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# taz.de -- Analyse zum Konflikt in Kurdistan: Diplomatenmord als Alibi
> Für die PKK ist das Attentat an einem Vertreter der Türkei fatal. Sie
> könnte ihr Rückzugsgebiet verlieren. Ankara nutzt die Tat für
> Militäroffensiven.
Bild: Sicherheitskräfte am Tatort in Erbil
Osman Köse hatte gerade zu Mittag gegessen – im „HuQQabaz“, einem edlen
Restaurant in einem Geschäftsviertel der kurdischen Stadt Erbil im
Nordirak. Als sich der türkische Diplomat vom Tisch erhob, um seine
Rechnung zu zahlen, klackte es. Eine schallgedämpfte Pistole, eine Kugel,
ein Treffer in den Kopf. Kaum auf den Beinen, sackte Köse wieder in sich
zusammen. Weitere Kugeln trafen seine beiden Begleiter. Alle verloren ihr
Leben. So schildern es Menschen, die sich Aufnahmen der Überwachungskameras
angesehen haben.
Das Attentat auf Köse am Mittwoch vor einer Woche war der erste Mord an
einem hochrangigen türkischen Diplomaten seit 1994. In Deutschland wurde er
kaum beachtet. Die Schockwellen, die er im Nahen Osten auslöste, könnten
jedoch Folgen haben, die vom Iran über den Irak bis nach Syrien und in die
Türkei reichen. Regierungstreue türkische Medien machen die PKK
verantwortlich. Dahinter muss man ein Fragezeichen setzen. Doch sollten sie
recht haben, hätte die verbotene kurdische Arbeiterpartei sich so heftig
verkalkuliert wie schon seit Jahren nicht mehr.
Erbil ist ein kleines Wunder. Trotz des erbitterten Krieges gegen den
selbsternannten „Islamischen Staat“ schaffte es die kurdische
Regionalregierung, hier für Sicherheit zu sorgen. Während auf Mossul Bomben
fielen, konnten sich in Erbil selbst Ausländer bedenkenlos im „Family Fun
Park“ aufs Riesenrad schwingen oder durch eine der Malls flanieren. Auf den
ersten Blick schien auch die Wirtschaft zu brummen.
Doch die Region Kurdistan ist dringend auf Investitionen angewiesen. Das
„HuQQabaz“ ist geradezu ein Symbol für dieses Bedürfnis. Das Restaurant i…
ein türkisches Franchise im wirtschaftlichen Herzen der Region. Es bedarf
nicht vieler Erklärungen, was es bedeutet, wenn daraus ein Tatort wird. Für
Investoren gibt es nichts Wichtigeres als Sicherheit und Stabilität. Wer
hier mordet, kann bei den führenden Politikern der Region nicht mehr auf
Nachsicht setzen. Und wenn es wirklich die PKK gewesen sein sollte, die
hinter dem Attentat steckt, verspielt sie damit womöglich ihren
Zufluchtsort.
Die PKK entstand in der Türkei als Widerstandsbewegung gegen die kulturelle
und politische Unterdrückung der Kurden. Ihr Hauptquartier hat sie aber
seit Jahren im Norden des Iraks. Die schwer zugänglichen Kandil-Berge sind
ihr Rückzugsgebiet. Die führenden Parteien in der Autonomen Region
Kurdistan, die KDP und die PUK, haben sie dort mit gemischten Gefühlen
geduldet. Die PKK ist einerseits das Symbol schlechthin für den Kampf der
Kurden gegen Unterdrückung. Zugleich ist ihre Präsenz im Nordirak ein
Risiko für friedliche Bestrebungen, eine florierende Autonomie zu schaffen.
