das-Hurrikanjahr-2017/!5460714 | |
[3] /Sturmopfer-und-Hilfe-in-den-USA/!5463059 | |
[4] /Hurrikansaison-in-Puerto-Rico/!5511061 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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