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# taz.de -- Prozessauftakt gegen Gezi-Aktivisten: Erdoğans Rache
> 16 Demokratie-Aktivisten stehen ab Montag vor Gericht. Sie alle hatten
> sich an den Protesten gegen die Bebauung des Gezi-Parks in Istanbul
> beteiligt.
Bild: Vor sechs Jahren fanden die Gezi-Proteste statt
Istanbul taz | Am heutigen Montag fallen zwei Ereignisse zusammen, die
jeweils auf ihre Art den Kampf um die demokratischen Rechte der Menschen in
Istanbul reflektieren. Während noch die letzten Stimmen der erzwungenen
Wiederholungswahl um den Posten des Istanbuler Oberbürgermeisters
ausgezählt werden, beginnt im Gefängnis von Silivri der [1][Prozess gegen
16 Demokratie-Aktivisten]. Sie alle hatten sich vor sechs Jahren an den
Protesten gegen die Bebauung des Gezi-Parks im Herzen von Istanbul
beteiligt.
Diese Proteste, die im Frühjahr 2013 als kleine Aktion zum Schutz der Bäume
im Gezi-Park begannen und zu einer landesweiten Demokratiebewegung gegen
die autoritäre Regierung des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen
Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurden, sind der Hintergrund für eine
Racheaktion des Präsidenten, die nun die Justiz vollziehen soll.
Wegen des „versuchten Umsturzes“ der Regierung sollen so bekannte Vertreter
der türkischen Zivilgesellschaft wie der Kulturmäzen Osman Kavala, der
Schauspieler Mehmet Ali Alabora, der Journalist Can Dündar, die Architektin
Mücella Yapıcı und zwölf weitere Aktivisten der Gezi-Park-Initiative nun
lebenslänglich ins Gefängnis.
Während [2][Can Dündar] und Mehmet Ali Alabora schon vor Jahren ins Ausland
fliehen konnten, sitzt Osman Kavala seit anderthalb Jahren im berüchtigten
Silivri-Gefängnis in Untersuchungshaft – im größten Komplex für politische
Gefangene in der Türkei. Er darf nur sehr eingeschränkt besucht werden und
ist auch im Gefängnis weitgehend isoliert. Für Osman Kavala sei das
praktisch eine vorweggenommene Haftstrafe ohne Verurteilung, kommentiert
Human Rights Watch.
## Juristen sehen Sammelsurium haltloser Vorwürfe
Die Anklage wird von unabhängigen Juristen als ein Sammelsurium haltloser
Vorwürfe eingestuft, die im Kern nichts anderes als eine Racheaktion des
Präsidenten an seinen politischen Gegnern ist. So soll Osman Kavala zum
Beispiel Geld für Sandwiches für die Park-Besetzer gespendet haben.
Außerdem will die Anklage zeigen, dass die Proteste gegen Erdoğan vom
Ausland gesteuert wurden, etwa indem sie aufzeigt, dass Projekte von Osman
Kavalas „Anadolu Kültür Istitut“ vom Goethe-Institut oder anderen
europäischen Stiftungen unterstützt wurden. In dieser Argumentation wird
etwa ein Treffen Kavalas mit einem deutschen Diplomaten auf einen Kaffee am
Taksim-Platz zum Beweis für ein konspiratives Stelldichein.
Doch das schützt im derzeitigen türkischen Justizsystem nicht davor, dass
am Ende eine lebenslange Haftstrafe stehen könnte. Es gehe eben darum,
„Menschen zu kriminalisieren, die eine demokratische, weltoffene Türkei
wollen“, sagte Claudia Roth, die zum Prozessauftakt nach Istanbul gekommen
ist.
Dabei ist die Anklage für Beobachter nichts anderes als eine völlige
Verkehrung der tatsächlichen Verhältnisse. „Auf die damaligen friedlichen
Proteste hat die Regierung mit skrupelloser Polizeigewalt reagiert“, sagt
Andrew Gardner von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Mindestens vier Menschen seien an den [3][Folgen der Polizeigewalt]
gestorben. Die Gezi-Aktivisten sprechen sogar von zehn. „Statt die
Aktivisten von damals anzuklagen, muss die immer noch nicht aufgeklärte
Polizeigewalt untersucht werden“, fordert Gardner.
Solange sich die politischen Verhältnisse in der Türkei nicht ändern,
dürfte das jedoch eine vergebliche Hoffnung bleiben.
24 Jun 2019
## LINKS
[1] /Anklage-gegen-Gezi-Aktivistinnen/!5576998
[2] /Internationaler-Tag-der-Pressefreiheit/!5590561
[3] /Sicherheitsgesetze-in-der-Tuerkei/!5014891
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
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Opposition in der Türkei
Schwerpunkt Türkei
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