| # taz.de -- Die Wahrheit: Kein Geld, kein Ruf, kein nichts | |
| > Der, die, das Berufspolitik*er/In liegt im Segment „Aussterbende Berufe“ | |
| > ganz weit vorn. Ein wahrlich aufrüttelnder Erfahrungsbericht. | |
| Die Digitalisierung frisst ihre Kinder. Auch wenn keiner weiß, was die | |
| Zukunft bringt – in einem Punkt sind sich alle Ökonomen einig: Nach dem | |
| Spritzbrunnenaufdreher, dem Bleisetzer, der Fernsehansagerin wird auch der, | |
| die, das Berufspolitik*er/In alter Schule heute kaum noch benötigt. Die | |
| Digitalisierung macht analoge Entscheider-Jobs überflüssig, spätestens im | |
| Jahr 2030 sitzen im Bundeskabinett nur noch Roboter. In der Spitzenpolitik | |
| hat die Automatisierung längst Einzug gehalten (Überhangmandate), | |
| händisches Durchregieren ist durch direkte plebiszitäre Entscheidungen | |
| (Internet & Trolle) obsolet geworden. | |
| Wer keine eigenen festen Überzeugungen hat, wer flexibel ist und dem | |
| Fraktionszwang folgt, wird durch Computerprogramme ersetzt, die zwar | |
| genauso langweilig sind wie Peter Altmaier, aber deutlich weniger kosten | |
| und kaum Kalorien verbrauchen. | |
| Doch ist das wirklich eine Überraschung? Viele Politiker, die uns heute | |
| noch regieren, sind schon partiell abgestorben (W. Schäuble), werden | |
| bereits ausgetauscht (U. von der Leyen) und mit lebenserhaltenden Maßnahmen | |
| versorgt (Kommissionsposten in Brüssel). Längst arbeiten Softwareprogramme | |
| in den Hinterzimmern der Macht durchforsten automatisch Gesetzestexte und | |
| arbeiten an neuen Weihnachts- und Neujahrsansprachen, die dann von | |
| Politbots wie Jens Spahn verlesen oder in nächtelanger Kleinarbeit | |
| individualisiert an alle seine Wähler gemailt werden. | |
| Zur Zeit meiner Jugend, also kurz nach dem Ersten Weltkrieg, war Politiker | |
| noch ein angesehener Beruf, in dem man es – sofern die Vorsehung mitmachte | |
| – weit bringen konnte, mitunter bis zum Führer und Reichskanzler. Denn | |
| schon ein einfacher Blick in die Geschichtsbücher zeigt: Berühmte Leute wie | |
| Alexander der Große, Stalin oder Christian Wulff hatten alle mal ganz klein | |
| als Politiker angefangen, bevor sie dann erst Welteroberer, Mörder oder | |
| einfach nur zur Witzfigur wurden. | |
| ## Laien als Opfer im Wahlkampf | |
| Heute gibt es solche Karrieren nicht mehr. Die allgemeine Grundlagenpolitik | |
| wird von Laien besorgt (Katja Suding), von gering qualifizierten | |
| Billigkräften (Kevin Kühnert), von Kindern (Philipp Amthor) und | |
| faschistischen Lesben (Alice Steinbach bzw. Erika Weidel). Auf ihnen aber | |
| ruhen unsere Hoffnungen! Gemeinsam ziehen sie in den härtesten Kampf, der | |
| noch auf deutschem Boden legal ausgefochten werden darf und der mindestens | |
| so hart ist wie der Todeskampf der SPD: den Wahlkampf. Er kennt keine | |
| Gnade, nur Opfer. | |
| Ich weiß, wovon ich spreche, denn bevor ich mich selbst in der Politik | |
| versuchte, als Landtags-, Oberbürgermeister- und Kanzlerkandidat, hatte ich | |
| alles, was ein Mann braucht: kein Geld, keinen guten Ruf und keine gute | |
| Gesundheit. | |
| Bis die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und | |
| basisdemokratische Initiative (Die PARTEI) beschloss, dass ich Politiker | |
| werden sollte. Okay, kann man ja mal machen, dachte ich. Nachdem ich als | |
| Schriftsteller an einer umfassenden Verschwörung von Lesern und Kritikern | |
| gegen meine Werke gescheitert war, schien mir die Politik der letzte | |
| Ausweg, es doch noch irgendwie zu reißen. Das war, wie sich bald | |
| herausstellen sollte, ein Irrglaube. | |
| Schon als Kind war ich von Wahlplakaten fasziniert. Darauf waren Köpfe zu | |
| sehen, feiste Konterfeis meist alter Männer mit ohnehin schon dicken | |
| Schädeln. Damals regierte im deutschen Südwesten mit Gottes Segen fast | |
| ausschließlich die CDU. | |
| Von den Wahlplakaten dieser Partei grinsten rosige Freibiergesichter mit | |
| feuerroten Säufernasen, da lachten mehrfach bekinnte Mostköpfe mit | |
| Blumenkohlohren und Glasbausteinbrillen, und fettig schimmernde | |
| Provinzfürstenrüben mit Glatzendeckersträhnen und Pornoschnäuzer grienten | |
| demokratisch um die Wette. So schön wollte ich’s auch mal haben, dachte ich | |
| und träumte von einem eigenen Wahlplakat. | |
| Als ich dann in die aktive Politik ging und meinen ersten Wahlkampf focht, | |
| machte ich den Wählern klar, dass ich für alle wählbar war. Ich wollte ein | |