Wer sich dieser Tage in Erbil umhört, bekommt oft zu hören, dass die PKK
ihre Angriffe auf den türkischen Staat gefälligst in der Türkei ausführen
soll. Selbst Mitglieder iranischer Kurdenmilizen im Nordirak, die in einer
ähnlichen Situation stecken wie die PKK, wenden sich in dieser Frage von
ihr ab. Ein Kolumnist des kurdischen Senders „Rudaw“ spekulierte bereits
über eine Konfrontation zwischen PKK und Peschmerga, den Sicherheitskräften
der kurdischen Regionalregierung. Das mag überzogen sein. Dass Kurden auf
Kurden schießen, wie es in früheren Jahrzehnten passierte, ist
unwahrscheinlich. Zu traumatisch waren die innerkurdischen Kriege und zu
verbindend die Hoffnung auf Freiheit in einer feindlich gesinnten
Nachbarschaft. Die Motivation, andere Staaten beim Sturm auf die PKK zu
bremsen, ist mit dem Attentat aber sicher nicht gestiegen. An dieser Stelle
kommt die Türkei ins Spiel.
Ende Mai begann Ankara die „Operation Klaue“. Seither werfen die türkischen
Streitkräfte mitunter täglich Bomben auf Stellungen der PKK im Nordirak.
Auch Bodentruppen sind im Einsatz. Die Angriffe sind massiver als üblich
und dürften in ihrer Härte jetzt noch zunehmen. Schon als es kürzlich
wieder zu zivilen Opfern durch das Bombardement kam, kritisierte die
kurdische Regionalregierung dafür eher die PKK als Ankara. Erbil forderte
Kandil auf, seine Kämpfer von der Bevölkerung fernzuhalten. Die
Regionalregierung lässt überdies schon lange zu, dass sich die Türkei immer
stärker auf ihrem Territorium ausbreitet. Ankara unterhält ein gutes
Dutzend Militärbasen im Nordirak. Mit dem Diplomatenmord hat Präsident
Recep Tayyip Erdoğan jetzt einen starken Anlass, noch massiver vorzugehen.
## Türkischer Aufmarsch in Syrien
An der türkisch-syrischen Grenze gibt es Parallelen: In den Operationen
„Schutzschild Euphrat“ und „Olivenzweig“ hat die türkische Armee die m…
der PKK verbrüderte YPG aus mehreren Regionen verdrängt. Derzeit verhandelt
Ankara mit den USA über [1][die Einrichtung einer „Schutzzone“ entlang der
Grenze]. Sie soll die Türkei angeblich vor Angriffen der YPG schützen. Seit
einigen Tagen bringen sich nun immer mehr Panzer und Soldaten vor Tal Abyad
in Stellung. Ankara droht mit einer weiteren Offensive. Auch hier kommt
Erdoğan der Diplomatenmord als Alibi für drastischere Maßnahmen gelegen.
Und als wäre das nicht verheerend genug für die kurdische Sache, gerät auch
die legale prokurdische Partei HDP in der Türkei unter Druck.
Das Attentat kommt Gegnern der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung derart
gelegen, dass bereits Verschwörungstheorien rund um einen von der Türkei
inszenierten Mord kursieren. Auch wenn man nicht daran glaubt, muss man
feststellen: Die PKK jedenfalls hat bei alledem nichts gewonnen. Das
Attentat passt auch kaum zu den Signalen, die sie zuletzt sendete. Der
inhaftierte Chef der Organisation, Abdullah Öcalan, sprach sich durch seine
Anwälte für Friedensverhandlungen aus. Genauso Cemil Bayik, ein Top-Kader
in Kandil. Ein Sprecher des bewaffneten Arms der PKK stritt jede
Beteiligung am Diplomatenmord ab. Handelte es sich beim Attentäter
womöglich um einen Einzeltäter? Spekulationen. Für die PKK ist die
Hinrichtung Osman Köses so oder so fatal.
27 Jul 2019
## LINKS
[1] /Syriens-Kurdengebiete/!5566137
## AUTOREN
Issio Ehrich
## TAGS
Kurdistan
Erbil
Türkei
PKK
YPG
Diyarbakir
Lesestück Recherche und Reportage
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