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# taz.de -- Nachwuchs-Fotograf*innen in Hamburg: Tote Blumen und untote Quallen
> Bilder, die zum Nachdenken anregen: „Gute Aussichten“ im Haus der
> Photographie zeigt Chancen und Risiken von Fotografie heute.
Bild: Feiern, arbeiten, feiern, arbeiten: Anna Tiessen hat das Dorfleben in Dit…
Hamburg taz | Es ist auch im 15. Jahr [1][der vertraute Mix aus
Experimentellem und Konkretem]. Subjektive Einblicke in existenzielle Nöte
stoßen auf durchdeklinierte Konzeptarbeiten, denen man zuweilen ihren
Charme abringen muss. Aber genau dafür sind Ausstellungen wie die „Gute
Aussichten“ im Hamburger [2][Haus der Photographie] da: dass man das, was
man über die Fotografie so denkt und meint, einfach mal vergisst und
schaut, nachdenkt, was sich zeigt, an der Wand, in einem selbst und auf dem
Weg vom Einen zum Anderen.
Zum Warmwerden eignet sich ein Blick auf die Arbeit von [3][Laila Kaletta],
die einem urfotografischem Antrieb gefolgt ist: sich ein Phänomen
vorzunehmen und dafür erklärende, aber durchaus eigensinnige Bilder zu
finden. Um nichts Geringeres als die Unsterblichkeit geht es bei ihr.
Kaletta reiste nach Japan zu Professor [4][Shin Kubota], der über die
Qualle [5][Turritopsis dohrnii] forscht. Deren Exemplare sind kaum größer
als ein Daumennagel, aber sie können etwas Außergewöhnliches: Sie verjüngen
sich mittels Zellumwandlung.
Kaletta tauchte ein in die Wissenschaftswelt, die versucht,
unterschiedlichen Phänomenen der Zellteilung auf die Spur zu kommen. „Man
kann schnell verloren gehen, wenn man über Unsterblichkeit forscht“, sagt
sie. Also hat sie in Japan auch einen [6][Wasserfall] besucht, in den sich
viele Menschen in den Tod stürzen und von diesem ein eindrückliches Foto
mitgebracht, von einem dort aufgestellten Hinweisschild, das darum bittet,
doch noch eine Minute innezuhalten – denn eine tote Pflanze werde nie
wieder erblühen. So heißt auch ihre Fotografie: „A dead flower will never
bloom.“
[7][Malte Sänger] wiederum beschäftigt sich mit den Lebenswegen und
-geschicken des Einzelnen. Er lässt in seiner Arbeit „[8][Abdrücke]“ hoch
aufgelöste Satellitenbilder von Grenzregionen auf private Fotos treffen,
die Geflüchtete in sozialen Medien hinterlassen haben. „Nach kurzer Zeit
verstummten diese Accounts, bei denen ich die GPS-Daten, Uhrzeiten oder den
Handytyp auswerten konnte, wieder“, sagt er. Nun steht dort: „Kein weiteres
Bild hochgeladen“. Konzeptionelle Überlegungen, aber auch Auszüge aus
Interviews mit Geflüchteten, mit Behörden, bis hin zu Aussagen von
Passfälschern, ergänzen die gerahmten Schnappschüsse, die er zugleich
chemisch so behandelt hat, dass sie am Ende verblassen – und ebenfalls
verschwinden werden.
## Kein weiteres Bild hochgeladen
Wo Sänger einerseits in die Wunderkiste digitaler Techniken greift,
andererseits leibhaftig in die Dunkelkammer zurückgekehrt ist, ist
[9][Benjamin Kummer] in „[10][Konstruktion: Raum]“ der Grundfrage auf der
Spur, was ein Bild überhaupt ist und wie es erschaffen werden kann.
Seine kameralosen Fotografien untersuchen anhand der Grundformen Pyramide,
Würfel und Kugel fotografische Räumlichkeiten, indem er zuvor am Computer
entwickelte Schablonen händisch ausschneidet und anschließend in der
Dunkelkammer mittels Mehrfachbelichtungen weiterverarbeitet,
Fehlermöglichkeiten einkalkuliert. Kummer sagt: „Es ist ein handwerklicher
Prozess, und das Bild darf nur einmal existieren, damit es wehtut, wenn ich
es loslasse.“
Mit [11][Sina Niemeyer] führt der Weg entschieden zurück in eine der
Bastionen persönlich-dokumentarischer Fotografie. Niemeyer geht es um
Selbstermächtigung, um die [12][Rückgewinnung über die Souveränität des
eigenen Körpers mit bildschaffenden Mitteln]. „Für mich“ ist eine
multimediale Aufarbeitung des eigenen erlebten sexuellen Missbrauchs:
„Meine Arbeit ist assoziativ und subjektiv, und ich habe dennoch den
Anspruch, ein gesamtgesellschaftliches Thema anzusprechen“, sagt sie. Und:
„Es ging mir nicht um eine Abrechnung oder Rache, sondern darum zu
verstehen.“
2016 entstand zunächst [13][ein kleines Buch], in dem sie sich mit
Rückgriff auf Familienbilder, aber auch mittels Ansichten scheinbar banaler
Alltagsorte offenbart. Einiges davon ist als Material in die aktuelle
Präsentation eingeflossen, die zugleich entscheidend ergänzt wurde: „Ich
hatte viel verstanden, aber es war noch nicht okay“, sagt Niemeyer.
