# taz.de -- Neues Album der Band Bleached: Serielle Wiederholungen | |
> Als seien sie Zeitreisende aus den 70ern: Die beiden Schwestern | |
> veröffentlichen ihr drittes Album. Die Frage im Titel bleibt besser | |
> ungeklärt. | |
Bild: Eintönig, leicht unscharf und doch irgendwie schön: die Vergangenheit | |
Auf dem Cover ihres neuen Albums, „Don’t You Think You’ve Had Enough?“, | |
sitzen die Clavin-Schwestern in Schwarz und Weiß und Rot gekleidet in einem | |
Auto und schauen aus verschiedenen Fenstern. Sie tragen die Haare als | |
Vokuhila, sind aufgebrezelt und abgeklärt, wie Zeitreisende aus dem Jahr | |
1977: Joan Jett und Cherie Currie von den Runaways. | |
Das passt schon, die Musik der Schwestern, die als Bleached nun ihr drittes | |
Album veröffentlichen, klingt auch so, als wäre sie von Zeitreisenden aus | |
dem Jahr 1977 gemacht, als wären Glam-Rock, Punk und Disco die letzten | |
popkulturellen Strömungen, die sie noch mitbekommen haben. | |
Dabei sind die beiden erst in den Achtzigern geboren, also schätzungsweise | |
mit Gangsta-Rap und Grunge groß geworden. Woher kommt dieses unbedingte | |
Bedürfnis – nicht nur bei ihnen –, die Musik der Eltern zu spielen und sich | |
so zu stylen wie die Stars, die an den Wänden von deren Jugendzimmern | |
klebten? | |
Der britische Kritiker [1][Simon Reynolds] würde hier bestimmt „Retromania“ | |
attestieren, über die gnadenlose Rückwärtsgewandtheit also lamentieren. Nur | |
könnte man die – womit man die Treffsicherheit seiner Beobachtung auch | |
bestätigte – jedem zweiten Indie-Album, das in den letzten 20 Jahren | |
erschienen ist, vorwerfen; damit allein kommt man beim Besprechen neuer | |
Alben also nicht weit. | |
Davon abgesehen, ist der Originalitätsimperativ selbst auch problematisch, | |
denn es muss ja nicht darum gehen, neuen Raum zu erschließen, zumal im Pop, | |
der doch immer mit Verweisen auf Vertrautes arbeitet; man kann ja auch | |
bereits kartografiertes Gebiet nochmals ausleuchten und abklopfen und | |
dabei, vielleicht, auf Gold stoßen. | |
## Sie wollen nüchtern klarkommen | |
Bleached stoßen nicht auf Gold; sie graben aber auch gar nicht danach. Sie | |
halten sich an den etablierten Sightseeing-Spots auf, die, das darf man | |
nicht vergessen, nicht ohne Grund zu Gemeinplätzen geworden sind: Warm | |
verzerrte Power-Akkorde, unter Verzicht auf Soli oder sonstige Spielereien, | |
stabiler Viervierteltakt, in der Regel angezogenes Tempo, repetitive | |
Gesangsfiguren – sie gehen auf Nummer sicher und so viel können sie da | |
nicht falsch machen. | |
Das beste Lied des Albums ist „Somebody Dial 911“, gegen das Robert Smith | |
bestimmt bereits Klage eingereicht hat; ein strahlender Power-Popsong mit | |
einem fast schlagerhaften Refrain („Somebody dial 911 / Before I fall in | |
love / I always fall in love“), der eine Leichtigkeit besitzt, eine | |
Bereitschaft, den Pastiche-Charakter ihrer Musik zu zelebrieren, die die | |
übrigen Songs weniger zeigen. | |
Die Pressetexte zu dem Album überschlagen sich mit Hinweisen darauf, dass | |
die Schwestern nach Jahren der Exzesse nun versuchen, nüchtern | |
klarzukommen, das selbstzerstörerische Verhalten zu überwinden. Auch hier | |
folgen sie einem etablierten Rockstar-Skript; selbst die Exzesse ihrer | |
Vorbilder ahmen sie nach. | |
## Wenn die Fassade des Vier-Sterne-Hotels schmutzig ist | |
Bleached sind ein Simulakrum von einer Band; ein Abziehbild, eine Kopie, | |
ein einziger Verweis auf ältere Bands, Kleider, Farben, Gefühle. Mal hört | |
man „Cherry Bomb“, mal „Heart of Glass“, mal „Boys Don’t Cry“. Ei… | |
unerwartetes Element ist die strahlende Hochglanzproduktion, die nicht – | |
wie es seinerzeit bei den Strokes – der quintessenziellen Retromania-Band, | |
der Fall war, und wie es Bleached auf ihren früheren Alben als Stilmittel | |
genutzt haben, Proberaum-Ranzigkeit simuliert. | |
Bleached klingen hier eher wie das musikalische Äquivalent zu einem auf | |
schäbig gestylten Vier-Sterne-Hotel; äußerlich schmutzig, innen sauber. Das | |
große Album der Strokes hieß „Is This It“, ohne Fragezeichen, also keine | |
Frage. | |
Das neue Album von Bleached hingegen ist eine Frage: „Don’t You Think | |
You’ve Had Enough?“ Eine Suggestivfrage als Albumtitel ist für Rezensenten | |
eine Steilvorlage. Ich lasse sie ungenutzt. | |
21 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jan Jekal | |
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Kevin Johansen | |
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