# taz.de -- Gisela Friedrichsen über Gerichtsfälle: „Ich war die einzige Fr… | |
> Gisela Friedrichsen begann ihre Karriere, als Gerichtsreportagen noch | |
> ausschließlich von Männern geschrieben wurden. Sie änderte das. | |
Bild: Gisela Friedrichsen: Anfangs trauten ihr nur wenige Kollegen etwas zu | |
taz am wochenende: Frau Friedrichsen, in Ihrem Eintrag auf Wikipedia steht | |
… | |
Gisela Friedrichsen: … ein falsches Geburtsdatum. | |
Und, dass Sie in der Schule der „Englischen Fräulein“ waren. | |
Das stimmt. Eine Klosterschule in München-Nymphenburg, die von einer sehr | |
fortschrittlichen Engländerin um 1600 gegründet wurde, um Mädchen durch | |
Bildung zu stärken. | |
Hat Sie das geprägt? | |
Ich habe es als wohltuend in Erinnerung, auf einer Mädchenschule gewesen zu | |
sein, weil wir nicht mit Jungs konkurrieren mussten. Ob meine beste | |
Freundin Mathematiklehrerin geworden wäre mit Jungs in der Klasse? Sie war | |
nicht sonderlich hübsch. Vielleicht wäre sie von denen gemobbt worden und | |
hätte sich dann nichts zugetraut. | |
Aus Ihnen wurde ein Vorbild für Gerichtsreporterinnen. | |
Kann schon sein. Früher gab es in dem Metier nur Männer. Eine Ausnahme war | |
Gabriele Tergit. | |
Die ihre Arbeit allerdings schon 1950 einstellte, nachdem der | |
NS-Propagandafilmer Veit Harlan freigesprochen worden war. | |
Richtig. Es war aber letztlich eine Frage der Zeit, bis die Frauen in | |
diesem Job dran waren. Das Rollenverständnis hat sich geändert. Ich habe | |
diesen ganzen Wandel miterlebt. Auch, wie Richter nach und nach begriffen, | |
dass eine Frau, die abtreibt, nicht zwangsläufig eine Schlampe ist. | |
Im Zusammenhang mit dem Kachelmann-Prozess sagten Sie, dass die | |
Unschuldsvermutung heute von der Opfervermutung verdrängt werde. Herrscht | |
vor Gericht Geschlechterungerechtigkeit? | |
Manchmal schon. Frauen werden meist besser behandelt, weil man ihnen keine | |
Gewalttat zutraut. Ein wegen Vergewaltigung beschuldigter Mann hat es enorm | |
schwer, wenn er bestreitet – siehe Kachelmann. | |
Bevor Sie 1989 Gerichtsreporterin des Spiegels wurden, waren Sie ab 1975 | |
Redakteurin der FAZ. | |
Anfangs war ich in der Lokalredaktion, damals war in Frankfurt jedes | |
Wochenende Demo, und Joschka Fischer schmiss mit Steinen. | |
Also Krawallreporterin? | |
Ich war nicht verheiratet und hatte noch keine Kinder. Darum wurde ich zu | |
den Demos geschickt, weil die Familienväter keine Lust hatten, den Samstag | |
zwischen Wasser- und Steinewerfern zu verbringen. Ich war die einzige Frau, | |
hatte aber immer eine Gruppe von Redaktionskollegen um mich, die mich | |
beschützten. Mein späterer Mann war auch dabei. | |
Der hat Sie auch beschützen wollen? | |
Es gab einen Wettbewerb, wer mich beschützen darf. | |
Sie haben Germanistik und Geschichte studiert, wollten Sie da nicht lieber | |
Leitartikel schreiben? | |
Nein, ich wollte Zeitung machen. Das war aber in den 1970er Jahren nicht so | |
einfach. Wenn Korrespondenten anriefen, fragten sie mich: „Ja, ist denn | |
niemand da?“ Ich antwortete: „Ja doch, ich.“ „Aber ist denn kein Redakt… | |
da?“ Eine Frau in der Redaktion hielt man immer für die Sekretärin. | |
Wie kamen Sie denn überhaupt zum Journalismus? | |
Als ich an meiner Doktorarbeit saß, einer spätmittelalterlichen | |
