| # taz.de -- Ausstellung „Walter Schels. Leben“: Der zweite Blick | |
| > Die Hamburger Deichtorhallen zeigen Porträts des Fotografen Walter | |
| > Schels. Die sind nicht so leicht konsumierbar, wie es zunächst scheint. | |
| Bild: Fotos mit ruhiger Hand: Angela Merkel hat Schels 2005 für die Serie „H… | |
| Hamburg taz | Immer schon sei er ein ängstlicher Mensch gewesen, erzählt | |
| Walter Schels, und sein Umgang mit den Ängsten sei, auf sie zuzugehen. „Ich | |
| hatte Angst, und gleichzeitig hatte ich das Interesse, diese Angst zu | |
| überwinden.“ Was ein schöner Einstieg ist in die Ausstellung „Walter | |
| Schels. Leben“ im Hamburger [1][Haus der Photographie]: Fotokunst als | |
| Konfrontationstherapie mit der eigenen Angst. | |
| „Leben“ ist die zweite Ausstellung in der Reihe „Hamburger Helden“, die | |
| Fotokünstler mit Arbeitsschwerpunkt in der Hansestadt porträtiert. Wobei | |
| die urbanen Landschaften, die Peter Bialobrzeski vor einem Jahr zeigte, | |
| einen gewissen Bezug zu Hamburg besitzen, während sich dieser Bezug bei | |
| Schels nur über den aktuellen Wohnort herstellen lässt: Geboren ist der | |
| Fotograf 1936 im niederbayerischen Landshut, ab den 1950er-Jahren arbeitete | |
| er als Schaufensterdekorateur in Barcelona und Kanada, um im Anschluss in | |
| New York als Modefotograf tätig zu sein. | |
| Seit 1970 ist er wieder in der Bundesrepublik, zunächst in München, seit | |
| 1990 in Hamburg. In Anbetracht der Tatsache, dass Schels’ Spezialität | |
| Porträts von alltäglichen Menschen sind, macht ihn das nicht unbedingt zum | |
| typischen „Hamburger Helden“ – seine Bilder könnten theoretisch überall | |
| aufgenommen worden sein, in Hamburg lebt der Fotograf in erster Linie wegen | |
| seiner Frau, der Spiegel-Journalistin Beate Lakotta. Aber vielleicht sollte | |
| man den Reihenbegriff hier ohnehin nicht auf die Goldwaage legen: Das ist | |
| Marketing, das darüber hinwegtäuscht, dass hier schlicht die umfangreiche | |
| Retrospektive eines berühmten Fotografen zu sehen ist. | |
| Die ein wenig an den Rand des Hauses der Photographie gedrängt wurde. In | |
| der Haupthalle hat sich die Nachwuchsschau [2][„Gute Aussichten“] breit | |
| gemacht, Schels bespielt entsprechend den Seitenflügel. Diese Aufteilung | |
| hat allerdings eine Hierarchie zur Folge, die der Ausstellung nicht gerecht | |
| wird: Bei „Gute Aussichten“ nämlich sieht man junge, laute, spektakuläre | |
| Arbeiten, die immer die Bedingungen des Mediums Fotokunst reflektieren. | |
| Und daneben stehen nun stille, zurückhaltende Porträtfotografien in | |
| klassischer Präsentation – da vermutet man schnell eine avancierte | |
| Ausstellung, die einer konservativen, womöglich sogar veralteten Position | |
| gegenübergestellt wird. Was gleichzeitig stimmt, einen aber auch auf eine | |
| falsche Fährte führt: Natürlich sind Schels’ Fotografien Konvention im | |
| Sinne einer Abbildung des Gesehenen. Aber sie in Opposition zum | |
| unkonventionellen, weil immer auch mediumskritischen Nachwuchs zu stellen, | |
| bringt einen dennoch nicht weiter. | |
| Schels arbeitet fast ausschließlich schwarzweiß, mit harten Kontrasten und | |
| starker Körnung, was seinen Aufnahmen manchmal einen übermäßigen | |
| Kunstanspruch zu verleihen scheint. Gleichzeitig sorgt diese klare Ästhetik | |
| allerdings auch für eine Konzentration auf die Motive: Sterbende in der | |
| Serie „Noch Mal Leben“ (2004), die 2008 vollständig im Hamburger Kunsthaus | |
| zu sehen war. Säuglinge, die Schels seit den 1970er-Jahren fotografiert, | |