Niemeyer ging einen Schritt weiter, im vergangenen Jahr traf sie den Täter,
machte von dem Treffen ein Video, das bezeugt, wie die Künstlerin das nicht
Aufzulösende sowohl einfängt wie dokumentiert wie spiegelt. Für sich sagt
Sina Niemeyer: „Die künstlerische Verarbeitung hat mir jedenfalls mehr
geholfen als jede Gesprächstherapie.“
## Land ohne Frauen
Und dann ist da noch die fabelhafte und zugegeben auch leicht zugängliche
Arbeit „[14][Kommando Korn]“ von [15][Anna Tiessen], die bei Ute Mahler an
der [16][Ostkreuzschule in Berlin] studiert hat. Weil sie sich für ihre
Abschlussarbeit einem persönlichen Thema widmen sollte, ging sie ging
dorthin zurück, wo sie einst aufbrach: aufs platte Land, nach Dithmarschen,
wo ihr kleiner Bruder bis heute wohnt, entschlossen und tatkräftig dabei,
eines Tages den elterlichen Bauernhof zu übernehmen.
Tiessen tauchte ein in dessen Landleben, das auch aus einem verlässlichen
Wechsel von Feiern und Arbeiten, von Arbeiten und Feiern besteht: „Ich bin
ohne großes Konzept, sondern emotional an die Arbeit herangegangen, ich
habe mich auf das Leben dort eingelassen: Die Devise war Mitmachen“,
erzählt sie. Mitgebracht hat sie entsprechend nahe Bilder, frei von den
Posen, die sonst junge Männer befallen, will man sie abbilden. Immer wieder
wurde sie gefragt, wo denn die jungen Frauen geblieben seien, die es da
draußen auf dem Lande doch auch geben müsse. Ihre Antwort: „Ich habe
gemerkt, dass mich die Jungs viel mehr interessiert haben, und so bin ich
immer wieder bei ihnen gelandet.“
Beeindruckend ist übrigens die Wirkung des ganzen Raums: Tiessens ganz
klassisch gehängter Fotoserie steht die wuchtige, bis unter die Decke
reichende [17][Instagram]-Plakat-Label-Wand von [18][Lorraine Hellwig]
gegenüber: Hier schauen wir auf eine absolut gegenwärtige Welt, in der es
den Feierabend noch genauso gibt wie den jährlichen Dorfball, auf den man
sich entsprechend freuen kann; dort blicken wir in eine Sphäre, wo der
Drang zur Selbstinszenierung keinen Anfang und kein Ende kennt und dem
Dasein droht, dass ihm seine Ecken und Kanten verloren gehen. Ein Beispiel
auch, dass sich durch eine gute Inszenierung zwei starke Arbeiten noch
einmal zusätzlich anfeuern und unterstützen können.
20 Jul 2019
## LINKS
[1] /!222118
[2] https://www.deichtorhallen.de/hausderphotographie
[3] https://www.instagram.com/lailakaletta/
[4] https://www.youtube.com/watch?v=o3Q7ETDlr3s
[5] https://www.youtube.com/watch?v=DDOEBNPbidI
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Kegon-F%C3%A4lle
[7] http://www.maltesaenger.de/
[8] http://www.maltesaenger.de/
[9] http://www.benjamin-kummer.de/
[10] http://www.benjamin-kummer.de/projekt/konstruktion-raum-ii
[11] http://www.sinaniemeyer.com/
[12] https://www.fisheyemagazine.fr/en/?s=sina+niemeyer
[13] https://www.ceibaeditions.com/store/books/fur-mich/
[14] https://www.monopol-magazin.de/jugend-auf-dem-land
[15] http://annatiessen.com/
[16] http://www.ostkreuzschule.de/index.php/oks_dozenten/ute-mahler/
[17] https://www.instagram.com/lorrainehellwig/?hl=de
[18] https://www.lorrainehellwig.com/
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Deichtorhallen Hamburg
zeitgenössische Fotografie
Ausstellung
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