Spielkartenallegorie in Mittellatein, fragte mich ein Unternehmensberater, | |
ob ich glaubte, dass das irgendwer jemals lesen würde. Das gab mir zu | |
denken. | |
Unternehmensberaterin wurden Sie aber nicht. | |
Nein. Ich entschied mich für den Journalismus und schrieb der damaligen | |
Herausgeberin der Zeit, die mir ein Volontariat bei einer regionalen | |
Zeitung empfahl. Also bewarb ich mich bei der Augsburger Allgemeinen, wo | |
ich mich gleich blamierte. | |
Wie das? | |
Im Vorstellungsgespräch antwortete ich auf die Frage, wieso ich hier | |
arbeiten will: Bisher war Augsburg nur eine Autobahnausfahrt für mich, aber | |
Ihre Zeitung soll ja ganz gut sein. | |
Sie hatten schon immer ein gesundes Selbstbewusstsein? | |
Überhaupt nicht. Man gibt nur manchmal einfach saublöde Antworten. | |
Sie wurden dann Lokalreporterin in Neu-Ulm. | |
Ja. Dort musste ich viele Sachen machen, die ich unter meiner Würde fand. | |
Zum Beispiel? | |
Ein Bericht über Heino beim Autogramme-Geben in einem Gardinengeschäft. | |
Mein spöttischer Bericht darüber wurde nicht gedruckt. Ich musste ihn | |
umschreiben, weil es sich um einen „wichtigen Kunden“ handelte. | |
Heino? | |
Nein, das Gardinengeschäft. Die hatten Anzeigen bei uns im Blatt. | |
Und wie wurden Sie dann Gerichtsreporterin? | |
In der FAZ gab es so etwas nicht, da waren die Länderkorrespondenten | |
zuständig. Nur, wenn gerade keiner Zeit oder Lust hatte, durfte ich mal | |
ran. Zum Beispiel in Fulda beim Fall Monika Weimar, die ihre beiden Kinder | |
umgebracht hat. Damals waren viele der Meinung, eine Mutter tut so was | |
nicht. Dabei bringt jeder jeden um, wie man längst weiß. Mein Vorschlag, | |
mich auf Gerichtsreportagen zu spezialisieren, wurde abgelehnt. | |
Wahrscheinlich, weil keiner der Herren mich dann unter seiner Fuchtel | |
gehabt hätte. | |
Männer gehen raus. Frauen bleiben im Haus? | |
Ich war da immer die mit den zwei kleinen Kindern. Selbst, als die schon | |
größer waren, war ich diejenige, die man angeblich wegen der Kinder | |
nirgends hinschicken konnte. Enttäuscht und zornig über die Ablehnung bin | |
ich dann auf eigene Faust zu einer Verhandlung nach Mainz gefahren, wo ein | |
Türke angeklagt war, seine junge Familie im Auto angezündet und verbrannt | |
zu haben. Es war die Zeit der ersten Gastarbeiter. Niemand hatte eine | |
Ahnung, was das für Leute sind. Um sie hat sich keiner gekümmert. | |
Hauptsache, sie haben ordentlich geschuftet. Das Gericht war völlig ratlos, | |
weil der Mann kein Wort sprach. Diese Ratlosigkeit habe ich in meinem Text | |
beschrieben und der wurde gedruckt. Am nächsten Tag rief Gerhard Mauz an | |
und sagte: „Sie werden meine Nachfolgerin.“ Das war das erste und einzige | |
Mal in meinem Berufsleben, dass ich aufs Klo gegangen bin und geheult habe. | |
Wie schwierig war es, in die Fußstapfen dieses legendären Journalisten zu | |
treten? | |
Niemand glaubte daran, dass ich das hinkriege. Mauz war der Gott der | |
Gerichtsreportage, und Gott kann man nicht ersetzen. Der Neid der | |
männlichen Journalisten war unerträglich. Und es wurde gefragt, wieso der | |
Mauz so eine konservative Liesel in den Spiegel holt. | |
Waren Sie eine konservative Liesel? | |
Überhaupt nicht. Aber die FAZ galt damals schon branchenintern als ziemlich | |
konservativ. Als ich beispielsweise 1988 den Abtreibungsprozess gegen den | |
