# taz.de -- Sommelière über Kopfweh und Weingenuss: „Gutes Gewissen beim Tr… | |
> Stefanie Hehn ist Chef-Sommelière im Hamburger Luxus-Hotel The Fontenay. | |
> Ein Gespräch über besserwisserische Kunden, teure Tropfen und Kater. | |
Bild: Findet, dass sich der Kopfschmerz am nächsten Tag lohnt: Stefanie Hehn | |
taz: Frau Hehn, kommen eigentlich Leute zu Ihnen, die zugeben: „Ich weiß, | |
dass Wein stilvoller ist, aber ich trinke lieber Bier?“ | |
Stephanie Hehn: Wir haben im Restaurant auch ein Menü, bei dem es zum | |
Käse-Gang Bier gibt, und zum Dessert Sake, ein alkoholisches Getränk aus | |
Japan. Eine Sommelière sollte nicht nur Ahnung von Wein haben. Ich finde | |
allerdings, man braucht nicht dutzende Wassersorten in einem Restaurant. | |
Man ist ein Genuss-Experte, jemand, der den Gästen hilft, den | |
Restaurant-Aufenthalt geschmacklich und sensorisch so gut wie möglich zu | |
gestalten. Es geht um Wohlfühlmomente. | |
Wie verändert sich Ihr Beruf durch Ernährungstrends wie Craft-Beer und | |
Superfood? | |
Früher mussten die Sommeliers mehr machen, um bemerkt zu werden. Heute ist | |
das Thema Essen und Trinken überall im Gespräch, jeder will besser und | |
gesünder essen. Das spielt uns in die Karten. | |
Und wenn jemand sich unbedingt mit Wein auskennen möchte, um vor seiner | |
Begleitung anzugeben – spielen Sie mit? | |
Ich spreche das dann mit dem Gast vorher ab und übe. Ich mache ein Briefing | |
und gebe demjenigen die richtigen Fragen an die Hand, damit er mit seinem | |
Wissen vor seinen Geschäftspartnern punkten kann. | |
Wie kamen Sie in die Gastro-Branche? | |
Ich habe neben der Schule schon in einem Café gejobbt. Das brachte mich | |
dazu, eine Hotellerie-Lehre zu machen, in einem Etablissement mit | |
Sterne-Restaurant. Ich musste da schon früh Verantwortung übernehmen. | |
Obendrein sind wir dort kulinarisch erzogen worden und mussten alles | |
probieren, was wir servierten. Als junger Mensch isst man ja normalerweise | |
keine Innereien. | |
Und heute essen Sie alles? | |
Zumindest hat mich diese Zeit gelehrt, offen zu sein. Die größte | |
Herausforderung in meinem Job ist, wenn die Gäste nicht offen sind, und | |
nicht über ihre Wünsche sprechen mögen. Gäste, denen man alles aus der Nase | |
ziehen muss, sind die schwierigsten. Dieses „Machen Sie mal“ ist schwierig. | |
Was lernt man eigentlich in einer Sommelière-Ausbildung? | |
Die Ausbildung als Sommelière bei der Industrie- und Handelskammer macht | |
man in drei Monaten. Man warnte uns, dass 50 Prozent durchfallen würden. | |
Danach bekam ich eine Stelle im Louis C. Jacob, eine Top-Adresse, die auch | |
für hohe Weinkompetenz bekannt ist. Dort will man nicht nur Getränke zum | |
Essen verkaufen, sondern auch die großen Weine. Solche, die Geschichten | |
erzählen, die aus besonderen Jahrgängen kommen oder in geringeren Mengen | |
verfügbar sind. | |
Im März 2018 fingen Sie im The Fontenay an, nur acht Monate später wurden | |
Sie vom Restaurantführer Gault & Millau als „Sommelier des Jahres“ | |
ausgezeichnet. Wie wird man das? | |
Der Gault Millau zeichnet jedes Jahr einen anderen Sommelier aus, der über | |
Jahre beobachtet worden ist. Das war überraschend, denn im ersten Jahr nach | |
Eröffnung des Hotels war damit nicht zu rechnen. Die Auszeichnung ist eine | |
wunderbare Bestätigung, dass ich mit meinem Weinkonzept, das ausschließlich | |
aus meiner Hand entstanden ist, auf dem richtigen Weg bin. Es sprechen mich | |
viele Gäste darauf an – ich bin also mit dem Titel auch eine Botschafterin | |
für den Beruf. | |
Es gibt Sommelier-Wettbewerbe, auf die sich die Kandidaten monatelang | |
vorbereiten. Wie bereitet man sich vor, außer dass man viel Wein trinkt? | |
Es gibt Leute, die sich als Wettbewerbsvorbereitung um 3 Uhr nachts wecken | |
lassen, um dann Spirituosen zu verkosten. Frühmorgens ist der | |
Geschmackssinn am sensibelsten. Ich habe an drei Wettbewerben teilgenommen | |
und bin jedes Mal bis ins Halbfinale gekommen. Aber ich bin nicht der Typ | |
dafür. Sobald es in die Öffentlichkeit geht und eine Kamera dabei ist, ist | |
es eine gestellte Situation, die sich für mich nicht nach dem anfühlt, was | |
ich alltäglich im Restaurant mache. | |
Wie läuft eine Verkostung bei so einem Wettbewerb ab? | |
In einem 25-minütigen Tasting muss man sechs Weine blind erkennen. Das ist | |
