| # taz.de -- Tagesmütter-Protest in Berlin: Stimmt doch nicht so | |
| > Kitakrise Berlin: Weil der Senat intransparent entlohnte, müssen | |
| > Tagespflegepersonen Steuern nachzahlen. Bei ihrer Demo fordern sie | |
| > gerechtes Gehalt. | |
| Bild: In Berlin gibt es viel anzupacken aus Sicht von Tagespflegepersonen | |
| berlin taz | Pech gehabt, da müssense jetzt durch! So in etwa könnte man | |
| die Haltung der Senatsbildungsverwaltung gegenüber Tagespflegepersonen | |
| zusammenfassen, die am Montag vor der Behörde gegen Steuernachzahlungen im | |
| vierstelligen Bereich und für bessere Bezahlung protestieren. | |
| Denn die Verwaltung von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) findet es zwar sehr | |
| bedauerlich, dass viele selbstständige Tagesmütter und -väter wohl zwischen | |
| 2.000 und 10.000 Euro Steuer für 2018 und 2017 nachschießen müssen – lösen | |
| kann sie das Problem aber auch nicht. Um über die vertrackte Situation zu | |
| sprechen, trifft sich heute Staatssekretärin Sigrid Klebba mit dem | |
| Landesverband der Kindertagespflege. | |
| Ein Beispiel: Als die Erzieherin Shongitha Alam und eine Kollegin 2017 | |
| beschlossen, sich als Tagesmütter selbstständig zu machen, benannte das | |
| Jugendamt als Betreuungsentgelt einen monatlichen Betrag, mit dem sie bei | |
| zehn betreuten Kindern planen könnten. Was den beiden nicht klar war: Ein | |
| gutes Drittel davon ist eine deutlich zu hoch angesetzte | |
| Sozialversicherungspauschale. Denn nur die Hälfte der Beiträge für | |
| Rentenversicherung und Krankenkasse wird vom Staat übernommen und ist | |
| steuerfrei – was übrig bleibt, ist einkommenssteuerpflichtig. | |
| Gelebte Praxis war: Die Tagesmütter mussten jährlich nachweisen, dass sie | |
| ihre Sozialversicherungsbeiträge gezahlt haben, konnten aber den Rest | |
| behalten, wie es stets von den Jugendämtern geheißen habe – wohl auch, um | |
| das eher dürftige Betreuungsentgelt aufzubessern. Jetzt müssen sie | |
| unverhofft nachzahlen, sodass sich Tagesmütter wie Alam fragen, ob sich die | |
| Selbstständigkeit überhaupt lohnt: „Wir haben 2017 wunderschöne Räume | |
| eingerichtet und uns das alles aufgebaut. Jetzt haben wir Existenzängste.“ | |
| Zwei weitere Tagespflegepersonen, mit denen die taz sprach, geht es | |
| ähnlich. | |
| ## Ein bisschen wie Trinkgeld | |
| Ein bisschen war die Pauschale wie das einkalkulierte Trinkgeld beim | |
| Kellnern. Bei der Einführung 2009 [1][sagte der damalige rot-rote Senat] | |
| quasi: Stimmt so. Diese bislang unbestrittene Auslegung in Jugendämtern und | |
| bei den Tageseltern fußt auf der Ausführungsvorschrift zur | |
| Kindertagespflege, wo es heißt, von einer „nachträglichen Verrechnung mit | |
| den im Entgelt enthaltenen Anteilen“ sei „abzusehen“. | |
| Blöd nur, dass es doch nicht ganz so stimmt: Denn die Differenz, die nicht | |
| für Sozialversicherungen ausgegeben wird, muss wie das übrige Einkommen | |
| besteuert werden. Das fiel den Finanzämtern aber erst jetzt im Zuge eines | |
| neuen elektronischen Übermittlungsverfahrens auf. Und blöd ist es vor allem | |
| für Tageseltern, denen im Zuge der eher intransparenten Zahlungspraxis nun | |
| bedrohliche Nachzahlungen im Nacken sitzen. | |
| Iris Brennberger, Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung, beteuert | |
| zwar, „Wut und Sorge“ seien „verständlich. Wir haben überhaupt kein | |
| Interesse daran, dass Tagesmütter schlechter bezahlt werden.“ Mit Blick auf | |
| die Jahre 2017 und 2018 sagt sie aber auch: „Da können wir nichts machen. | |
| Wir setzen auch nur Bundesrecht um, und um die Nachzahlungen kommen wir | |
| nicht herum.“ Künftig wolle man aber keine Pauschalen mehr auszahlen, | |
| sondern die tatsächlich gezahlten Sozialversicherungsbeiträge auf Nachweis | |
| zur Hälfte erstatten, um keine zusätzliche Steuerlast zu verursachen. | |
| Dass Brennberger am Telefon hörbar um Beschwichtigung bemüht ist, ist kein | |
| Wunder: In Berlin fehlen noch immer tausende Kita-Plätze. | |
| Tagespflegepersonen können dabei schnell und recht unkompliziert gegen | |
| Unterversorgung helfen, weil sie in Privaträumen oder angemieteten | |
| Gewerberäumen arbeiten und keine Kita-Neubauten benötigen. Derzeit kümmern | |
| sich in Berlin laut Senat rund 1.600 Tagespflegepersonen um 6.000 Kinder. | |
| ## 2020 soll alles besser werden | |
| Dringenden Bedarf sieht auch Kitakrise, eine Initiative, die Eltern als | |
| Reaktion auf die akute Unterversorgung an Betreuungsplätzen gründeten: Man | |
| beobachte mit Sorge, dass einigen Tagesmüttern jetzt das Aus drohe, der Job | |
| noch unattraktiver und die Versorgung noch schlechter werde. | |
| Angelika Sauermann vom Landesverband Kindertagespflege sagt, dass es ihr | |
| bei den heutigen Gesprächen nicht um die Steuerfehlbeträge geht, sondern | |
| vielmehr um eine vernünftige Bezahlung in Zukunft. „Wir haben es uns nicht | |
| ausgesucht, die Sozialabgaben als Pauschale zu bekommen, fühlten uns | |
| sicher, haben aufs Jugendamt vertraut und nichts von versteckten Steuern | |
| geahnt.“ Es habe immer geheißen, von Nachberechnungen werde abgesehen – | |
| „nicht mal die Steuerberater hatten das auf dem Schirm“, so Angelika | |
| Sauermann. Nun gehe es darum, die Entgeltbeträge entsprechend zu erhöhen, | |
| damit sich die Arbeit als Kindertagespflegeperson weiter lohne. Für das | |
| laufende Jahr schlägt sie eine rückwirkende Erhöhung der Entgelte vor. | |
| Es gibt also einiges zu bereden am runden Tisch. Immerhin versprach | |
| Staatssekretärin Klebba schon im Vorfeld einiges: „Für 2020 werden | |
| deutliche Entgeltsteigerungen erfolgen. Die finanzielle Situation der | |
| Kindertagespflegepersonen wird sich am Ende deutlich verbessern.“ Demnach | |
| sollen künftig auch Mittel zur Vergütung von mittelbar pädagogischen | |
| Tätigkeiten – wie Elternarbeit, Vor- und Nachbereitung – bezahlt werden. | |
| Die Kundgebung findet am Montag, d. 8.7.2019, von 16.30 bis 18.30 Uhr vor | |
| der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in der | |
| Bernhard-Weiß-Straße 6 am Alexanderplatz statt. | |
| 8 Jul 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.morgenpost.de/berlin/article103524647/Berlin-gibt-acht-Millione… | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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