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# taz.de -- Konzertempfehlung für Berlin: Cowboy-Crooner
> Der US-argentinische Singer-Songwriter Kevin Johansen mischt
> lateinamerikanische Rhythmen mit Rock, Pop und Country.
Bild: Sympathieträger mit suggestiver Altstimme: Kevin Johansen
In der Brust des Singer-Songwriters Kevin Johansen wohnen die Seelen beider
Amerikas. Beide verbrüdert er auch musikalisch bestens, was ihm schon
einige Latin-Grammy-Nominierungen einbrachte. Der in Deutschland eher
selten zu erlebende US-Argentinier wird samt seiner gerade umstrukturierten
Band – formerly known as The Nada – Donnerstag abend im Festsaal Kreuzberg
seine ansehnliche Berliner Latin-Fangemeinde sicherlich mühelos zum
Mitsingen und Mitschwofen bezirzen.
Erst als sein Lehrer ihm sagte, dass Musik auch Mathematik sei, konnte er
diesem Schulfach etwas abgewinnen. Schon damals war der 1964 in Fairbanks,
Alaska, geborene Sohn eines US-Amerikaners und einer Argentinierin offenbar
weniger den Zahlen zugetan als den Worten, der Welt seiner sieben Sprachen
sprechenden Mutter. Jene Kindheitserinnerung kam jetzt wieder zutage, als
Kevin Andrew Johansen, so sein voller Name, sein neuntes Album „Algo
ritmos“ veröffentlichte.
Der mathematisch anmutende Titel dieser neuen, gemeinsamen mit vielen
Musikerfreunden – darunter der Uruguayo Jorge Drexler und die
Brasilianierin Maria Gadú – entstandenen Arbeit ist doppeldeutig wie
vieles, was der humorbegabte Wortakrobat so ausheckt. So verweist der Name
seiner 2000 formierten Musikercrew The Nada auf „Das Nichts“ sowie „Keine
Ursache“ („De nada“).
Besagte „Algorithmen“ wiederum wurden durch die Getrenntschreibung so was
wie „Etwas Rhythmen“. Ein Verweis auf den rhythmischen Reichtum
Lateinamerikas, der auch Johansens Musik nährt und zwanglos mit Rock, Pop
oder Country zwangloszusammenkommt.
## Panamerikanischer Stilmix
In seinem Stilmix finden sich Einflüsse mexikanischer Ranchera, Tango und
Milonga ebenso wie die Cumbia, die dem Sänger und Gitarristen mittlerweile
besonders am Herzen liegt. Der originär kolumbianische Stil, längst ein
Globalplayer, reizt den US-Argentinier vor allem wegen seiner in die Zeit
vor Kolumbus zurückreichenden Geschichte. Das Indianische, das Afrikanische
sowie das Mestizische und Kreolische kreuzen sich in der Cumbia. Die ist
mit all ihren Varianten für den Musiker genauso ein panamerikanisches
Pflänzchen wie er selbst.
Nach den ersten zehn Lebensjahren in den USA, unter anderem auch im
Flower-Power-San-Francisco, ging es ins militärdiktaturgebeutelte
Argentinien, später nach Uruguay, wo er Gitarre spielen lernte. Anfang der
1990er wieder im hohen Norden Amerikas gelandet, fand Johansen, der in
Buenos Aires in einer Rock-New-Wave-Band gespielt hatte, seine wahre
Bestimmung. Angeschubst von Hilly Kristal, dem Chef der legendären
Musikkneipe CBGB in Manhattan, der The Ramones, Talking Heads oder Blondie
ans Licht brachte.
Johansen nennt den 2007 verstorbenen Clubbetreiber liebevoll seinen
„Mentor“. Kristal hatte ihn damals ermutigt, seine Doppelidentität in Musik
umzumünzen, seine (mindestens) zwei Kulturen ungehemmt zu verkuppeln. Bei
ersten Auftritten in jenem zwischen 1973 und 2006 funktionierenden Hotspot
der Punkszene begann er sich für die Livesituation und das Miteinander mit
dem Publikum zu erwärmen.
Heute, knapp dreißig Jahre später, kann man sich den naturbelassenen
Sympathieträger nur schwerlich mit Lampenfieber vorstellen. Der nicht allzu
hochgewachsene Cowboy-Crooner intoniert mit seiner suggestiven Altstimme
lässig seine mal spanischen, mal englischen, bisweilen auch brasilianischen
Songs. Immer ein verschmitztes Lächeln parat, gelingt es dem 55-Jährigen
zusammen mit seiner generationsübergreifenden Band mühelos, den Funken auf
seine Zuhörer überspringen zu lassen.
Hierzulande kam man bis dato nur sporadisch in den Genuss. Der seit knapp
zwanzig Jahren in Buenos Aires lebende Musiker tourt zwar regelmäßig durch
Europa. Seine Berlin-Stopps 2017 und nun sind dem engagierten Deputamadre
Club zu verdanken. Der auf alternative Latinmusic spezialisierte Konzert-
und Partyveranstalter vermag immer wieder Künstler mit Seltenheitswert
hierher zu lotsen.
Bereits diese Woche beehrten Berlin die in Mexiko lebende Chilenin Mon
Laferte und die Argentinierin Miss Bolivia. Und wäre Kevin Johansens
Landsfrau noch zwei Tage länger dageblieben – wer weiß – vielleicht hätt…
die zwei dann noch einmal gemeinsam „Dios de la marea“ live zum Besten
gegeben.
## Feier der Diversität
Der Song, das ironisch-kritische Porträt eines präpotenten Meeresgottes,
findet sich auf dem letzten Album '„Mis Américas, Volúmen 1/2“. Im Video
dazu tänzeln die zwei Argentinier zwischen gemalten Meereswellen umher.
Einmal sieht man die charismatische Sängerin und Rapperin Miss Bolivia mit
einer Miss-Wahl-Siegerschärpe, beschriftet mit ebenjenem „Mis Américas“
(„Meine Amerikas“). Diese Bauchbinde trägt auf dem Albumcoverfoto ein
älterer Herr mit langem weißen Haar: Das (dienst-)älteste Mitglied von The
Nada und eine wahrliche Musikerlegende. Der 79-jährige Drummer Zurdo
Roizner spielte bereits mit Astor Piazzolla, Frank Sinatra oder Vinícius de
Moraes.
In Johansens Universum, das ganz ohne Grenzen auskommt, feiert man die
Diversität – heute mehr denn je – und begibt sich dabei genauso in alle nur
denkbaren menschlichen Abgründe mit all ihren Eitelkeiten und Ambivalenzen.
Und zwar auf jedem der Alben mit wortspielerischen Titeln wie „Sur o no
sur“, „City Zen“ oder „Bi“. Nicht Optik macht das Rennen beim imagin�…
denkbar unglamourösen Schönheitswettbewerb, sondern Charisma.
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
17 Jul 2019
## AUTOREN
Katrin Wilke
## TAGS
Kevin Johansen
Cumbia
Popkultur
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