# taz.de -- Performance für Diversität: Gegen die Regeln | |
> Va-Bene Elikem Fiatsi aus Ghana performt Rituale des Übergangs. | |
> Eingeladen wurde sie von Studenten der Hamburger Kunsthochschule. | |
Bild: Performancekünstlerin Va Bene aus Ghana spielt mit den Extremen | |
Die Person, die sich aus einiger Entfernung den Besucher*innen nähert, ist | |
zierlich, aber muskulös. Sie ist schwarz und nackt; nur ihre Hüfte | |
schmücken einige Reihen aus Glasperlen, wie sie viele Frauen in Ghana | |
tragen. Lange Metallfesseln hängen an ihren Hand- und Fußgelenken. Sie hat | |
einen Penis. Sie ist über und über mit Lehm beschmiert; Augen, Mund und die | |
langen Rastazöpfe sind völlig verklebt. Mit erschöpften Schritten steuert | |
sie auf einen qualmenden Grillplatz zu und lässt sich langsam auf einem | |
rostigen Metallkreuz nieder, das über dem Grill arrangiert ist. Immer | |
wieder formt sie die Lippen zu einem stummen Schrei, hustet und würgt Lehm | |
hervor. Wartet scheinbar auf den Tod. | |
Va-Bene Elikem Fiatsi, Künstlername „crazinisT artisT“, hat die Performance | |
mit dem Namen „Intimate Death“ konzipiert. Zwei Stunden zuvor stand sie im | |
Hinterhof der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg und | |
inspizierte dort ein Kunstobjekt: eine große Ofen- und Grillkonstruktion, | |
die unter anderem einen in den Boden eingelassenen Grillplatz bereitstellt | |
– so tief, dass man ein ganzes Spanferkel darin brutzeln kann. Fiatsi | |
nickte entschlossen: „Ich glaube nicht an Zufälle, und dieser Ort ist wie | |
für mich und meine Performance gemacht. Ich werde meinen Körper als | |
provokante Mahlzeit präsentieren!“ | |
Eingeladen wurde die ghanaische Künstlerin von dem Projekt | |
„HHintersection“, das Studierende der Hochschule für bildende Künste (HFB… | |
Anfang Juni ins Leben riefen, um sich für mehr Diversität an der Hochschule | |
und darüber hinaus einzusetzen. „Die Auswahl an Dozierenden und | |
Referent*innen, die an der Hochschule lehren und ihre Arbeiten | |
präsentieren, ist aus unserer Sicht noch zu homogen und westlich geprägt. | |
Wir wollen diese Ausrichtung mit unserem Projekt hinterfragen“, so Shira | |
Lewis, eine der Initiator*innen. | |
## Teilhabe am Enstehungsprozess | |
Fiatsi, 1981 geboren und aufgewachsen in Ho, Ghana, schloss nach der Schule | |
2006 zunächst eine Ausbildung als Grundschullehrkraft ab und unterrichtete | |
einige Jahre. Parallel predigte sie, von den Menschen in ihrer Umgebung | |
wurde sie als christliche Führungsperson mit „Evangelist“ oder „Bruder“ | |
betitelt, sie lebte in dieser Zeit als Mann. 2010 begann sie ein Studium | |
der bildenden Kunst im Kumasi. Andere künstlerische Ausdrucksformen als die | |
der Malerei und Bildhauerei kannte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Am | |
Malen langweilte mich zunehmend, dass ich die Menschen nur am Endprodukt | |
teilhaben lassen konnte. Ich wollte, dass das Publikum mein Werk zum | |
Abschluss bringt – indem es sich Gedanken macht, was es noch braucht oder | |
was fehlt.“ | |
2012 veränderten sich ihre Gemälde und Installationen stark, bis es 2013 | |
zum „totalen Umbruch“ kam: „Ich durchlebte in dieser Zeit parallel mehrere | |
Transitionen: Den Übergang von männlich zu weiblich, vom Christentum zum | |
Leben ohne Religion, vom geliebten Kind zur Ausgestoßenen, von der Malerei | |
zur Performance als Ausdrucksform meiner Kunst.“ Den eigenen Glauben, das | |
eigene Zugehörigkeitsgefühl hinterfragt sie immer mehr. | |
„Genderqueere und nichtbinäre Identitäten waren lange Zeit ein akzeptierter | |
Bestandteil der ghanaischen Kultur. Homosexualität wurde nicht | |
kriminalisiert, wenn auch weitestgehend nicht anerkannt.“ [1][Heute sind | |
homosexuelle Handlungen zwischen Männern in Ghana illegal]. Fiatsi ist | |
überzeugt: „Dass Homophobie in Ghana heute so verbreitet ist, hängt mit der | |
Verbreitung des Christentums im Zuge der Kolonialisierung zusammen.“ | |
2017 verlässt Fiatsi die Universität, das Masterstudium bleibt unbeendet: | |
„Ich hatte das dringende Bedürfnis, mich der grausamen Realität außerhalb | |
