| # taz.de -- Kolumne Frauen-WM: Im Herrgottswinkel von Montpellier | |
| > Ein Küchengespräch über die Anbetungswürdigkeit von Maria und Josef sowie | |
| > „grottige“ Spiele in der südfranzösischen Metropole. | |
| Bild: Objekt der Anbetung: Jesus. Aber wo ist Maria? | |
| Marie ist ein Engel. Das muss man wörtlich verstehen. Ich sitze in einer | |
| kleinen Küche in einer ärmlichen Hochhaussiedlung am Rand von Montpellier, | |
| über mir schaut Jesus von einem Poster, mir gegenüber schaut Jesus von | |
| einer Uhr, dazwischen baumelt Maria. Und meine Gastgeberin Marie, darunter | |
| sitzend, eröffnet mir, dass sie selbst ein Engel sei. | |
| Ihr blond gefärbtes Haar und ihr Riesen-Ausschnitt unterstreichen und | |
| konterkarieren das gleichzeitig. Ich komme gerade von Deutschland gegen | |
| Südafrika, und Marie redet. Gott ist vor ihrer Geburt einer Tante | |
| erschienen, sie selbst sei eine Wiedergängerin der heiligen Maria. Jesus | |
| gab sich auch die Ehre und hat sie persönlich getauft. Jesus ist superheiß. | |
| „Oh, so ein schöner Mann, so schön, Alina“, ruft Marie, die zwischen | |
| liebevoll, ekstatisch und aggressiv wechseln kann. Für die, die es | |
| interessiert: Jesus hat einen enorm gepflegten grauen Bart, den man | |
| anfassen darf. | |
| Montpellier ist, abgesehen von meiner Gastgeberin, sehr irdisch, viel | |
| weniger entrückt als das glitzernde Nizza. Es ist ruhiger, billiger, und | |
| man kann tatsächlich in Restaurants nur voll von Anwohnern sitzen. | |
| Montpellier will die WM unbedingt haben. Alles ist mit Werbung bedruckt, | |
| sogar die Bahntickets, die Bars zeigen Fußball live, und auf meinem Weg zur | |
| Innenstadt begegne ich einer Trikolore aus BHs am Balkon. | |
| ## „Ich bin Prinzessin und Engel“ | |
| Im Stadion schlägt sich all das nicht so nieder: Nur 15.000 gehen zum | |
| Deutschlandspiel, die Fifa hat Teile der Tribüne mit Bannern verhängt. | |
| Vielleicht kommt es aber auch nur auf die Perspektive an. Ein Franzose, der | |
| hier beim Australien-Spiel war, schwärmt: 18.000 seien gekommen, | |
| unglaublich, „was für ein Spiel“. Zum männlichen HSC Montpellier kommen | |
| bloß 13.000. | |
| Montpellier ist also eine echte WM-Stadt, und ein Ort, der mich nicht | |
| schlafen lässt. Die halbe Nacht erzählt mir Marie in wiederholenden | |
| Schleifen die Geheimnisse ihrer Existenz: „Ich bin eine afrikanische | |
| Prinzessin“, eröffnet sie mir, derzeit Königin über ein Reich wie bei Kön… | |
| der Löwen. Eine Affäre mit dem Sohn eines deutschen Ministers hatte sie, | |
| der sie wegen ihrer Hautfarbe fallen ließ und ihr bis heute nachweint. | |
| „Ich bin Prinzessin und Engel“, sie strahlt beseelt. Wir sitzen in der | |
| Küche, und ich frage mich, wie ihr Leben wirklich aussieht. Kurz reden wir | |
| auch über Fußball, Deutschland gegen Südafrika. Marie winkt ab, „Südafrika | |
| ist grottig“, sagt sie, derbe lachend. „Und Kanada gegen Kamerun, auch | |
| beide grottig, warum geben sie solche Nullnummern nach Montpellier?“ Ich | |
| wundere mich kurz, ich weiß gar nicht, über was alles, und halte fest, dass | |
| in Montpellier auch die Engel über Fußball fluchen. | |
| 19 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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