| # taz.de -- Die Wahrheit: Komprimiert in Teenage-Hausen | |
| > Manchmal reduziert sich die ganze Welt auf einen Refrain, und die | |
| > Strophen drumherum sind gar nicht mehr nötig – besonders beim Möbelkauf. | |
| Andreas Dorau, den ich tatsächlich in einem Land vor unserer Zeit einmal | |
| live gesehen und gehört habe, sogar mit den Marinas, jawohl, hat | |
| bekanntlich vor Kurzem ein Album auf den Markt gebracht, das ausschließlich | |
| aus Refrains besteht. Mehr brauche ein Stück nicht, findet der Künster. | |
| Neuerdings ja sowieso nicht mehr, antworte ich, weil auf Spotify jeder | |
| abschaltet, wenn das Stück nicht nach zwanzig Sekunden zieht. Daraus | |
| resultiert eine Musikentwicklung, die in der Konsequenz zum Modell | |
| Refrain-only führt, nur im blöden Mainstream leider nicht so lustig ist wie | |
| bei Andreas Dorau. | |
| Richtig neu ist die windschnittige Spotify-Einrichtung für Stückanfänge | |
| allerdings nicht, ich sage nur: Beethovens Fünfte, Bachs Toccata und Fuge | |
| in D-moll. Ob man im 18. Jahrhundert so komponiert hat, weil damals die | |
| Zuhörer nach zwanzig Sekunden aus Kirche und Konzertsaal strömten, falls es | |
| nicht gleich eine klare musikalische Ansage gab? | |
| Heute muss Doraus Refrain-Album als Signal begriffen werden: Es wird Zeit, | |
| auch das übrige Leben umzuorganisieren. Ich beginne die Joggingrunde mit | |
| dem Schlusssprint, mehr brauche ich nicht. Vom Arbeitstag nehme ich nur das | |
| Feierabendbier, von der Nacht die Tiefschlafphase. Von Fernsehserien reicht | |
| das Ende, an dem sich alles auflöst. | |
| ## Ein Ausflug zu Ikea | |
| Bei Zeitungen lese ich künftig ausschließlich Überschriften: „Katholiken | |
| wollen über Frauen sprechen“, ja, das genügt in der Tat, die Strophen dazu | |
| kann ich mir selbst denken. „Einbruchsschutz ist gelebte Nachbarschaft“, | |
| auch gut, Moment, ich habe nur noch eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne, | |
| vielleicht war es auch „Nachbarschaft ist gelebter Einbruchsschutz“? Ja, so | |
| war es, egal, mit den Details kann ich mich schon lange nicht mehr | |
| beschäftigen. „AfD-Spitze fürchtet Unterwanderung durch Rechtsextreme“ �… | |
| lustig, um weiterzulesen. Es könnte nur schlechter werden. | |
| Die gesparte Zeit setze ich in interessante Reallife-Aktivitäten um und | |
| fahre mit dem Liebsten zu Ikea. Nach dem Dorau-Modell könnten wir den | |
| Besuch auf einen Ehekrach am Parkplatz beschränken, aber wir gehen doch | |
| lieber erst einmal hinein. Leider gibt es über Namen von Ikea-Möbeln schon | |
| zu viele Witze in der Welt, aber als der Liebste mit klarer Stimme nach | |
| einem Kleiderschrank mit einer Tür namens „Vikedal“ verlangt, bin ich | |
| trotzdem zurück in Teenage-Hausen und muss sehr lachen, denn es handelt | |
| sich um das verspiegelte Modell. | |
| (Nein, dieser Schrank wird nicht in unserem Schlafzimmer stehen, ehe jemand | |
| was anderes denkt.) Fräulein Ikea korrigiert dann auch gleich, die | |
| schwedische Aussprache laute „Wikkedal“ – ehe jemand was anderes denkt. | |
| Andreas Dorau hat zugegeben, dass sein Album auch deshalb zustande kam, | |
| weil ihm zu einigen Refrains keine Strophen einfielen. Ein Problem, das mir | |
| nicht unbekannt ist, weil mir oft schöne erste Seiten gelingen, aber die | |
| Romane dazu nicht. Manchmal weiß ich sogar nur den Titel: „Vikedal ist | |
| überall.“ | |
| 10 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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