des sicheren Universitätsalltags zu stellen.“ Ihre Familie wendet sich von | |
ihr ab, denkt, dass Fiatsi besessen sei, in der Hölle landen werde. Fiatsi | |
trägt jetzt häufiger Kleider und das Haar in langen Rastazöpfen, schminkt | |
sich. Auf dem neuen Foto in ihrem Pass wird sie als Frau gelesen, an | |
Grenzkontrollen muss sie sich immer öfter auf Diskussionen einlassen, weil | |
sie die Frage, ob sie Mann oder Frau sei, mit „beides“ beantwortet. Häufig | |
wird ihr anschließend die Weiterreise verwehrt. „Es verlangt | |
kontinuierliche Anstrengung, Frau oder Mann zu werden“, sagt sie. „Wie ein | |
Ritual, das immer wieder durchgeführt werden muss.“ | |
Ihren Wandlungsprozess verarbeitet Fiatsi 2017 in ihrer Performance | |
„Rituals of Becoming“: In der Gallery 1957, die vor allem zeitgenössische | |
westafrikanische Kunst präsentiert und sich im Luxushotel Kempinski Hotel | |
Gold Coast City in Accra befindet, lässt sie das Publikum an genau diesem | |
Werdungsritual teilhaben. Dafür werden die Ausstellungsräume mit roten | |
Samtvorhängen, großen Spiegeln und stereotyp weiblicher Kleidung behängt, | |
die die Künstlerin sechs Jahre lang gesammelt hat. Über zwei Wochen – 336 | |
Stunden – verbringt sie in den Räumlichkeiten, schminkt sich, wäscht sich | |
in einem Zuber, kleidet sich an. Zwei Wochen ohne jegliche Privatsphäre, | |
Besucher*innen können jederzeit dazustoßen. | |
## Körper als Provokation | |
Fiatsis Performances nehmen Bezug aufeinander. So ist „Intimate Death“ | |
auch eine Referenz auf „eAt me …“, aufgeführt am Karfreitag 2016 in Kuma… | |
Fünf Stunden lang bahrte sich crazinisT artisT gegenüber einem | |
Fleischrestaurant in einem Einkaufszentrum auf, nackt und in einer | |
Blutlache. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Ghana ist christlich, | |
viele gehören evangelikalen Freikirchen an, deren Glaube sich in vielerlei | |
Hinsicht an binären Vorstellungen von „richtig“ oder „sündhaft“, „H… | |
oder „Hölle“ ausrichtet. Ein [2][Körper, der nicht in ein solches System | |
passen will], stellt eine ungemeine Provokation dar. „In gewisser Weise | |
interpretiere ich diese Situation heute Abend mit ‚Intimate Death‘ neu“, | |
erklärt Fiatsi. „Das hier ist Europa, ein schwarzer Körper bringt hier | |
Themen wie Sklaverei und Kolonialismus sowie den Umgang mit eigener Schuld | |
als zusätzliche Komponenten ins Spiel.“ | |
Heute versteht Fiatsi ihre Kunst als Lebensaufgabe. Deshalb gründet sie | |
2018 die „perfocraZe International Artist Residency“, kurz [pIAR], in | |
Kumasi, die internationalen Künstler*innen eine Plattform für kulturellen | |
Austausch und gemeinsame Projekte bietet. Und deshalb wird sie auch nicht | |
müde, ihre Arbeit und Intention immer wieder zu erklären: So wie bei einer | |
öffentlichen Performance am Karfreitag 2018 in Kumasi, stilistisch ähnlich | |
der in Hamburg, nach der sie zum ersten und einzigen Mal von der Polizei | |
aufgegriffen wird. Auf ihre Nachfrage hin betonen die Polizist*innen, dass | |
man sie lediglich mitgenommen habe, um „rettend“ in die vermeintlich | |
gefährliche Situation einzugreifen. Fiatsi lässt sich auf das Gespräch | |
ein, erklärt ihre Sicht auf die Dinge. „Letztlich waren sie offen für meine | |
Arbeit und wussten, dass ich berechtigte Fragen stelle. Am Ende wollten sie | |
sogar Selfies mit mir machen.“ | |
17 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] /50-Jahre-Stonewall/!5602848 | |
[2] /Tanz-in-Brasilien/!5606723 | |
## AUTOREN | |
Clara Zink | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Performance-KünstlerIn | |
Performance | |
Diversität | |
Buch | |
Brasilien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ein Ethnologe an Hamburgs Kunsthochschule: Irritierendes Terrain | |
Aus den Nuba-Bergen zurückgekehrt, wurde Fritz W. Kramer 1989 Theorielehrer | |
an der HFBK – und betrieb auch dort ethnografische Forschung. | |
Tanz in Brasilien: Die Körper und ihre Feinde | |
Tanz ist fast eine Allegorie für Brasilien. Doch Bolsonaros Politik lässt | |
junge Künstler*innen um ihren Beruf und ihre Freiheiten bangen. |