| faltige, verzerrte Gesichter, in denen der Künstler „Greise mit großen, | |
| wissenden Augen“ erkennt. | |
| Hände versteht Schels als „Teil des physischen Ausdrucks unserer | |
| genetischen Anlage“. „Blinde“ (1994), die zwar den Betrachter ansehen, in | |
| Wahrheit aber keinen Blickkontakt aufnehmen können und so den Dialog der | |
| Blicke unterlaufen. Tierporträts, ein Sujet, das der Künstler ebenfalls | |
| schon seit Jahrzehnten pflegt, unter anderem mit dem extrem erfolgreichen | |
| Buchprojekt „Die Seele der Tiere“. Kunst, die einen abholt, wo man steht. | |
| Und die dennoch über den reinen Mainstream hinausweist. Schels’ | |
| Tierporträts etwa sind natürlich leicht konsumierbar, aber sie verweisen | |
| auch auf ein Interesse des Künstlers für eine Ästhetik hinter der Pose – | |
| Tiere posieren nicht, der Ausdruck eines Tiers ist „echt“. Das kann man als | |
| naiven Zugriff auf die Fotokunst belächeln, aber es ist konsequent. | |
| Die Sehnsucht nach dem „echten“ Bild findet man entsprechend auch in den | |
| Fotos der Neugeborenen, die reines Empfinden zeigen, in keiner Weise | |
| beeinflusst durch eine erwartete Außenwirkung. Oder in den Bildern der | |
| Sterbenden, die es nicht mehr nötig haben, für den Fotografen irgendwelche | |
| Posen einzunehmen. In einem von Lakottas begleitenden Texten wird Heiner | |
| Schmitz zitiert, der 2003 52-jährig im Hamburger Hospiz Leuchtfeuer starb: | |
| ein agiler Mensch, der es kaum ertrug, dass seine Besucher immer nur mit | |
| ihm über gesunden Alltag reden wollten. | |
| ## Kunst der Zurückhaltung | |
| Auch die jüngste Arbeit der Ausstellung ist geprägt von Schels’ Suche nach | |
| dem „Echten“: „Transsexuell“ (2014–2019) porträtiert junge Menschen,… | |
| falschen Geschlecht geboren sind und die sich im Transformationsprozess | |
| befinden, die also ein authentisches Selbst suchen. Die Aufnahmen sind | |
| sensibel, still, bar jeglicher Sensationsgeilheit – und vielleicht deswegen | |
| überaus unspektakulär. „Transsexuell“ zeigt schöne Menschen, die | |
| ausdruckslos, höchstens mal ein wenig skeptisch in die Kamera blicken. Dass | |
| sich in diesen Bildern Verwerfungen verstecken, Schmerzen und Ängste, | |
| erkennt man erst auf den zweiten Blick. | |
| Diese Forderung nach dem zweiten Blick hinter der Konvention ist die große | |
| Qualität der Ausstellung, die sich deutlich weniger leicht konsumieren | |
| lässt, als es zunächst den Anschein macht – für die 335 Exponate in neun | |
| Blöcken muss man sich Zeit nehmen. Dass man sich manchmal Ausreißer | |
| wünscht, Bilder, die ihre kluge, sensible, manchmal auch allzu dezente | |
| Komposition verlassen, ist verständlich. | |
| Erfüllt wird dieser Wunsch allerdings nur in ganz frühen Arbeiten, die in | |
| die Seitenkabinette verlagert wurden: in der hektischen, wilden Street | |
| Photography aus New York (ab den 1960ern). Im männlichen Blick der Serie | |
| „Manila Girls“ (1979). In der fröhlichen Umkehrung der Fotografenposition | |
| bei „Knipser“ (1970er). Da erkennt man einen dreckigen Aspekt, der in | |
| Schels’ jüngeren Serien verschwunden ist, bis hin zur wüsten Ironie, die | |
| die Serie „Playboy Casting“ (1973) prägt, inklusive der Castingakte einer | |
| so jungen wie barbusigen Ingrid Steeger. | |
| Denn auch wenn man Schels’ Kunst der massiven Zurückhaltung Respekt zollen | |
| muss – manchmal braucht man eben auch den derben Lacher. | |
| 23 Jul 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Falk Schreiber | |
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