# taz.de -- Kommunalwahl in der Türkei: Kampf für die Demokratie | |
> IstanbulerInnen müssen erneut an die Urnen – eine hohe Beteilung wird | |
> erwartet. Laut Umfragen liegt wieder der Oppositionskandidat İmamoğlu | |
> vorn. | |
Bild: Oppositionskandidat Ekrem İmamoğlu und seine Frau Dilek am Sonntag nach… | |
Istanbul taz | In der 16 Millionen-Metropole Istanbul hat die mit Spannung | |
erwartete Wiederholung der Wahl zum Oberbürgermeister der Stadt am Morgen | |
begonnen. Erneut treten [1][Ekrem İmamoğlu], Kandidat der oppositionellen | |
CHP, dem die zentrale Wahlkommission auf Druck der Regierung seinen Sieg | |
vom 31. März aberkannt hatte, und Binali Yıldırım, der Ex-Ministerpräsident | |
und Kandidat der regierenden AKP, gegeneinander an. | |
Die Wahl ist von überragender Bedeutung, nicht nur für Istanbul, sondern | |
für die ganze Türkei. „Ich kämpfe nicht nur für mich, ich kämpfe für die | |
Demokratie in der Türkei“ sagte İmamoğlu am Samstagnachmittag bei seiner | |
Abschlusskundgebung im Stadtteil Üsküdar. | |
Viele TürkInnen im ganzen Land teilen diese Auffassung. „Nie zuvor ist ein | |
Wahlerfolg annulliert worden, nur weil er dem Präsidenten nicht gepasst | |
hat“, sagte eine Wählerin, die bereits um 9 Uhr zur Wahl ging. „Das dürfen | |
wir nicht hinnehmen“. | |
Tatsächlich wird mit einer sehr hohen Wahlbeteiligung gerechnet, obwohl die | |
Türken nach fünf Wahlen in nur drei Jahren eigentlich wahlmüde sind. Rund | |
10,8 Millionen Menschen sind in Istanbul wahlberechtigt. Wie es aussieht, | |
wollen die meisten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. | |
## Komplett verstopfte Straßen | |
Obwohl bereits vor zehn Tagen die Sommerferien begonnen haben, sind | |
Zehntausende aus ihren Ursprungsdörfern oder Sommerhäusern am Meer wieder | |
aufgebrochen, um für die Wahlen nach Istanbul zurückzukehren. | |
Die Zufahrtsstraßen nach Istanbul waren am Samstag hoffnungslos verstopft | |
und auch die Flughäfen überfüllt. Allein aus Bodrum, einem der beliebtesten | |
Sommerorte der Türkei, kamen am Samstag statt drei gleich 30 Flieger in | |
Istanbul an. | |
Weil Ekrem İmamoğlu in den Umfragen trotz aller Anstrengungen der AKP | |
[2][bis zuletzt vorne] lag und Binali Yıldırım nicht in der Lage schien, | |
diesen Trend noch umzudrehen, hatte sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan in | |
den letzten Tagen auch wieder persönlich mit heftigen Angriffen auf | |
İmamoğlu in den Wahlkampf eingeschaltet. | |
İmamoğlu werde von „Terroristen“ unterstützt, warf er ihm vor, weil die | |
kurdisch-linke HDP zu seiner Wahl aufgerufen hatte. Außerdem habe er den | |
Gouverneur von Ordu, eine Stadt am Schwarzen Meer, beleidigt, wofür er sich | |
noch vor Gericht verantworten müsse. Erdoğan drohte damit, dass İmamoğlu, | |
falls er die Wahl gewinnen sollte, deshalb mit einem | |
Amtsenthebungsverfahren rechnen müsse. | |
## Aufträge zugeschoben | |
Für Präsident Erdoğan ist die Kontrolle Istanbuls essenziell für seinen | |
Machterhalt. Istanbul ist die mit Abstand größte Stadt der Türkei, | |
generiert 40 Prozent des gesamten türkischen Steueraufkommens und hat einen | |
Milliardenhaushalt. | |
Mit dem Geld aus Istanbul hat Erdoğan seine Anhänger bezahlt und in | |
Istanbul konnte er seinen bevorzugten Unternehmern die größten Aufträge | |
zuschieben. Ohne Istanbul würde Erdoğan seine wichtigste Geldquelle | |
verlieren. | |
Dazu käme die politische Demontage, sollte seine AKP erneut in Istanbul | |
verlieren. Erdoğan weiß, dass auch innerhalb der AKP die Kritik an seiner | |
autokratischen Führung wächst. Sollte er Istanbul verlieren, könnte der | |
Druck in der Partei unkontrollierbar werden. | |
Der Präsident hat die Türkei deshalb in den vergangenen Tagen noch mit | |
einem überraschenden Manöver in Erstaunen versetzt. Mit Hilfe des seit 1999 | |
auf einer Insel im Marmara Meer inhaftierten historischen [3][Führers der | |
PKK, Abdullah Öcalan] versuchte er die kurdischen Wähler, die zuletzt | |
überwiegend İmamoğlu gewählt hatten, auf seine Seite zu ziehen. | |
## Brief von Öcalan | |
Völlig überraschend präsentierte ausgerechnet die staatliche | |
Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi am Donnerstag einen handgeschriebenen | |
Brief Öcalans, in dem er die Kurden aufrief, sich „neutral“ zu verhalten. | |
Doch auch das wird wohl vor allem zur Verwirrung bei AKP-Anhängern führen, | |
für die Öcalan schließlich der „Top-Terrorist“ des Landes ist. Die HDP h… | |
dagegen umgehend erklärt, sie bleibe bei ihrer Wahlempfehlung für „die | |
Demokratie“ – also für İmamoğlu. | |
23 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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