# taz.de -- Obdachlosigkeit in Griechenland: Mit einem Buchhandel aus der Not | |
> Griechenlands Sozialstaat kann Bedürftige oft nicht auffangen. Leonidas | |
> Koursoumis rettete sich selbst aus der Obdachlosigkeit – mit Büchern. | |
Bild: Umgeben von Büchern: Leonidas Koursoumis im Laden in Athen | |
ATHEN taz | Graue Paletten säumen den Boden der hohen 400 Quadratmeter | |
großen Lagerhalle im Zentrum Athens. Darauf sind über 50.000 Bücher | |
aufgereiht. Von Fachbüchern über Romane bis hin zum Antiquariat ist hier | |
alles zu finden. Auch Kinderliteratur und englische oder französische | |
Bücher sind hier zu finden. | |
Der 70-jährige Leonidas Koursoumis sitzt in Jeans und Karohemd an seinem | |
Schreibtisch im hinteren Ende der Halle und koordiniert Bücherlieferungen | |
aus ganz Griechenland. Immer wieder klingelt sein Telefon. Noch vor einem | |
Jahr hat der hochgewachsene Mann mit den grauen Haaren für mehrere Monate | |
auf der Straße gelebt. | |
„Man kann hierzulande ganz leicht in die Obdachlosigkeit rutschen“, sagt | |
Koursoumis. Der griechische Sozialstaat ist kaum vorhanden, er kann die | |
Bedürftigen nicht tragen. Die Menschen werden sich selbst überlassen. „Eine | |
Tragödie für ein zivilisiertes Staatssystem!“, sagt Koursoumis und greift | |
erneut zum Hörer, um mit einem weiteren Buchspender zu sprechen. | |
In Griechenland waren im Jahr 2017 über 30 Prozent der Bevölkerung von | |
Armut bedroht. Laut EU-Definition ist ein Mensch armutsgefährdet, wenn er | |
über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung | |
verfügt. Die Hinweise auf Armut sind weit gefächert. Sie reichen von | |
Rückständen bei der Mietzahlung, der Stromrechnung oder anderen dauerhaften | |
Zahlungen bis dahin, sich nicht jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit | |
leisten zu können. | |
## Eine Rente bekommt Koursoumis nicht | |
Koursoumis stürzte in den Jahren der Wirtschaftskrise immer tiefer in die | |
Armut. Vor gut sechs Jahren verlor er seinen Arbeitsplatz in einem Athener | |
Verlag, für den er über 17 Jahre lang gearbeitet hat. Der Verlag konnte | |
sich in Krisenzeiten nicht halten. | |
Ein Jahr lang bekam er ein sehr geringes Arbeitslosengeld. „Es waren | |
weniger als 400 Euro im Monat“, berichtet er. Selbst mit staatlicher | |
Unterstützung komme man in Griechenland kaum über die Runden. Eine Rente | |
bekommt Kousoumis nicht. „Mein früherer Arbeitgeber hat es versäumt, meine | |
Rentenansprüche zu bezahlen“, sagt er leise. Jetzt sei es viel zu spät, da | |
noch etwas tun zu können. „Die griechische Bürokratie“, er lacht leise. | |
Ein neuer Arbeitsplatz war nicht aufzutreiben. „Ab 50 Jahren ist es fast | |
unmöglich, etwas zu finden“, seufzt Koursoumis. Mit kleinen Hilfsarbeiten | |
verdiente er sich hier und da etwas dazu. Doch für die Miete reichte es | |
längst nicht. | |
Fast ein Jahr lang lebte der Mann auf der Straße. Um sich irgendwie über | |
Wasser zu halten, durchsuchte Koursoumis Mülltonnen nach weggeworfenen | |
Büchern, die er auf Flohmärkten verkaufte. So kam ihm die Idee, einen Laden | |
für gebrauchte Bücher zu eröffnen. | |
Um möglichst viele Menschen zu erreichen, startete Koursoumis einen | |
Facebook-Aufruf, der gleich zu Anfang 900 Mal geteilt wurde. Bald darauf | |
berichteten griechische Medien über den Überlebenskämpfer. Ein anonymer | |
Spender stellt ihm unentgeltlich die Lagerhalle zur Verfügung, in der er | |
heute die Bücher verkauft. Zwei Euro kostet ein Buch. „Die Leute kommen | |
hierher, um uns zu unterstützen“, so Koursoumis. „Es herrscht eine große | |
Solidarität im Lande, jeder weiß, in welch schwierigen Zeiten wir leben.“ | |
Durch das Buchgeschäft konnte Koursoumis sich und zwei weitere Männer aus | |
der Obdachlosigkeit retten. Doch das Schicksal der drei Männer ist kein | |
Einzelfall. | |
Vor Ausbruch der Wirtschaftskrise vor etwa zehn Jahren waren unter den | |
Obdachlosen noch weit über die Hälfte Ausländer und so gut wie keine | |
Griechen. Das hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert. Allein im | |
Athener Stadtzentrum wird die Zahl der obdachlosen Griechen auf circa 1.500 | |
geschätzt, sagt Eleni Katsouli, Präsidentin des Aufnahme- und | |
Solidaritätszentrums der Athener Gemeinde. „In den letzten Jahren haben wir | |
festgestellt, dass immer mehr Menschen zu uns kommen, die aus ganz normalen | |
Lebensverhältnissen stammen“, so Katsouli. Genaue Zahlen, wie viele | |
Menschen tatsächlich auf der Straße leben, gibt es nicht. Denn die meisten | |
melden sich aus Scham nicht in den Einrichtungen. „Auch ich habe mich | |
geschämt, habe nichts gesagt und mich versteckt“, berichtet Koursoumis. | |
Um noch mehr Menschen einen Arbeitsplatz zu verschaffen arbeitet er stetig | |
weiter an seinem Konzept. Ein Kulturzentrum – ausschließlich von | |
Obdachlosen betrieben – soll entstehen. Auch der Buchladen wird integriert. | |
1 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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Elke Breitenbach | |
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