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# taz.de -- Eine Handreichung: Über Sex schreiben
> Sie möchten im Rahmen eines Textes das Thema Beischlaf bearbeiten? Dann
> gilt es im deutschen Literaturbetrieb einiges zu beachten.
Bild: Schlafstätte im Forsthaus-Stil: Wie darüber schreiben, wenn's im Bett s…
1. Sollten Sie mit dem Gedanken spielen, über Sex zu schreiben: Siedeln Sie
die Geschichte in der Vergangenheit an, jedoch nicht in einem anderen Land
(siehe Nr.3). Das wird Ihnen erlauben, Menschen zu porträtieren, die beim
Erstkontakt einander in die Augen sehen, anstatt auf ihre jeweiligen
Tinder- oder Grindr-Apps zu starren. Seien Sie dabei jedoch vorsichtig, auf
dass man sie nicht eines nostalgischen Kulturkonservatismus zeihe. Achten
Sie auch darauf, dass die zueinander Strebenden nicht etwa mit einem
Flugzeug angereist sind, sondern klimaneutral per pedes oder mit dem
Fahrrad zum Rendezvous erscheinen.
2. Schildern Sie keinen sinnlich erfüllenden oder gar [1][glücklich
machenden Sex]. So manch professionelle Leser – Lektoren, Rezensenten,
Buchhändler, Institutionsmitarbeiter etc. – könnten sich darob zu gewissen
Vergleichen herausgefordert fühlen und äußerst ungemütlich werden.
Schreiben Sie stattdessen, wie sich Menschen verfehlen, nackt in
Sprachlosigkeit verharren und – dies vor allem – post coitum dann so
richtig traurig sind, anstatt einander eventuell ein komplizenhaftes
Lächeln zu schenken oder gar ein High Five. Werden Sie zu Virtuosen der
Unglücksbeschreibung. Es winken verständnisvolle Besprechungen aus den
Federn ähnlich gepolter Seelen.
3. Vergessen Sie nie: Write global, fuck local. Siedeln Sie Ihre Sexszenen
an deutschen Orten an, die mühelos wiedererkennbar sind. Befinden Sie sich
noch in den Zwanzigern, können Berliner Clubs und WGs durchaus toleriert
werden, späterhin sollten es dann allerdings [2][westdeutsche
Akademikerwohnungen] sein. Lassen Sie in den Danach-Szenen (von jeher die
sicherste Bank, möchte man sich nicht in erotischen Details verlieren) die
Augenpaare der unbefriedigt Gebliebenen über Stuckdecken, Bücherwände und
abgezogene Dielen wandern. Und achten Sie darauf, dass sich alles in einem
ethnisch und sozial möglichst homogenen Milieu abspielt(siehe nächste
Handreichung).
4. Vermeiden Sie Sexszenen, in denen sogenannte „Fremde“ auftauchen; Sie
könnten sich den Vorwurf einhandeln, diese zu „exotisieren“. Wird solche
Anklage laut, so schweigen Sie fein stille, anstatt Widerworte zu geben in
jenem Sinn, dass die Verwechslung eines jedes Nichtdeutschen mit einem
„Exoten“ wohl zuvörderst die beklagenswerte Erfahrungslosigkeit der
Kritikübenden enthüllt. Also bleiben Sie im Lande und unter sich. Die
rechten und linken Kulturalisten werden es Ihnen danken.
5. Sollten Sie die vorangegangen Handreichungen ignorieren, so achten Sie
zumindest darauf, nicht mit Ihren auswärtigen Geschichten und mutwilligen
Protagonisten identifiziert zu werden. Unterschätzen Sie nicht die subtile
Rachsucht der Sinusmündigen. Spotten Sie auch nicht, wenn auf Ihre
Bemerkung, Sie schrieben eben autobiografisch, ein erdschwer teutonisches
„Ach so“ zu hören ist. Die Reaktion Ihres Leser- und Kollegenmilljöhs
könnte noch viel missgünstiger ausfallen. (Und wird es auch, sollten Sie
der Versuchung erliegen, diese fünf Handreichungen als Ironie zu
interpretieren.)
6. Sie können diesen Katalog in der U-Bahn oder im Taxi liegen lassen,
meinetwegen auch im Fahrradkörbchen. Noch schöner aber wäre es, Sie läsen
laut daraus – irgendwann danach. Ich stelle mir mit Freude das spottfrohe
Gelächter zweier oder auch mehrerer glücklich Ermatteter vor.
13 Jul 2019
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## AUTOREN
Marko Martin
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Literaturbetrieb
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Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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