# taz.de -- Antijüdisches Pogrom vor 200 Jahren: „Hep! Hep!“, Neid und Nie… | |
> Im August 1819 begann das „Hep-Hep“-Pogrom im Deutschen Bund. Die Mobs | |
> wurden von Eliten bezahlt und lehnten die Gleichberechtigung von Juden | |
> ab. | |
Bild: In Würzburg fingen die antisemitischen Ausschreitungen an: die Residenz … | |
WÜRZBURG epd | Die Stimmung ist schon seit Monaten aufgeheizt, als am 2. | |
August Steine fliegen. Soldaten können die Situation beruhigen, allerdings | |
nur kurz. Am nächsten Abend rotten sich wieder Grüppchen zusammen, wieder | |
fliegen Steine, Fensterscheiben jüdischer Geschäfte und Wohnhäuser | |
zerbrechen. In dem Gegröle hört man den Ruf „Hep! Hep!“ heraus. Vier Tage | |
lang wütet der Mob, bis die bayerische Regierung gewaltsam für Ordnung | |
sorgt. Viele Juden fliehen im August 1819 aus Würzburg. Die Krawalle | |
verbreiten sich im gesamten Deutschen Bund. | |
Die „Hep-Hep-Unruhen“ sind das erste überregionale antijüdische Pogrom der | |
neueren Geschichte. Besonders schlimm wütete der Mob zum Beispiel in | |
Frankfurt am Main, aber auch in Kopenhagen, Amsterdam, Graz, Wien und Prag, | |
sagt der Würzburger Historiker Roland Flade. Die Ausschreitungen in ganz | |
Europa ziehen sich über mehrere Monate hin. Ziel der Angriffe sind neben | |
den jüdischen Bürgern selbst auch deren Besitz und teilweise auch die | |
Synagogen. Sie richten sich gegen die fortschreitende Gleichberechtigung | |
der Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts, sind getrieben von Neid und | |
Missgunst. | |
Weshalb die Übergriffe gerade in Würzburg ihren Ausgang nahmen, versucht | |
Historiker Flade zu erklären. Würzburg war bis 1814 ein souveräner Staat – | |
zunächst ein Hochstift mit Fürstbischof, später zeitweise Großherzogtum –, | |
bis es dann nach dem Wiener Kongress ganz ans Königreich Bayern fiel. | |
„Würzburg hatte einen eigenen Hofstaat, es war Regierungssitz, mit all dem | |
Glanz und den Privilegien, die das eben mit sich brachte“, erklärt Flade. | |
Steinernes Zeugnis dieser Zeit sei die Residenz als Bischofs- und | |
Regierungssitz, die heute zum Unesco-Weltkulturebe zählt. | |
Das bayerische Edikt zur Judenemanzipation von 1813 galt seit 1814 auch in | |
Würzburg, die Juden durften Grundbesitz erwerben. Für die Einwohner war die | |
Degradierung von Würzburg zur bayerischen „Provinz“ eine arge Kränkung, | |
sagt Flade. Für die stramm katholische Region sei es absolut demütigend | |
gewesen, dass die Kirche von einem katholischen König aus München enteignet | |
und der Besitz meistbietend verkauft wurde. „Das ist die Folie, vor der | |
sich alle Ereignisse der Folgejahre abspielen“, erklärt Flade. Es sei | |
geradezu ein regionales Trauma: „Die in München“ gegen „Wir in Würzburg… | |
Und dann seien es eben auch Juden gewesen, die Teile des einst kirchlichen | |
Besitz erwarben. | |
In Würzburg war das zum Beispiel der Ebracher Hof, einst prachtvolle | |
Niederlassung des Klosters Ebrach. Bis zum Jahr 1802 hatten in Würzburg | |
keine Juden mehr gelebt – nach der Vertreibung durch Bischof Johann Philipp | |
von Schönborn im Jahr 1643. Sie durften sich nur tagsüber dort zum Handeln | |
aufhalten. Nun kaufte der jüdische Bankier Jakob von Hirsch, der später | |
auch Hofbankier wurde, das Prunkgebäude. | |
