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# taz.de -- Mut zum Gefühl
> BILDER Einen starken Jahrgang junger deutscher Fotografie zeigt die
> Ausstellung „Gute Aussichten“, die zurzeit in Hamburg zu sehen ist. Im
> Mittelpunkt: das eigene Leben – und die analoge Fotografie
VON FRANK KEIL
Seit 2004 versammeln die „Guten Aussichten“ zeitgenössische Fotografie, und
von Anfang an waren sie immer auch in Hamburg zu Gast. Gewiss: Da waren
immer wieder gute, auch sehr gute Arbeiten zu sehen, von der Jury aus den
eingereichten Abschlussarbeiten von diversen Fotohochschulen ausgewählt.
Arbeiten, denen oft das noch nahe Hochschulumfeld anzusehen war: eine oft
leichte, manchmal aber auch zentnerschwere Hingabe an theoretische
Fragestellungen – über das Wesen des festgehaltenen Bildes an sich, über
seine Rezeptionsgeschichte damals und heute … für manchen Zuschauer war
sowas wohl nicht immer sonderlich ergiebig.
## Wege durchs Vertraute
Aus 115 Bewerbern haben die Juroren auch in diesem Jahr acht Preisträger
erkoren. Angekommen in der kleineren der Hamburger Deichtorhallen, wo die
Fotowelt zuhause ist, stellt sich dem Besucher erstmal eine Frage: wo
anfangen? Vielleicht mit der Serie „Ein Tag im Oktober. Oder November. Oder
Dezember.“ von Katharina Fricke von der Fachhochschule Bielefeld.
Im Spätherbst hat Fricke sich im Bielefelder Stadtteil Sennestadt
umgeschaut. Genauer: Sie hat 13 Bewohner nach deren alltäglichen, gar nicht
abenteuerlichen Wegen durch die vertraute Stadtteilwelt befragt: mit dem
Kind zum Kindergarten und nachmittags wieder zurück; zum Fitnessclub, zum
Friseur, sowas. Danach ist die Fotografin selbst losgezogen und hat
festgehalten, was es auf diesen Wegen der anderen zu sehen und damit
abzulichten gibt.
Wobei Sennestadt ein besonderer Ort ist: Die in den 50er-Jahren nach den
Gesetzen der Natur, genauer: des nahen Teutoburger Waldes konzipierte
„Großwohnsiedlung“ sollte den sogenannten Heimatvertriebenen und
Ost-Flüchtlingen eine neue Heimat sein. Nun schaut der Betrachter auf Fotos
mit seltsam verschlossenen Häusern drauf und menschenleeren
Straßenszenerien, die wie aus der Zeit gefallen wirken.
Stolze 160 Bilder hat Fricke konsequent dicht gehängt. „Es gibt stärkere
und es gibt schwächere“, sagt sie, „doch es ging mir um eine demokratische
Handhabung der Motive.“ Noch ein Plus: Ihrem „Tag im Oktober“ fehlt
jegliches Denunziatorische, wie es so oft Großstädter angesichts der
sogenannten Provinz befällt.
Unterwegs war auch Jannis Schulze – allerdings sehr viel weiter weg als
Fricke: Dreieinhalb Monate lang lebte der Berliner auf „Quisqueya“, wie in
der Sprache der indigenen Bewohner jene Karibikinsel heißt, die sich heute
die Staaten Haiti und die Dominikanische Republik teilen. Schulzes Vater
ist dort geboren worden, und sein Sohn macht sich nun auf eine illustre
Spurensuche.
„Ich wollte eine Arbeit machen, wo ich mich treiben lassen konnte“, sagt
er, „wo ich mich nicht formal einschränken lassen wollte, wo ich reagieren
konnte.“ Dementsprechend begegnen Schnappschüsse sorgsam arrangierten
Einzelbildern; Notizzettel treffen auf Gedichte – „ein hybrides Fotoarchiv
und ein subjektiver Reisebericht“, wie Schulze seine Arbeit
charakterisiert.
Womit umgekehrt eine Brücke geschlagen wird zu den vordergründig sehr
konzipiert und auch zunächst sehr streng wirkenden Bildern von Andrea
Grützner: Sie rückt mit „Erbgericht“ ein seit 1889 bestehendes Gasthaus in
ihrer sächsischen Heimat in den Mittelpunkt, in dem bis heute ihre Familie
Feste feiert. Mit farbigem Licht hat sie die Räume erkundet, hat bauliche
(und andere) Schichten freigelegt – und zeigt nun faszinierende
Tiefenschnitte, analog fotografiert.
