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# taz.de -- Ausstellung „Die Ruhe vor dem Sturm“: Unter Bio-Menschen
> Die Bremer Kulturambulanz zeigt eine Porträtausstellung alternder
> Menschen. Dabei gelingt es, mit Naturbildern über Gesellschaft
> nachzudenken.
Bild: Spuren der Vorgeschichte gelöscht: Christine Henkes Akt-Porträt von Pet…
Bremen taz | Vom Alter als Reife zu sprechen, ist ein schönes Bild – an das
allerdings kaum jemand glaubt. Am wenigsten vielleicht die Gereiften
selbst. Das Ideal von der Jugendlichkeit bestimmt jedenfalls nicht nur
mediale Bilder, wie schon das routiniert gutgemeinte Kompliment verrät, man
sähe jemandem sein – oder meistens ihr – Alter ja gar nicht an. Die
Bildsprache des Alterns hingegen ist bestückt mit Falten, Rollatoren und
kargen Heimzimmern.
Die Bremer Kulturambulanz möchte mir ihrer Ausstellung, „Die Ruhe vor dem
Sturm“, etwas dagegenhalten. Über das vergangene Jahr haben die
Fotografinnen Christine Henke und Akkela Dienstbier Menschen porträtiert,
die zwar gemeinhin nicht mehr als jung gelten, darum aber längst nicht
unbedingt alt sind. Um den Prozess geht es, sagt Kurator Achim Tischer,
nicht um einen fertigen Zustand und: „Bloß nicht nur Modelle ab 60 plus und
fertig.“
Dass die jüngsten der Porträtierten gerade ihre 40 hinter sich haben, ist
dann auch tatsächlich mehr als eine höfliche Verlängerung der Spanne. Um
die gesamte zweite Lebenshälfte geht die Ausstellung – und damit auch
weniger ums Lebensende, als um eine Neuorientierung. Vielleicht um die
erste wirklich bewusst entschiedene.
Da ist zum Beispiel Katja. „In meinem Körper bin ich wohl erst ab Mitte 30
so angekommen, dass ich ihn wirklich ausfülle“, steht neben ihrem Porträt.
Akkela Dienstbier hat sie draußen in der Natur fotografiert, das Bild auf
Folie gezogen und rote Blütenblätter eingearbeitet. Katjas Lächeln wirkt
entspannt, ihr Blick ist so freundlich wie selbstsicher zur Kamera
hingewendet. Durchschaubarer ist sie nicht, auch weil eine der Blüten ihre
linke Gesichtshälfte verbirgt.
## Ruhige Ausstrahlung
Diese Verbindung von Pflanzen und in Naturtönen nachgefärbter
Schwarzweiß-Fotografie zieht sich durch alle Arbeiten von Dienstbier. Die
Galerie im Park zeigt sie hier im Wechsel mit Christine Henkes Aktserie,
die zwar zum Teil die gleichen Modelle zeigt, allerdings in geradezu
gegensätzlichem Kontext.
Die Menschen sind nackt, befinden sich immer im selben, schlicht-grauen
Studio vor einem schwarzen Quader. Manche liegen darauf, oder sitzen – die
meisten stehen dahinter und verbergen ihren Schambereich. Ruhe allerdings
strahlen all die Menschen aus: im Ausdruck, in der Haltung – und vor allem
in diesen kurzen Interviewauszügen, die daneben hängen.
Ums Fahrradfahren geht es da, um Kinder und Enkel*innen, um Sexualität und
Körperlichkeit. Die Botschaft ist unmissverständlich: Diese Menschen haben
bis hin zur Kleidung alles abgelegt und befinden sich auch ohne Dienstbiers
Bäume und Blütenblätter in einem reinen Naturzustand.
Das heißt natürlich nicht, dass alles gut wäre. „Ruhe vor dem Sturm“ ist…
der Kulturambulanz eingebettet in einen größeren Themenschwerpunkt zu
Einsamkeit, der insgesamt behutsam nach Ambivalenzen forscht.
Katrin G. empfindet die Veränderungen ihres Körpers als unangenehm, aber
sie fühlt auch eine positive Gegenbewegung: „Es gibt da eine große
Diskrepanz zwischen Körper und Kopf“, sagt G. und beschreibt dann einen
Reifeprozess, der tatsächlich etwas anderes (und eben viel mehr) ist als
ein Euphemismus für das Altwerden.
## Ein gutes Leben
Man entdeckt viele Gemeinsamkeiten beim Gang durch die Räume der Schau.
Nicht nur Henkes Studiosetting wiederholt sich, auch Dienstbiers
Naturbilder schärfen über die Wiederholung den Blick fürs Individuelle:
Starke Persönlichkeiten, die zwischen den gleichen Bäumen oder eben vor dem
gleichen schwarzen Kasten stehen.
Traurig sind die wenigsten. Verlusterfahrungen tauchen zwar immer wieder
auf, dominieren aber keines der Bilder. Auch bei Karl Heinz nicht, der
offenbar in einem Heim lebt, von seinen Schmerzen spricht und von einer
Frau, die es nicht mehr gibt. „Ein gutes Leben“, sagt er, „ist ohne Kumme…
ohne Aufregung und Krieg“. Es spricht viel dafür, dass er genau so eines
führt. Karl Heinz ist auch der Einzige, der ausdrücklich vom Himmel
spricht, von dem er sich wünscht, „da oben aufgenommen zu werden, wenn es
soweit ist“.
Die Modelle leben größtenteils in Bremen und Hamburg und sind über
Mund-zu-Mund-Propaganda auf das Projekt aufmerksam geworden. Dieses
auffällige Ruhen in sich, dürfte auch daran liegen, dass es sich hier um
Menschen handelt, die sich aus eigenem Antrieb für die Aktaufnahmen
gemeldet haben. Ein paar von ihnen kann man aus der Kunstszene kennen, die
meisten sind einfach irgendjemand. Und das auch ganz ausdrücklich: Es sind
kaum Spuren ihrer Vorgeschichte zu sehen. Ein paar Narben vielleicht und
mal mehr, mal weniger modische Brillen – Arbeitswelt und überhaupt
Gesellschaft sind vollständig gelöscht.
Es geht also um Frieden im Naturzustand, aber warum auch nicht? Vielleicht
ist ja genau dieses schlichte Mensch-Sein der Ausgangspunkt, von dem aus
man reden sollte über karge Renten, Heime oder Angst. Die Debatten ums
Altern toben ja eh und wie leicht man sich hier verläuft, beweisen nicht
nur Reaktionäre, die überhaupt kein Problem damit haben, im selben Atemzug
weltweite Überbevölkerung und den heimischen Nachwuchsmangel zu beklagen.
Und es tut der Sache gut, diese Menschen ausschließlich als Menschen zu
sehen.
Es mag die große Ausnahme sein, aber hier gelingt es: dem sturen Beharren
auf Natur mehr Progressives abzugewinnen als der sozialen Realität.
13 Jul 2019
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
zeitgenössische Fotografie
Bremen
Kunst
Fotografie
Altern
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