# taz.de -- Jazzszene Berlin: Improvisatorisch Spitze | |
> In Sachen Jazz passiert in Berlin viel. Die erste Berliner Jazzwoche | |
> bündelt die Masse, und auch der Jazzpreis an Axel Dörner wird da | |
> verliehen. | |
Bild: Berliner Jazzpreisträger 2019: Axel Dörner spielt die Trompete | |
Berlin ist die Welthauptstadt des Jazz und kaum jemand kriegt es mit. Das | |
ungefähr ist der Befund, der nun dazu führt, dass ab Montag sieben Tage | |
lang die erste Berliner Jazzwoche stattfindet. Man will hier bei Konzerten | |
zeigen, was die Szene so zu bieten hat, und dabei nach Möglichkeit auch mal | |
mehr Interessierte erreichen als nur die üblichen Jazzfreaks. | |
Um die 40 Clubs beteiligen sich an der Aktionswoche, die vom Berliner | |
Verein [1][IG Jazz] initiiert wurde, 100 Konzerte finden über die ganze | |
Stadt verteilt statt. In Podiumsdiskussionen soll außerdem über | |
Geschlechterverhältnisse und Förderstrukturen im Jazz diskutiert werden. | |
Und in einer Veranstaltung will der Musiker Jeff Özdemir [2][Kindern | |
erklären], was das überhaupt ist: Jazz. | |
Die Diskrepanz zwischen der Tatsache, dass die Berliner Jazzszene so | |
vielfältig, brodelnd und aufregend ist und dennoch kaum von einer breiteren | |
Öffentlichkeit wahrgenommen wird in der Stadt, ist tatsächlich frappierend. | |
Der Trompeter Axel Dörner, der im Rahmen der Jazzwoche den zum dritten Mal | |
verliehenen Berliner Jazzpreis bekommt, sagt: „Im Moment ist die | |
Lebendigkeit der Jazzszene in Berlin einzigartig in der ganzen Welt, ich | |
glaube, es gab seit langer Zeit nicht so viele bedeutende Musiker, welche | |
nun in Berlin leben und Konzerte spielen.“ | |
Wenn man sich dann aber mit Marc van der Kemp unterhält, der den Neuköllner | |
[3][Jazzclub Sowieso] führt, der vor allem im Bereich des experimentellen | |
Jazz seit gut zehn Jahren ein exzellentes Programm bietet, bekommt man ein | |
Bild davon, wie prekär diese lebendige Jazzszene aufgestellt ist. „Es gibt | |
Konzertabende, da kommen 20 bis 25 Besucher“, sagt er, „das ist schon sehr | |
gut.“ Oft genug kämen aber auch nur 2 oder 3 oder auch mal gar niemand, | |
„dann muss ich das Konzert natürlich absagen“. 40 bis 50 Stunden in der | |
Woche arbeite er für und in seinem Club, „trotzdem lebe ich teils von Hartz | |
IV“. | |
## Viele kleine Spielstätten | |
Die Gründe für diesen Zustand sind vielfältig. Kathrin Pechlof von der IG | |
Jazz erklärt, einmal liege es an der Struktur der Szene. Es gebe viele | |
kleine Spielstätten, sie nennt da beispielsweise das Donau 115 in Neukölln | |
und den Kühlspot Social Club in Weißensee, „ausgestattet mit teilweise so | |
gut wie keinem Budget“, die medial kaum Aufmerksamkeit bekämen. Sie würden | |
ein hochwertiges Programm bieten, das dann aber außerhalb eigener | |
informeller Netzwerke kaum jemanden erreiche. Auch Axel Dörner sagt, „dass | |
die Bedeutung der Stadt Berlin für den Jazz in Europa medial zu wenig | |
widergespiegelt wird. In den öffentlich-rechtlichen Medien beispielsweise | |
werden die finanziellen Mittel für Jazz ja seit den letzten 30 Jahren | |
beständig gekürzt“. | |
Ein Problem, sicherlich nicht für die Berliner Jazzfreunde, aber doch für | |
Veranstalter und Musiker, ist letztlich auch das Überangebot an | |
Jazzveranstaltungen in der Stadt. „Es gibt einen permanenten Zuzug von | |
Jazzmusikern nach Berlin“, so Kathrin Pechlof, und alle wollen hier vor | |
allem öffentlich spielen, spielen spielen. Die vibrierende, aber sich doch | |
nur an ein überschaubares Publikum richtende Szene kannibalisiert sich also | |