Memminger Frauenarzt Horst Theissen machen wollte, wurde das nicht | |
genehmigt. Man fürchtete, ich könnte zu viel Verständnis für die Frauen | |
haben. Ich habe mir damals dann einfach Urlaub genommen und bin trotzdem | |
zum Prozess gefahren. | |
Wie wichtig ist es, dass Sie im Gerichtssaal sind und die | |
Prozessbeteiligten sehen? | |
Außerordentlich wichtig. Leider zahlen immer weniger Verlage den Reportern | |
die Teilnahme an Prozessen. Wer glaubt, man brauche nur die Akten zu lesen, | |
liegt falsch. Vor Gericht äußert sich ein Zeuge oft anders als vor der | |
Polizei oder dem Staatsanwalt. Wir haben aus guten Gründen eine öffentliche | |
Hauptverhandlung. Wenn man nur zur Anklageverlesung und zum Plädoyer der | |
Staatsanwaltschaft erscheint, kann man nur nachplappern, was einem | |
vorgeplappert wird. | |
Wie, wenn ein Literaturkritiker nur den ersten und letzten Satz des Romans | |
lesen würde. | |
Genau. Wenn es um die bloße Information geht, kann man auch den Bericht | |
einer Nachrichtenagentur drucken. Aber um eine Geschichte zu schreiben, | |
die zum Nachdenken anregt, die mehr transportiert als nur Fakten, muss man | |
den Prozess erleben. | |
Es geht um die Performance? | |
Ja. Vor Gericht spielt sich ein Theaterstück ab, dessen Ausgang niemand | |
kennt. Eingebettet in ein Zeremoniell, werden eine Vorgeschichte, die Tat | |
als Höhepunkt und die Geschichte danach erzählt und dann ist da ja auch | |
noch der Prozess selbst, der ein äußerst dynamisches Geschehen ist. Vor | |
Gericht entfaltet sich ein Entwicklungsroman mit realen Personen, der | |
Einblick in Milieus bietet, zu denen man normalerweise keinen Zugang hat, | |
von der Deutschen Bank bis zum obdachlosen Junkie. | |
Warum lesen Sie nicht einfach einen spannenden Krimi? | |
Was mich immer fasziniert hat: Das Recht ist ein scheinbar starres Gebilde | |
aus Paragrafen, Regeln und geregelten Ausnahmen. Und dann erleben Sie die | |
Geschichten der Angeklagten, Zeugen und Opfer und denken: Dafür kann es | |
doch gar keinen Paragrafen geben. Aber das Recht ist in der Lage, das alles | |
so zu sezieren und zu analysieren, dass am Ende meist ein Urteil ergeht, | |
das gar nicht so verkehrt ist. | |
Geht es vor Gericht um Gerechtigkeit? | |
Jeder versteht darunter etwas anderes. Wenn es um das Urteil geht, sollte | |
man besser von Verhältnismäßigkeit oder Angemessenheit sprechen. | |
Wie unabhängig kann die Beurteilung des Richters sein? | |
So unabhängig wie die des Journalisten. Ein Vorsitzender sagte mir mal: Ihr | |
Journalisten macht letztlich das Gleiche. Ihr beobachtet und bewertet | |
Menschen. Ihr könnt nur niemanden in den Knast schicken. Er hat recht. Die | |
Unabhängigkeit der Richter hängt auch von ihrer Persönlichkeit ab – ob und | |
wie sie dem Druck von Politik, Öffentlichkeit, Medien und auch des | |
persönlichen Umfelds begegnen. Richter brauchen Erfahrung, große Kompetenz, | |
Menschenkenntnis, Selbstbewusstsein und gleichzeitig die Bereitschaft zum | |
Selbstzweifel. Gute Richter wissen, was es bedeutet, einem Menschen die | |
Freiheit zu nehmen. Ich habe größten Respekt vor ihrer Arbeit. | |
Ohne Gerichtsreporter wüssten wir nicht, was in den Prozessen stattfindet, | |
da es hierzulande keine Gerichtsprotokolle gibt. Was würde es ändern, gäbe | |
es die? | |