ein bisschen wie eine Matheaufgabe. Jeder Wein wird nach derselben Methode | |
benannt: Diese Nase plus jener Geschmack plus weitere Merkmale bedeuten | |
dieses Ergebnis. Deduktives Tasting: Um das zu können, muss man bereits | |
viele Weine beschrieben haben. Im Restaurant erzählen wir so wenig wie | |
möglich, aber so viel wie nötig. Der Gast sollte wissen, warum er etwas im | |
Glas hat, sich dabei aber nicht langweilen. | |
Und wenn ein Gast einen Wein bemängelt, obwohl Sie genau wissen, dass er | |
gut ist? Gilt noch der alte Satz: „Der Kunde ist König“? | |
Das muss man abwägen. Eigentlich diskutieren wir nicht mit unseren Gästen. | |
Es kann passieren, dass ich einen Wein unkommentiert austausche. Aber wer | |
uns Sommeliers nur ärgern will, der bezahlt den Wein auch. Der Spruch „Der | |
Kunde ist König“ ist etwas veraltet, wir möchten schon, dass man uns auf | |
Augenhöhe begegnet. | |
Heißt das auch, dass die Gäste nicht mehr so lange am Tisch sitzen, wie sie | |
wollen? | |
Früher wäre es nie passiert, dass man unaufgefordert die Rechnung bekommt. | |
Heute macht man ein Restaurant auch mal zu und bringt die Gäste an die Bar. | |
Was hat sich noch an den Arbeitsumständen in der Gastro-Branche verändert? | |
Öffnungs- und Schließzeiten werden generell genauer genommen, die | |
Arbeitszeiten in der Gastronomie sind nicht mehr so unmöglich wie früher. | |
Früher gab es Teildienste, bei denen man mittags ein paar Stunden frei | |
hatte. Im The Fontenay habe ich immer am Sonntag und Montag frei. Ich | |
arbeite ab 14 Uhr, zwischen acht und zehn Stunden. In manchen | |
Marketing-Firmen sind die Arbeitszeiten auch nicht familienfreundlicher. | |
Werden Frauen als Sommeliers genauso akzeptiert wie Männer? | |
Ich bediene mit meinem Aussehen keine Klischees. Unter einem Sommelier | |
stellte man sich lange Zeit einen Mann mit grauem Haar und Einstecktuch | |
vor. Tendenziell gibt es noch immer mehr Männer als Frauen in dem Beruf, im | |
The-Fontenay-Team sind wir dagegen zwei Männer und zwei Frauen. Und auch in | |
den zehn Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland ist man von fifty-fifty | |
nicht mehr weit entfernt. | |
Zu Ihrem Job gehört es, die Gäste zu animieren, auch einmal über den Durst | |
zu trinken. | |
Das stimmt. Wir helfen den Leuten, mehr zu trinken, als sie sich | |
vorgenommen haben. Für uns ist es ein Erfolg, wenn jemand drei Gläser statt | |
eines trinkt. Ich mache den Menschen ein gutes Gewissen beim Trinken. | |
Natürlich nur, wenn sie nicht Auto fahren müssen. Manchen muss ich zureden | |
– manchmal trauen sich die Leute selbst zu viert nicht, zusammen eine | |
Flasche zu bestellen. | |
Die teuerste Flasche im Sortiment des The Fontenay kostet aktuell 3.000 | |
Euro. Was ist das für ein Wein? | |
Das ist ein Pino Noir aus dem Burgund. Davon bekommen wir im Jahr höchstens | |
zwei bis vier Flaschen geliefert. Wer so einen Wein bei sich im Keller | |
lagert, muss ständig schauen, wie gerade dessen Marktwert ist. So eine | |
Flasche würden wir niemals außer Haus geben. Dafür gibt es Verträge, | |
sogenannte Ethik-Klauseln. Die beinhalten sogar, dass wir nach Genuss die | |
Flasche zerstören müssen, damit der Wein nicht gefälscht werden kann. | |
3.000 Euro in einer Flasche – das muss man sich leisten können. | |
Wenn jemand bei uns Wein im Gegenwert eines Kleinwagens trinken möchte, | |
darf er das auch. Aber wir haben hier auch wirklich gute Flaschen für 35 | |
Euro – das ist ganz sicher kein Fusel. | |
Sammeln Sie auch zu Hause so hochkarätige Weine? | |
Ich achte nie auf Wertsteigerung und kaufe mir nur zwei bis drei Flaschen | |
von einer Sorte. Ich kaufe den Wein meist dann, wenn ich ihn trinken | |
möchte. Ich habe auch gar keinen speziellen Weinkühlschrank, sondern einen | |
gut temperierten Keller mit hoher Luftfeuchtigkeit. Nur im Winter muss ich | |
die Flaschen abdecken, um sie vor der Kälte zu schützen. | |
Welcher Wein macht den schlimmsten Kater? | |
Je mehr Acetaldehyd im Wein ist, desto eher hat man einen Kater. Champagner | |
hat besonders viel, auch Sherry. Das ist einfach Chemie. | |
Wie beugt man dem Kater vor? | |
Viel Wasser trinken und vor allem etwas in den Magen bekommen. Ich finde, | |
man darf auch mal zu viel trinken. Für einen guten Wein lohnt sich das | |
Kopfweh. | |
17 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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