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# taz.de -- Debatte Begriffe der neuen Rechten: Neue Wörter, alter Hass
> Die neurechte Bewegung verschleiert mit pseudointellektuellen
> Formulierungen ihre wahren Ziele. „Ausländer raus“ heißt heute
> „Remigration“.
Bild: Steht gut in Frankfurt am Main, auch wenn Neurechte das anders sehen: die…
Als im August 1992 [1][in Rostock-Lichtenhagen] das sich neben der Zentrale
Aufnahmestelle für Asylbewerber befindende Wohnheim für vietnamesische
Gastarbeiter in Brand gesetzt wurde, skandierte die Menschenmenge einen
Slogan, der zu einem der Symbole rechtsextremer und rassistischer Gewalt im
wiedervereinten Deutschland der 90er Jahre werden sollte: „Deutschland den
Deutschen, Ausländer raus.“
Lange Jahre schien es, als sei dieser Ausspruch verschwunden. Doch nun
kehrt er zurück. Das geschieht nicht durch grölende Hooligans auf der
Straße, sondern durch die schrittweisen Geländegewinne einer sich
radikalisierenden Bewegung mit parlamentarischer Vertretung. „Ausländer
raus“ heißt heute „Remigration“. Der Begriff wurde bis vor wenigen Jahren
kaum verwendet, [2][im Duden] steht bei „Remigrant“ unter Gebrauch
lediglich: bildungssprachlich.
In der aktuellen Verwendung stammt „Remigration“ aus dem Lexikon der
Identitären Bewegung und ist kein bildungssprachlicher Begriff, auch wenn
versucht wird, durch die pseudointellektuelle Terminologie den genauen
Inhalt dieser politischen Forderung zu verschleiern. So lassen die
Identitären potenziellen Verbündeten die Illusion, dass mit der Forderung
nach Remigration „nur“ die Rückführung straffälliger, abgelehnter
Asylbewerber gemeint sein könnte.
Die Identitären sehen „Remigration“ als notwendige Antwort auf den „gro�…
Austausch“. Dabei handelt es sich um einen Verschwörungsmythos, laut dem
die europäische Stammbevölkerung durch „kulturell fremde“
Einwanderergruppen ersetzt werden soll. Um den „großen Austausch“
umzukehren, fordern die Identitären zunächst, Masseneinwanderung zu stoppen
und im zweiten Schritt die Rückführung nichteuropäischer Migranten
durchzuführen.
## Die wichtige Rolle der Sprache
„Remigration“ strebt somit nach der Herstellung größtmöglicher
„ethnokultureller“ Homogenität. Auch hier spielt die Sprache eine wichtige
Rolle: „ethnokulturell“ verschleiert, wie eng „Kultur“ und „Ethnie“
innerhalb der identitären Gedankenwelt miteinander verbunden sind. Genauso
gut könnten sie daher von der Herstellung einer völkischen Reinheit
sprechen.
Die Identitären sprechen jedoch von „Ethnopluralismus“. Im Vergleich mit
dem Vokabular traditioneller rechtsextremer Gruppen klingt dies moderater,
so, als wollten die Identitären niemandem etwas zuleide tun. Doch in
letzter Konsequenz ist die Forderung nach Remigration in einem vielfältigen
Europa eine Forderung nach ethnischer Säuberung.
Bei der Verbreitung des Konzepts der „Remigration“ setzen die Identitären
vor allem auf die sozialen Medien. Waren es im Jahr 2016 noch 20,989
„Remigrations“-Tweets pro Jahr, stieg diese Zahl 2017 auf 47,353 und
erreichte mit 55,013 Tweets 2018 ihren bisherigen Höhepunkt. Seit dem Jahr
2018 finden sich in den Listen der am meisten geteilten Remigrations-Tweets
jedoch auch offizielle [3][AfD-Accounts, welche fordern], dass syrische
Flüchtlinge abgeschoben werden sollen, oder befinden, dass für „Türken“,
die sich „nicht integrieren wollen“, eine Remigration das beste wäre .