Die Strafverteidiger fordern das seit Jahrzehnten. Aber zum einen gibt es | |
in solchen Protokollen zahllose Hör- und Verständnisfehler. Zum anderen | |
könnte es mit der Unbefangenheit der Zeugen vorbei sein, wenn ihre Aussagen | |
protokolliert werden. Auch die Anwesenheit der Presse hat Einfluss. | |
Kann ein Zeuge Presse und Publikum ausschließen? | |
Wenn juristisch begründet werden kann, dass die Aussage den persönlichen | |
Lebensbereich des Zeugen betrifft, müssen wir den Saal verlassen. Aber was | |
bitte betrifft nicht den persönlichen Lebensbereich? In 20 Jahren stehen | |
Reporter wahrscheinlich nur noch vor dem Gerichtssaal. Wir schreiben jetzt | |
schon immer mehr über Menschen, die keinen Namen und kein Gesicht haben, | |
keine Biografie, keine Krankheiten oder Brüche in ihrem Lebenslauf, weil | |
wir dies ausklammern müssen. | |
Worin liegt die Gefahr, die Presse von Prozessen auszuschließen? | |
Die Öffentlichkeit erhält dann keine Erklärung dafür, warum das Gericht so | |
und nicht anders entschieden hat. Meine Aufgabe ist, das Geschehen für den | |
Laien aus dem Juristischen zu übersetzen. Wenn das fehlt, machen sich die | |
Leute ihren eigenen Reim auf das Urteil und verlieren das Vertrauen in die | |
Rechtsprechung. Als Gerichtsreporterin hat man eine politische Rolle, man | |
ist eine Art Kontrollinstanz. | |
Versuchen Richter Journalisten zu beeinflussen? | |
Bisweilen ja. Aber bei mir stößt man dabei auf Granit. Meine Aufgabe als | |
Journalistin ist die Kritik und die Beobachtung. Ich verstehe mich nicht | |
als Sprachrohr der Justiz. | |
Hat Sie ein Urteil mal wirklich überrascht? | |
Sicher. Zum Beispiel im Fall einer Vergewaltigung auf einer Feier von | |
Bundeswehrrekruten. Da musste das Opfer verschiedenen Verdächtigen an die | |
Nase fassen, um festzustellen, ob es diese Nase war, die es im Gesicht | |
gespürt hatte. Das reichte meiner Meinung nach nicht aus, um den so | |
„überführten“ Täter schuldig zu sprechen. Und doch wurde er verurteilt. … | |
ich mich geirrt habe? Man darf sich ja nicht einbilden, man wisse es besser | |
als die Richter. | |
Vor einigen Tagen ist Ihr Buch über den NSU-Prozess erschienen. Dieser | |
wurde stark dafür kritisiert, die Rolle von Verfassungsschutz etc. nicht | |
ausreichend beleuchtet zu haben. | |
Man hat von diesem Prozess etwas verlangt, was er nicht leisten konnte. | |
Seine Aufgabe war es, über die Schuld der Angeklagten zu verhandeln. Es | |
ging um die geplante und gezielt ausgeführte Tötung von Menschen mit | |
Migrationshintergrund und nicht darum, wer warum beim Verfassungsschutz | |
Unterlagen geschreddert hat. Der NSU-Prozess wurde streng nach den Regeln | |
der Strafprozessordnung geführt. Dabei gab der Vorsitzende Manfred Götzl | |
den Opfern während des Prozesses mehr Raum, als es üblich ist. | |
Die Urteilsverkündung vom 11. Juli 2018 in München haben Sie dennoch | |
kritisiert. | |
Ja, weil Götzl kein Wort in Richtung der Nebenklage verloren hat, worauf | |
die Opfer gehofft hatten. Er hat lediglich die Taten aufgezählt, das | |
Strafmaß verkündet, dieses rechtlich begründet und dann die Sitzung | |
geschlossen. Damit waren fünf Jahre Prozess mit einem Schlag vorbei. | |
Empathielos? | |
Götzl ist nicht empathielos. Er ist ein wandelndes Gesetzbuch, | |
hochkompetent. Aber kein väterlicher Richter. Wenn ein Zeuge weinte, wurde | |