| Kandidat für sämtliche Gesellschafts- und Einkommensschichten sein. Die | |
| Reichen konnten mich wählen, weil ich durch meine offenen | |
| Bereicherungsabsichten zeigte, dass schnell ergattertes Geld eine schöne | |
| Sache war. Die Armen konnten mich wählen, weil mein Programm so armselig | |
| wirkte. Die Intelligenten konnten mir gönnerhaft ihre Stimme geben, um | |
| damit zu zeigen, dass sie die Ironie begriffen hatten. Und die Dummen | |
| konnten mich ebenfalls wählen, weil sie die Ironie nicht begriffen hatten. | |
| Für Frauen war ich als klassischer Frauentyp sowieso und unbedingt stets | |
| wählbar, für Männer aber auch, weil ich ein Mann war und bin und – das sage | |
| ich jetzt ganz offen, ohne irgendjemandem zu nahe treten zu wollen – | |
| voraussichtlich auch bleiben werde. | |
| Dass ich mein Wahlziel – 50 Prozent plus Körpergewicht – bei keiner Wahl | |
| auch nur annähernd erreichte, lag allerdings nicht an mir, sondern an | |
| meinen unfähigen Beratern, meinem inkompetenten Stab und meinen illoyalen | |
| PARTEI-Freunden, die schon bei kleinsten Bargeldbewegungen zum politischen | |
| Gegner überliefen. | |
| ## Computer als Regierungstäter | |
| Auch sie werden, das ist mein Trost, wie der, die, das Berufspolitik*er/In, | |
| aussterben. Und eine Berufsgruppe, in der schon heute mehr als 70 Prozent | |
| aller Regierungstätigkeiten von Computern übernommen werden können, muss | |
| sich in Zukunft eben warm anziehen. Das durchschnittliche | |
| Substituierbarkeitspotenzial ist im Berufssegment „Außenpolitik“ mit mehr | |
| als 101 Prozent am höchsten, hier lassen sich fast alle Tätigkeiten | |
| (Rumfliegen, Rumstehen, Rumtrinken) automatisieren. | |
| Mit Heiko Maas hat die SPD bereits vor Jahren den ersten | |
| vollautomatisierten Politroboter vorgestellt. Er wird durch künstliche | |
| Intelligenz gesteuert, die allerdings noch im Entwicklungsstadium ist – bis | |
| jetzt läuft nur das mit dem „künstlich“ ganz zufriedenstellend. | |
| Trendforscher befürchten nun eine starke „Uberisierung“ des Politmarktes, | |
| die Sharing-Ökonomie wird auch hier vehement und im großen Stil Einzug | |
| halten. Wie das aussehen wird, erläutert der automatisierte Schreibroboter | |
| Richard David Precht: „Also, ich stelle mir das so vor, dass sich mehrere | |
| Polit-User über eine App zusammenfinden und dann einfach einen Politiker, | |
| der gerade frei ist, für eine bestimmte Zeit, für ein bestimmtes Projekt | |
| kaufen, das nenne ich dann singulär-optionalen Digitallobbyismus, klingt | |
| doch voll geil, oder? Da mach ich sofort ein Buch draus, klick … früörpis �… | |
| schlatterazong … Error 404 … Hilfe … meine Batterie ist alle, ich fahre | |
| jetz runter, tschö mit ö.“ | |
| Schade um die schöne Frisur. Oder mit anderen Worten: Politautomatisierung | |
| – quo vadis, ihr Trolle? | |
| 6 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Oliver Maria Schmitt | |
| ## TAGS | |
| Berufspolitiker | |
| Berufe | |
| Aussterben | |
| Bundestag | |
| Wirecard | |
| CDU | |
| Gedicht | |
| Schwerpunkt Grundgesetz | |
| Sahra Wagenknecht | |
| Mesut Özil | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Gemetzel unterm Adler | |
| Jetzt cringt der nigelnagelneue Bundestag voll durch: Wird „Polit Game“ so | |
| erfolgreich wie die Netflix-Serie „Squid Game“? | |
| Die Wahrheit: Pornobalken im Laborversuch | |
| Wirecard-Skandal und kein Ende: Was läuft falsch, was wird endlich viel | |
| besser in den restlichen 29 deutschen DAX-Großkonzernen? | |
| Korruptionsvorwurf gegen Philipp Amthor: Hihi hilft nicht mehr | |
| Der CDU-Politiker Philipp Amthor ist ein klassischer Parvenü. Nun aber hat | |
| er es mit dem Nach-oben-hecheln übertrieben. Wie tief wird er fallen? | |
| Die Wahrheit: Frühlingslied | |
| Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die | |
| Leserschaft an einem Poem über eine coronöse Jahreszeit erfreuen. | |
| Die Wahrheit: Präambelschaltung ohne Angriffskrieg | |
| Allen wochenlangen Feierlichkeiten auf deutschem Boden zum Trotze: Siebzig | |
| Jahre altes Grundgesetz sind jetzt aber doch mal genug! | |
| Die Wahrheit: Miss Verstanden im Sammelbecken | |
| Die Wahrheit zu Gast bei Sahra Wagenknecht und ihrem Hausdiener. Die | |
| Initiatorin von „Aufstehen“ ist in linker Hochform. | |
| Die Wahrheit: Unter Kriechern | |
| Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Diesmal darf sich die | |
| Leserschaft an einem Poem über Fußsoldaten des Sultans erfreuen. |