Bei den regelmäßig in Schnellroda stattfindenden Konferenzen des Instituts
für Staatspolitik, die eine Schlüsselrolle bei der ideologischen Schulung
des identitären Nachwuchses spielen, sprachen in den vergangenen Jahren
nicht weniger als sieben AfD-Vertreter. Darunter befanden sich der
Vorsitzende des völkischen „Flügels“ innerhalb der AfD, Björn Höcke, so…
der Europawahlkandidat Hans-Thomas Tillschneider, welcher ein Büro im Haus
der identitären Gruppe „Kontrakultur“ in Halle hat, aber auch die beiden
Vorsitzenden der Bundespartei, Jörg Meuthen und Alexander Gauland.
## Teil des Europawahlprogramms
In einer Rede in Schnellroda, die genauso gut von einem identitären
Aktivisten oder neurechten Theoretiker hätte stammen können, sagt Gauland
im Januar 2019, dass „die Völker unwillig sind, den grauen Tod der
Diversity zu sterben“. Gegen Ende seiner Ausführungen spricht er vom
„elementaren Bedürfnis eines Volkes … sich im Dasein zu erhalten. Das ist
im Grunde unser Parteiprogramm in einem Satz. Es geht uns einzig um die
Erhaltung unserer Art zu leben. Das zentrale politische Zukunftsthema
lautet Identität.“
Die von den Identitären geprägte Vokabel „Remigration“ findet sich
mittlerweile im Europawahlprogramm der AfD, in dem „Remigrationsprogramme
größtmöglichen Umfangs“ für Deutschland und Europa gefordert werden. Als
Mitglieder des AfD-„Flügels“ bei einem Treffen in Greding gemeinsam mit
anwesenden Identitären die erste Strophe des Deutschlandliedes singen,
[4][fordert die bayerische Fraktionschefin] der AfD Katrin Ebner-Steiner
„Remigration statt Integration!“
Eine Agenda für „Remigration und Deislamisierung“, wie sie von
Schlüsselfiguren der Identitären Bewegung schon vor Jahren propagiert
wurde, steht im Einklang mit dem, was Björn Höcke sich für die Zukunft des
Islam in Europa ausmalt. Der Spitzenkandidat der Thüringer AfD für die
Landtagswahlen im kommenden Herbst hatte bereits vor über einem Jahr
verkündet, die AfD werde, sobald sie an der Macht sei, „die Direktive
ausgeben, dass am Bosporus mit den drei großen M, Mohammed, Muezzin und
Minarett, Schluss ist.“
Wir schreiben das Jahr 2019, es ertönen wieder deutlich wahrnehmbare Rufe
nach ethnischer Säuberung, die Erinnerungen an einige der dunkelsten
Kapitel der europäischen Geschichte hervorrufen. In Zeiten des Rechtsrucks
und der Radikalisierung der neurechten Bewegung und ihrer parlamentarischen
Vertretung liegt eine der größten Gefahren für offene und demokratische
Gesellschaften in der Naivität gegenüber den politischen Bemühungen,
extremistische Rhetorik zu normalisieren. Es ist an der Zeit, dass wir es
nicht mehr achselzuckend hinnehmen, wenn „Ausländer raus“ wieder Einzug in
den Mainstream des politischen Diskurses erhält.
1 Jul 2019
## LINKS
[1] /25-Jahre-nach-Rostock-Lichtenhagen/!5435609
[2] https://www.duden.de/rechtschreibung/Remigrant
[3] https://twitter.com/RogerBeckamp/status/1046650414039470080
[4] https://www.br.de/nachrichten/bayern/mit-rechten-federn-geschmueckt-afd-str…
## AUTOREN
Jakob Guhl
## TAGS
Neue Rechte
Identitäre Bewegung
Framing
Kolumne Die Zeile
Schwerpunkt AfD in Berlin
SS
Lesestück Recherche und Reportage
Rechtsradikalismus
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