Überhaupt: Die analoge Fotografie hat in diesem Jahr viele entschlossene
Fürsprecher. Zu denen auch Kolja Warnecke gehört, der mit „Bea“ eine
berührend elegische Arbeit zeigt: Bea, eine Frau, die er bei einem
vorhergehenden Fotoprojekt in einem Swinger-Club kennenlernte, erlaubte ihm
und erlaubt nun uns einen tiefen Einblick in ein Leben, in dem das Monster
Einsamkeit nicht nur auf der Bettkante seit Langem Platz genommen hat.
## Teppich und Tablet-PC
Eduard Zent wiederum, der als Jugendlicher aus Russland nach Deutschland
kam, konfrontiert in seinen Bildern nach Art der Malerei Alter Meister die
Schätze der Herkunft mit den Insignien der neuen Heimat. Und staffiert
seine traditionell gekleideten Modelle entsprechend aus: zur
Pferdekopfgeige gesellt sich der Kopfhörer, zum geknüpften Teppich der
Tablet-PC; eine Arbeit, pfiffig und heiter. „Was nimmt man mit aus seiner
Heimat? Was kommt dazu? Und wie geht beides zusammen? – diese Fragen
beschäftigen mich“, sagt Zent.
Das eigene Leben thematisiert auch Stefanie Schroeder, aber auf eine ganz
andere Weise: Sie zeigt einen Videoloop, bestehend aus Filmclips von
verschiedenen Fotojobs, mit denen sie ihr Studium finanzierte. „Einmal
bestand mein Job darin zu blitzen, dabei waren die Bilder völlig egal –
Hauptsache blitzen.“ Mit einem zünftigen Blitzlichtgewitter sollten die
Teilnehmer eines Verkaufs-Workshops der Deutschen Telekom gebührend
verabschiedet werden. Ein andermal wurde sie von einer NGO als
„Guerilla-Aktivistin“ engagiert, und auch auf dem Oktoberfest war sie
unterwegs. Der doppeldeutige Titel ihrer Arbeit: „Ein Bild abgeben“.
## „Fünf Minuten nach zwölf“
In diesem Reigen von Gängen durch die durchaus gefühlstiefen Ebenen des
Alltags entwickelt denn auch die vergleichsweise abstrakte Arbeit von
Karolin Back einen ganz eigenen Reiz: Man blickt mittels einer Projektion
auf das Bild des Matterhorns, sieht Wanderer kommen und gehen – und die
Frage nach der Zeit, die uns bleibt und die vergeht, ist keine allein
theoretische mehr.
„Es ist so nicht gewesen“, lautet der zunächst rätselhafte Titel der Arbe…
von Marvin Hüttermann von der Fotoakademie Köln. „Was bleibt, wenn nichts
mehr ist? Was passiert nach dem Tod?“, erklärt er seine Ausgangsposition.
„Ich hatte kein Bild davon.“ Und so besuchte er für seine Abschlussarbeit
erst einen, dann mehrere Bestatter. Fand sich schließlich in den bereits
leeren Wohnungen kurz zuvor Verstorbener wieder und fing an, den Prozess
des Verschwindens mit seiner Kamera zu verfolgen: das Verschwinden der
Menschen aus ihrer Wohnung – und zugleich das Verschwinden des Körpers
selbst.
Der liegt anfangs, wird mitgenommen und untersucht, und am Ende löst er
sich, im Krematorium, in Asche auf: „Meine Serie“, sagt Hüttermann,
„erzählt zugleich vom Weg des Verstorbenen durch die Institutionen.“
Dabei überzeugt sein poetisches Verfahren, seine Konfrontationen
ungeschminkter Totenbilder mit den wohlkomponierten Blicken auf verlassene
Küchenspülen oder ein Bücherregal, das nun nicht mehr gebraucht wird: „Es
gibt ein Bild, da steht die Uhr auf fünf Minuten nach zwölf, was fast schon
kitschig ist“, erzählt Hüttermann. Und dass er überlegt habe, „ob ich es
nicht lieber lasse“. Gut, dass er es nicht gelassen hat.
bis 8. März, Deichtorhallen/Haus der Photographie, Hamburg Der Katalog,
herausgegeben von Stefan Becht und Josefine Raab, ist im dpunkt Verlag,
Heidelberg, erschienen. 224 S., über 330 Abbildungen, 19,95 Euro
20 Feb 2015
## AUTOREN
FRANK KEIL
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