er unsicher und legte eine Pause ein, in der Hoffnung, dass es anschließend | |
so weitergeht, wie er es sich vorgestellt hat. | |
In Ihrem Buch steht, der Prozess habe nicht so in die Gesellschaft | |
hineingewirkt, wie er es hätte tun können? | |
Der Prozess wurde 2015 in den Hintergrund gedrängt. Man hatte ja jetzt ganz | |
andere Probleme: die Flüchtlinge, die AfD und das Erstarken des rechten | |
Randes. Das, was den NSU ausmachte, die menschenverachtende Nazi-Ideologie | |
und wohin diese führt, hätte viel stärker gegen die AfD wirken können. Doch | |
der Prozess geriet in den Schatten einer Situation, die die Menschen | |
überforderte. | |
War auch die Dauer des Prozesses ein Problem? | |
Die Öffentlichkeit hat irgendwann das Interesse daran verloren, wer und was | |
hinter dem NSU steckt. Es ging nur noch um die Kosten des Verfahrens, und | |
der Boulevard zeigte Fotos von Champagner trinkenden Verteidigern in | |
Nobelhotels. Das regte die Leute mehr auf als die Verbrechen des NSU. | |
Sie saßen trotzdem jeden Tag im Prozess. Bild auch? | |
Ich ja. Bild keineswegs. | |
Auch die Faszination an der „Nazi-Braut“ Beate Zschäpe wurde geringer. | |
Wie bei den meisten Untersuchungshäftlingen ließ auch ihre erotische | |
Strahlkraft rasch nach. Sie schien zu resignieren und strahlte nicht mehr | |
den Glamour aus wie am ersten Tag, als sie im schwarzen Hosenanzug und | |
frisch geföhnten Haaren in den Saal kam. | |
Sollte der verdächtige Neonazi Stephan E. den Kasseler CDU-Politiker Walter | |
Lübcke wirklich ermordet haben, wäre das ein weiterer Beweis dafür, dass | |
nichts aus dem NSU-Prozess gelernt wurde? | |
Die angeblich so unverzichtbaren Leute des hessischen Verfassungsschutzes | |
hätten diesen Verdächtigen angesichts seiner Vorstrafen und Kontakte in die | |
Szene längst auf dem Schirm haben müssen. Hat man dies wieder einmal nicht | |
ernst genommen? Inzwischen hält man leider alles für möglich. Eine Lehre | |
immerhin scheint man gezogen zu haben: Jetzt ermittelt der | |
Generalbundesanwalt und nicht irgendwelche niederrangigen | |
Behördenmitarbeiter. | |
Sie haben erst nach dem Tod Ihres Vaters erfahren, dass er das KZ Auschwitz | |
überlebt hatte. Haben Sie seine Geschichte recherchiert? | |
Nein. Ich habe eine innere Furcht davor. Ich will das Bild meines Vaters, | |
der ein wunderbarer und witziger Mensch war, nicht durch die Grausamkeiten, | |
die ihm diese Scheißkerle angetan haben, trüben. Dass er immer ein bisschen | |
anders war als die bayerische Verwandtschaft, habe ich darauf | |
zurückgeführt, dass er ein Däne in München war. Als er starb, sind mir dann | |
Szenen eingefallen, die ich mir als Kind nie erklären konnte, zum Beispiel, | |
dass mein Vater manchmal nachts im Traum geschrien hat oder bei einer | |
Verkehrskontrolle aus dem Nichts laut wurde, als ihn der Polizist am Arm | |
anfasste. | |
Aber Sie haben jahrzehntelang Mördern und Kannibalen gegenübergestanden, | |
auch NS-Tätern. Wie haben Sie das ausgehalten? | |
Sobald man Worte dafür findet, beim Schreiben, bewältigt man die Sache. | |
Mein Vater hat es offenbar nicht geschafft, Worte für das zu finden, was er | |
durchgemacht hat. | |
28 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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