## Schmähungen gegen erfolgreiche Kaufleute | |
Danach siedelten sich auch andere – wohlhabende – jüdische Familien in der | |
Stadt an. Die neuen Machthaber in München sahen darin auch eine Form der | |
regionalen Wirtschaftsförderung, erläutert Flade. „Der Region ging es | |
damals wirtschaftlich nicht gut“, schildert der Historiker und Journalist, | |
der das Standardwerk „Die Würzburger Juden“ herausgegeben hat. Die | |
Kaufleute und die Bankiers der Stadt hatten quasi Monopolstellungen, viele | |
Waren oder Dienstleistungen waren überteuert. | |
Jüdische Kaufleute krempelten den Markt um – sehr zum Missfallen der | |
alteingesessenen. Die Stimmungsmache gegen die jüdische Konkurrenz war | |
enorm, es gab Hunderte Flugblätter, in denen sie unter anderem als | |
„orientalische Fremdlinge“ geschmäht wurden. | |
„Die neuen jüdischen Würzburger waren – weil eben zunächst nur | |
erfolgreichen Juden die Niederlassung erlaubt wurde – auch tatsächlich eine | |
wirtschaftliche Bedrohung für die Alteingesessenen“, sagt Flade. Die | |
Würzburger Händler wollten die neuen Wettbewerber lieber wieder „einfach | |
aus der Stadt jagen“, anstatt das eigene Angebot zu verbessern und sich der | |
Konkurrenz zu stellen. | |
Inzwischen gilt historisch als gesichert, dass christliche Kaufleute und | |
alteingesessene Würzburger die „Hep-Hep-Unruhen“ nicht nur durch | |
antijüdische Stimmungsmache vorbereitet haben. Mehr noch: Zumindest ein | |
Teil des prügelnden und schändenden Mobs wurde direkt von den Kaufleuten | |
angestachelt und dafür bezahlt. | |
## Was bedeutet die Losung? | |
Die Regierung in München stellte mit Militär- und Polizeigewalt bis zum 5. | |
August die öffentliche Ordnung wieder her. Viele Juden kehrten zurück, 16 | |
Haupträdelsführer wurden verhaftet. Doch die Unruhen zogen in andere Städte | |
weiter. | |
Beinahe überall in den Städten des Deutschen Bundes war in den Wochen nach | |
den Würzburger Unruhen die Losung „Hep! Hep!“ zu hören, es gab Pogrome, | |
antisemitische Schriften wurden verbreitet. Sie zielten gegen | |
Emanzipationsedikte, die die Rheinbundstaaten und Preußen erlassen hatten. | |
Unklar ist, was die Losung bedeutet. Eine verbreitete Erklärung lautet, | |
dass es ein Akronym des lateinischen Ausspruchs „Hierosolyma est perdita“ | |
ist, zu Deutsch: „Jerusalem ist verloren!“ Bleibt die Frage, weshalb sich | |
ausgerechnet gescheiterte Existenzen, die zum Krawall angestiftet wurden, | |
eine mittelalterliche lateinische Kreuzfahrerformel zu eigen machten. | |
15 Jul 2019 | |
## TAGS | |
Antisemitismus | |
Deutsche Geschichte | |
Geschichte | |
Würzburg | |
Holocaust | |
Antisemitismus | |
Antisemitismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erinnerung an den Kindertransport: Letzte und erste Besuche | |
Eine Gruppe von Kindertransport-Überlebenden machte am Wochenende Station | |
in Berlin. Im Abgeordnetenhaus wurde ihnen ein Empfang bereitet. | |
Memoiren von Léon Poliakov: Der Pionier der Holocaustforschung | |
Von Léon Poliakov stammt der erste systematische Versuch, die Shoah zu | |
dokumentieren. Nun liegen die Memoiren des Historikers auf Deutsch vor. | |
Kantor-Report über Antisemitismus: Gewalt gegen Juden wächst weltweit | |
Die Zahl gewalttätiger antisemitischer Übergriffe ist 2018 erneut | |
gestiegen. Um 13 Prozent, wie das Kantor-Zentrum in Tel Aviv jetzt zeigt. |