teilweise selbst. „Es gibt einfach sehr viel Konkurrenz“, meint auch Marc | |
van der Kemp vom Sowieso. | |
Berlin setze weltweit Impulse in Sachen Jazz, so Kathrin Pechlof, „hier | |
passieren die neuen Dinge“. Doch damit das so bleibt und ein | |
verdienstvoller Laden wie das Sowieso nicht irgendwann gezwungen sein wird | |
aufzugeben, „müsse nun mehr Geld in das System fließen“. Dazu brauche es | |
beispielsweise eine Förderstruktur für Veranstalter. Marc Van der Kemp | |
fällt in diesem Zusammenhang ein Problem ein, das seiner Meinung nach auch | |
unbedingt angegangen werden muss: Eine Reform der Gema. Er habe mit seinem | |
Club sogar einmal eine Förderung bekommen und den Spielstättenprogrammpreis | |
Applaus gewonnen – 30.000 Euro. „Aber gleichzeitig habe ich inzwischen | |
80.000 Euro Schulden bei der Gema. Die verlangen von kleinen Clubs wie | |
meinem so viel Geld, wie ich es niemals einspielen kann. Da hilft mir auch | |
so ein Preis kaum weiter.“ | |
## Der sprichwörtliche Hut | |
Von dem Geld, das in das System Jazz in Berlin fließen müsse, wie Kathrin | |
Pechlof fordert, müsse sicherlich auch einiges zur Aufbesserung der | |
Musikergagen verwendet werden, glaubt sie. Die Einführung von Mindestgagen | |
würde sie sich wünschen: „Dass sprichwörtlich für den Hut gespielt wird, | |
der bei Konzerten herumgeht, ist dagegen aktuell eher die Regel in den | |
kleinen Berliner Jazzclubs.“ | |
Aber auch wenn für den Eintritt gespielt wird, sind die Gagen oft geradezu | |
grotesk gering. Im Sowieso beträgt der Eintritt zwischen 5 und 15 Euro, der | |
Besucher darf ihn in einem gewissen Rahmen selbst bestimmen. 70 Prozent | |
gehe bei ihm direkt an die Musiker, so Marc van der Kemp. Bei 20 zahlenden | |
Besuchern bleibt da einfach kaum etwas hängen bei den Musikern. | |
Es hat sich etwas Großes entwickelt in Sachen Jazz in Berlin. Niedrige | |
Mieten haben über die letzten Jahre Musiker aus aller Welt angelockt und | |
eine Infrastruktur von Jazzclubs ermöglicht, die einzigartig ist. Doch das | |
alles steht auf der Kippe, wenn nun der Jazz in Berlin nicht weit stärker | |
gefördert wird als aktuell. „Ich habe noch nie einen Politiker getroffen, | |
der sich für das interessiert, was ich in der Nische veranstalte“, sagt | |
Marc van der Kemp. Diesen jazzaffinen Politiker aber sollte es möglichst | |
bald geben, sonst könnte Berlin den Titel Welthauptstadt des Jazz schnell | |
wieder verlieren. | |
## Wenn Berlin einem zu teuer wird | |
Ausbluten könnte die Szene aber auch, wenn sich die Jazzmusiker selbst | |
Berlin ganz einfach nicht mehr leisten können. „Wenn die Entwicklung in der | |
Immobilienspekulation in Berlin voranschreitet“, meint Axel Dörner, „würde | |
ich es als wahrscheinlich betrachten, dass Musiker zunehmend wieder aus | |
Berlin wegziehen und nur wenige neue Musiker sich entscheiden, nach Berlin | |
zu ziehen, da ihnen wegen der gestiegenen Preise in Berlin ein Leben in | |
anderen Städten oder auch auf dem Land attraktiver erscheint.“ | |
Dann aber wäre es mit dem wunderbaren Treiben improvisierender Musiker in | |
Berlin bald vorbei: „Die Lebendigkeit einer Jazzszene in einer Großstadt | |
ist meiner Meinung nach langfristig unbedingt abhänging von der Fluktuation | |
durch neu hinzukommende Musiker aus aller Welt.“ | |
23 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ig-jazz-berlin.de/ | |
[2] https://www.field-notes.berlin/de/programm/33626/jazz-fr-kinder | |
[3] https://www.sowieso-neukoelln.de/#home | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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